Vom Rennfahrer zum Öko-Weinbauern
05.02.2015 Brennpunkt, Unteres Fricktal, Porträt, Kaiseraugst, Persönlich, NaturMit Remo Hohler kann man wunderbar philosophieren – über Gott und die Welt; über die Natur und die Lebensenergie. Nur über Wein spricht der 59-Jährige nicht besonders gerne, vor allem nicht mit so genannten Weinkennern. Das mag verwundern, denn seit einem Vierteljahrhundert ist er Weinbauer im Piemont. «Für mich steht nicht der Wein im Mittelpunkt, sondern wie er gemacht wird.» Sein Credo lautet: Geht es den Pflanzen gut, dann wird der Wein hervorragend. Hohler will im Einklang mit der Natur arbeiten und verzichtet deswegen auf Kunstdünger und Bodenbearbeitung.
«Eine verkehrte Welt»
«Ich versuche, die Pflanzen artgerecht zu halten. Ich überlege mir, was ihnen guttut und was sie nicht wollen. Im konventionellen Weinbau werden die Böden und die Pflanzen misshandelt.» Dass ihn nicht alle verstehen, nimmt er gelassen, fast schon heiter zur Kenntnis. Mancher Nachbar im Piemont schüttelt den Kopf über den «svizzero» und seine Methoden. «Es ist doch verrückt: Wenn einer im Einklang mit der Natur arbeitet, dann gilt er als Spinner. Der andere, der alles gegen die Natur macht und dabei reich wird, ist ein Held, den alle bewundern. Das ist eine verkehrte Welt.»
Remo Hohler, der in Kaiseraugst aufgewachsen ist, hat schon immer alles etwas anders gemacht als die meisten. «Schule, Verein, Kirche – das war alles nichts für mich.» Die Schulzeit hat er in schlechter Erinnerung. «Ich fühlte mich wie im Gefängnis.» Er begann eine Automechaniker-Lehre, nach einem halben Jahr hatte er aber genug. Die Lehre zum Spengler-Installateur schloss er danach erfolgreich ab, doch seine Leidenschaft gehörte dem Motorsport. Er fuhr Formel-3-Rennen. «Das war interessant. Ich reiste viel und lernte viel. Es ist eine Kunst, sich am Limit zu bewegen, aber nicht darüber hinaus zu gehen. Das Fahren war fast wie eine Droge. Es zeugt aber wohl auch von einem Minderwertigkeitskomplex. Leute, die zufrieden sind, machen so etwas nicht», sagt er mit einem Lachen.
Hohler war immer ein Suchender, der die Extreme liebte. Sein Traum, professioneller Rennfahrer zu werden, zerplatzte. «Ich wurde nicht entdeckt und geriet mit 22 in eine Krise. Es ist hart, wenn sich der Lebenstraum nicht erfüllt.» Er hat danach viele Sachen angepackt und bald wieder fallen lassen. «Die Leute haben sich darüber lustig gemacht. Jeder steckt aber in seiner Haut und kann sich nicht ändern.»
Der Wein als Mittel zum Zweck
Schliesslich wollte er nach Schweden auswandern – nicht einfach so, sondern mit dem Velo ab Kaiseraugst. Doch kurz vor der Abreise lernte er seine künftige Frau kennen und blieb in der Schweiz. Sie gründeten eine Familie und zogen nach ein paar Jahren in den Jura, um in einer Betriebsgemeinschaft einen Bauernhof zu betreiben. Doch das funktionierte nicht und führte dazu, dass sie ihre Zelte in der Schweiz abbrachen und 1990 mit ihren vier kleinen Kindern nach Italien auswanderten. Sie kauften ein kleines Gut im Piemont und wollten dort Obst, Gemüse und Wein auf ökologische Weise produzieren. «Es zeigte sich aber schnell, dass man für besonders gutes Obst und Gemüse keinen besseren Preis erhält. Nur beim Wein wird die Qualität bezahlt. Deswegen haben wir uns aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weinbau spezialisiert.»
Zu Anfang hatten sie von der Materie keine Ahnung. Alles musste autodidaktisch erlernt und ausprobiert werden. «Unsere Erfolgsaussichten sahen nicht gerade gut aus. Doch wir hatten keine Angst, es war wie Ferien. Schwieriger wurde es nach drei bis vier Jahren, als die Anfangseuphorie und das Feriengefühl verflogen waren.» Der Wein, der in «Bricco Bosetti» produziert wurde, machte allerdings schon bald von sich reden. Ihr «Barbera d’Asti» wurde in sehr guten italienischen Restaurants ausgeschenkt und gut verkauft.
Ein Leben ohne Wecker
In der Zwischenzeit ist viel geschehen. Nach dem Tod seiner Frau hat Remo Hohler alleine weiter gemacht und die Anbaufläche von drei auf 1,2 Hektaren verringert. Seine Kinder sind erwachsen. Sie wollen in Italien bleiben, ebenso wie er selber. Mittlerweile hat er wieder geheiratet, eine Italienerin. Drei Mal pro Jahr kommt er zurück nach Kaiseraugst, um in der Schweiz Wein zu verkaufen. So wie letzte Woche.
In guten Jahren produziert Remo Hohler – der ungelernte Weinbauer, wie er selber sagt – rund 7000 Flaschen. «Es braucht Nerven und Zuversicht. Es ist nicht alles romantisch und toll. Finanziell kommen wir gerade so über die Runden. Aber ich geniesse eine grosse Freiheit. Ich lebe heute ohne Wecker und kann selbstbestimmt arbeiten.» Der Wein ist ihm wichtig, doch die Liebe zur Natur ist stärker. «Ich glaube, die Menschheit befindet sich in einer Endzeit. Jeder weiss, dass es so nicht weitergehen kann und trotzdem ändern wir nichts. Der Mensch hat sich komplett von der Natur abgewandt. Wir verhalten uns wie Parasiten.»
Was die Zukunft auch bringen mag: Remo Hohler wird seinen eigenen Weg gehen. Egal, was die anderen von ihm denken.