Mit Dill schmecken Pilze einfach besser

  16.10.2014 Kaiseraugst, Unteres Fricktal, Porträt, Möhlin, Persönlich

Es klingt wie ein Geheimrezept, vor allem aber steckt eine Prise Wahrheit drin: Mit Dill schmecken Pilze einfach besser. Denn der Mann gibt dem «Rat Suchenden» schon mal den einen oder anderen Gourmet-Tipp mit nach Hause und in den Kochtopf. Doch nun mal schön der Reihe nach.

Zwischen Tod und Hochgenuss

Es war vor zwei Wochen. Hugo Dill, der Mann aus Kaiseraugst, eigentlich einer der leisen Töne, rührte mal wieder mit der grossen Kelle an. In eine weisse Schürze gehüllt, mit perfekt sitzender Kochmütze vor dem brodelnden Topf stehend, war er für diesen Duft aus Morcheln, Steinpilzen oder Pfifferlingen zuständig. Eine unwiderstehlich verführerische Note war es, die sich durch die Gänge des Schulhauses ausbreitete bis hinein in die Aula zu den Ausstellungstischen mit den bitter tödlichen Giftpilzen.

Dill war während der Ausstellung vom Verein für Pilzkunde Fricktal in Möhlin fürs Kulinarische zuständig. Reklamationen gab es keine. Unverträglichkeiten auch nicht. Komplimente schon. Kein Wunder. Denn Dill kennt sich aus mit Pilzen. Vom Wohlschmeckenden zum Geschmacklosen bis hin zum Tod bringenden. Er weiss glücklicherweise ganz genau, was in den Topf gehört – und was nicht.

Der Ermittler

Dill ist einer von acht Pilzkontrolleuren im Fricktal. Notabene: Ihm im Voraus zu begegnen, ist wesentlich gesünder, als im Nachhinein. Denn nebst seiner Tätigkeit als amtlicher Kontrolleur in Kaiseraugst ist Dill sogenannter Spitaldiagnostiker für die Nordwestschweiz. Er, der gerne schon mal auch sein eigenes Süppchen kocht, er rückt also dann aus, wenn die Pilze ausnahmsweise Mal nicht wie bei der Ausstellung in Möhlin für kulinarische Höhenflüge sorgen, sondern tiefgreifende Beschwerden auf der Notfallaufnahme verursachen.

Spätestens hier wird diese Geschichte eine ernsthafte. Hugo Dill ist dann der (überlebens-)wichtige Mann, wenn es gilt, Symptome und Schweregrad von Pilzvergiftungen zu erkennen. Sind die Ärzte mit ihrem Latein am Ende, dann ist es seine Aufgabe, in Stuhl- und Urinproben, auch anhand von Erbrochenem, nachzuweisen, mit welchen Pilzen sich jemand vergiftet hat. Hier ist der Laie überfordert und Dill, der pensionierte Büchsenmacher, der Feinmechaniker von Nebenan, in der Wissenschaft angekommen. Mittels Mikroskop «ermittelt» er. Er sucht in den Exkrementen nach dem jeweiligen Sporenpulver der eingenommenen Pilze, gebraucht eine Art Indizien-Schlüssel, um dem Corpus Delicti auf die Schliche zu kommen und ordnet dann die notwendigen Schritte an, damit der Patient wieder auf die Beine kommt. Zwei, dreimal jährlich wird Dill gerufen: Er ist sozusagen der Mann für Notfälle. Wer ihn im Voraus (als Kontrolleur) aufsucht, wird ihn später nicht noch im Spital (als Diagnostiker) kennenlernen müssen.

Jäger. Sammler. Fischer.

Der Pilzexperte für die köstlichen bis tödlichen Exemplare macht selber den Eindruck eines geniessbaren Zeitgenossen. Ruhig im Ton, stets ein freundliches Lächeln, ist ihm das eigene grosse Wissen gar nicht mal so erwähnenswert. «Wichtig ist, dass Sie über unseren Pilzverein schreiben», sagt Dill, um danach anzumerken, dass er eigentlich doch gar nicht aufs Foto müsse. Es scheint, als wolle er wie die Mehrzahl «seiner» Pilze selbiges Tun: unauffällig auftauchen, etwas zum funktionierenden Ganzen beitragen und danach wieder abtauchen, ohne Aufsehen zu erregen.

Dabei hätte der Mann noch vieles zu erzählen.

Dill ist nicht nur Sammler. Fünfzig Jahre bereits ist er Jagdaufseher. Ausgerechnet die Jagd hat ihn Jahre später erst zur Mykologie, ebendieser Pilzkunde, gebracht. «In der Zeit, in der ich in jungen Jahren durch den Wald streifte, dachte ich: Gopferdeckel. Die muss ich doch schon besser kennen.» Mit Die meinte er Pilze. «Und so habe ich angefangen, mich gescheit zu machen», wie es Dill schlicht und einfach ausdrückt. Literatur in seinem Studierzimmer, reihenweise, zeugt davon, was es heisst, sich gescheit zu machen, oder eben: Die Pilze beim Namen zu nennen. Diese Leidenschaft, man spürt es förmlich: Sie ist ihm mehr als nur einen Pfifferling wert und ohnehin ist ihm die Natur ein unbezahlbares Gut. Draussen fühlt sich der in Kaiseraugst wohnende Dill daheim. Ob auf der Jagd, bei den Streifzügen durch den Wald, oben auf der Kanzel, beim Angeln unten am Wasser (ja, auch das noch…) – «solange ich am Morgen aufstehen kann, solange werde ich das alles auch tun.» Auf die Frage, weshalb er dies ausgerechnet so formuliert, meint er: «Ich bin 74. Mit der Zeit merkt man, dass man ein gewisses Alter erreicht hat.» Ob ihn das beunruhige? Jetzt lächelt er wieder. Hält einen Moment inne und sagt dann seelenruhig: «Aber nein. Das muss man akzeptieren.» Alles andere hätte jetzt auch überrascht. Dill weiss ganz genau, wie der Hase läuft, da draussen in der Natur und beim Menschen selbst.

Bitterer Nachgeschmack

Das Gespräch mit ihm endet im Keller. Hier zeigt er seine kleine Werkstatt. Hier unten nimmt er noch gelegentlich Gewehre von Jägern in Reparatur. Dill, der Mann, der aus guten Pilzen erst ein Gericht und dann ein Gedicht macht, er sagt jetzt, was ihm auf den Magen schlägt: Der Regulierungswahn im Land. Hierbei sieht er den Grund, weshalb dem Beruf des Büchsenmachers zunehmend das Handwerk gelegt wird. Das macht Dill, den Pilzler, fast ein wenig giftig.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote