«Ich wünsche mir mehr Feuer»

  09.06.2017 Aargau, Möhlin, Persönlich, Magden, Brennpunkt, Kultur, Religion, Unteres Fricktal

Von Ronny Wittenwiler

Die Christkatholiken zu Gast in einer ihrer Hochburgen. Im Fricktal, in Möhlin. Heute und morgen halten Delegierte hier ihre Nationalsynode ab, quasi die Generalversammlung der Christkatholischen Kirche Schweiz. Die Weichen für die Zukunft der Konfessionsgemeinschaft werden hier gestellt; durchaus ohne Scheu, auch unangenehme Realitäten an- und auszusprechen. Man werde sich auch über den Rückgang des Besuchs der Sonntagsgottesdienste austauschen, so eine Medienmitteilung vom Mittwoch. Abkehr von Kirche ist Alltag. Warum eigentlich?

NFZ: Manuela Petraglio, ist die Kirche den Menschen zu langweilig geworden?
Manuela Petraglio
: Oft bewegen finanzielle Aspekte wie die Kirchensteuer die Menschen zum Austritt. Wir leiden unter diesem Rückgang. Die Sonntagsgottesdienste sind ganz schlecht besucht. Der Individualismus nimmt in der Gesellschaft stark zu und die Angebote sind riesig.

Also haben Sportvereine die Kirche abgelöst?
Die haben doch dieselben Probleme, nicht wahr? Die Bedürfnisse der Menschen sind heute vielfältiger. Obschon: Das Bedürfnis nach spirituellem Halt ist bei vielen nach wie vor vorhanden. Die Frage ist bloss, wo sie diesen überall zu finden suchen. Vielleicht sind wir etwas zu abgehoben.

Wie meinen Sie das?
Die Kirche ist oft zu akademisch, zu wenig nah am Alltäglichen. Den Inhalten fehlt hin und wieder der Bezug zur heutigen Welt. Das ist ein wenig ein Vorwurf an unsere Geistlichen. Auch würde eine gewisse Demut nicht schaden.

Richtet sich auch dieser Vorwurf an Geistliche?
An uns alle. Auch an Geistliche. So oft wird zuerst einmal gefordert.

Woran zeigt sich das?
Vor allem im finanziellen Bereich. An den Lohnforderungen etwa. Der Pfarrberuf sollte doch ein Beruf aus Leidenschaft sein. Mir ist bewusst, dass dieser Beruf viel abverlangt, aber es bereitet mir Mühe, wenn streng nach Rapport gearbeitet wird. Ich wünsche mir eine Seelsorge, die auf Menschen zugeht. Erst über diese Leidenschaft, die man selber lebt, lässt sich ein Feuer entfachen. Ich wünsche mir mehr Feuer. Auch von uns, die als Laien tätig sind.

Inwiefern?
Es geht nicht darum, mit Traditionen zu brechen. Bewährtes soll man pflegen. Aber es braucht auch Mut, Neues anzugehen. Daran müssen wir arbeiten. Wir können die Menschen für die Kirche nur gewinnen, auch für Laienämter, wenn wir einen gesunden Positivismus ausstrahlen. Mir fehlt manchmal diese positive Grundstimmung. Ich bin gewählt worden, um diese Kirche in die Zukunft zu führen und nicht deren Untergang zu besiegeln. Und davon bin ich überzeugt: Diese Kirche wird weiterbestehen.

Glauben Sie an Gott?
Ja.

Wie sieht dieser aus?
Ich mache mir kein konkretes Bild. Gott ist überall. Ich erlebe ihn in der Gemeinschaft, im Miteinander, in unserer Kirche. Gott lebt durch die Kirche.

Ist den Menschen, die von der Kirche abkehren, eine solche Definition womöglich zu wenig greifbar?
Ich weiss nicht, ob man das so sagen kann. Die Schöpfung, die Natur: Das ist ja auch Gott. Es gibt Menschen, die lieber einen Sonntagsspaziergang machen und sich Gott näher fühlen als in der Kirche. Das kann ich nachvollziehen. Ich mag den Kirchgang. Davon zehre ich.

Denken Sie, es gibt heute noch Menschen, die an Gott glauben, der irgendwo auf einer Wolke sitzt?
Sie stellen Fragen (lacht). Ich weiss es nicht. Ich finde aber, einem Kind auf ebensolche kindliche Art den lieben Gott zu erklären, weil es ohne bildliche Darstellung schwierig ist, soll und darf durchaus sein.

Der Glaube wird oft missbraucht für Gewalt. Gerade jetzt wieder gibt es traurige Beispiele. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Dieser Extremismus unter dem Deckmantel des Glaubens hat nichts mit Religion zu tun. Man muss sich aber auch im Klaren darüber sein: Auch das Christentum hatte manches angerichtet mit seinen Kreuzzügen.

Müssen sich Glaubensgemeinschaften, unter deren Deckmantel der Terror wütet, stärker davon distanzieren?
Sie distanzieren sich bereits. Aber wenn man sieht, wie die Gesellschaft reagiert, muss das wohl noch entschiedener geschehen.

Machen Sie sich Sorgen, wenn Sie solche Vorgänge auf der Welt sehen?
Ja.

Was tun Sie dagegen; beten?
Natürlich beten wir in der Kirche für Frieden auf der Welt. Ich denke aber, es beginnt bei jedem einzelnen im Kleinen. In der Familie, in der Schule. Mit Blick auf unsere Gesellschaft sorge ich mich manchmal, ob all das weiter friedlich zugehen wird.

Sind wir wieder bei der Demut angelangt?
Ja. Wir müssen uns immer wieder selbst hinterfragen und manchmal auch die Bescheidenheit haben, uns hin und wieder etwas zurückzunehmen.


Die Christkatholische Kirche zählt in der Schweiz derzeit rund 12 000 Mitglieder, wovon rund 3000 alleine im Fricktal. Sie ist die kleinste der drei Landeskirchen. In Österreich und Deutschland ist die Christkatholische Kirche bekannter unter dem Begriff Altkatholische Kirche.


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