von Susanne Hörth

Tiziana Rüede hat ihren modischen grauen Poncho lässig um die Schulter geworfen. Sie lehnt sich im Stuhl zurück und streicht eine lange Haarsträhne nach hinten. Nein, sagt sie. Momentan sei die Aufregung noch nicht allzu gross. Das werde sich, je näher der 19. November rückt, aber garantiert noch ändern. An jenem Tag wird die Rheinsulzerin an einem Model-Wettbewerb – von Profis geschminkt und frisiert – über den Laufsteg schreiten, verschiedene Outfits präsentieren und auch den Juroren Red und Antwort stehen. Tiziana Rüede ist eine von 20 Frauen, die sich aus rund 1000 Bewerberinnen aus der ganzen Schweiz für den Missen-Final qualifiziert haben. Die Teilnehmerinnen sind nicht nur alle sehr hübsch. Sie alle tragen mindestens Kleidergrösse 40. Das ist eine der Voraussetzungen, um überhaupt am «Miss Plus Size»-Wettbewerb mitmachen zu können. «Ich trage 42/44», so eine lächelnde Tiziana Rüede.

2012 fand in São Paulo der erste Wettbewerb «Miss Brasil Plus Size» statt. Weitere Wettbewerbe folgten. In der Schweiz wurde letztes Jahr erstmals eine «Miss Plus Size Schweiz» gekürt. «Die Realisierung der Miss Plus Size-Wahl setzt sich als Ziel eine Verbesserung des Selbstbewusstseins und des Status von übergewichtigen Frauen in der Schweiz», hält der Organisator Flamir Da Silva (fashion show manager und Choreograph) auf der Webseite des Wettbewerbes fest.

Mut machen

Auch Tiziana Rüede geht es mit ihrer Teilnahme am Wettbewerb darum, Frauen mit ein paar Pfunden mehr auf den Hüften, Mut zu machen. Mut, um  zum eigenen Körper stehen zu können, selbstbewusst zu sein und sich einfach wohl in der eigenen Haut zu fühlen. Dass dies bei ihr selbst lange nicht so gewesen ist, gibt sie unumwunden zu.

«Ich war und bin ein sehr sportlicher Mensch. Bewege mich gerne. Dass ich trotzdem einfach nicht abnahm, setzte mir schon sehr zu. Ich hatte lange grosse Mühe mit meinem Gewicht.» Dass hier auch die Sicht der anderen eine wichtige Rolle spielte, macht die junge Frau mit der nächsten Bemerkung deutlich: «Die Leute meinen immer, wenn jemand etwas dicker ist, es läge am zu vielen Essen. Das mag bei manchen stimmen. Aber ganz sicher nicht bei allen.»

Sie habe vor allem durch das Implanon (Verhütungsmittel) und dann durch die beiden Schwangerschaften zugenommen. Alle Bemühungen, das Gewicht zu reduzieren, blieben ohne wirklichen Erfolg. «Ich habe versucht, die zu vielen Kilos unter schludrigen Kleidern zu verstecken», sagt sie. Jetzt nicht mehr. Sie zieht sich modisch an, bewegt sich sicherer. «Irgendwann habe ich mich einfach so wie ich bin akzeptiert.» Dies ist auch enorm wichtig sagt sie. Die Mutter eines sechsjährigen Buben und eines eineinhalbjährigen Mädchens lächelt entspannt, schlägt die in engen Jeans steckenden Beine übereinander.

Zum Mitmachen aufgefordert

Bei der ersten Durchführung von Miss-Plus-Size-Schweiz 2015 ging sie nur als neugierige Zuschauerin an den Wettbewerb. «Ich wurde danach mehrfach gefragt, ob ich mich nicht auch bewerben wolle.» Das hat sie nach reiflicher Überlegung in diesem Frühling dann auch getan. Und wurde eingeladen. Danach folgten verschiedene Selektionierungen. Tiziana Rüede hat sie alle gemeistert und konnte sich für den Final qualifizieren. Vor einer Woche hat sie an einem Modelworkshop teilgenommen. Dort gelernt, wie man über den Laufsteg schreiten, sich in verschiedenen Kleidern richtig bewegen muss. «Das war sehr hilfreich», so die Miss-Plus-Size-Kandidatin. «Jetzt freue ich mich auf den Final in Zürich.» Auf jenen 19. November, an dem sie sich im Scheinwerfer präsentieren kann.

Natürlich hofft sie, am Ende des Tages auch zur «Miss  Plus Size Schweiz 2016» gekürt zu werden. Und damit allen Frauen zu zeigen, dass Grösse 42/44 kein Grund sind, sich zuhause oder in schludrigen Kleidern zu verstecken. «Jetzt bin ich doch schon etwas aufgeregt», sagt Tiziana Rüede beim Fototermin mit der NFZ. Wir drücken die Daumen.