Der gläubige Fasnächtler

  04.02.2020 Kaiseraugst, Persönlich, Tradition

Fasnacht bedeutet Adrian Gilgen viel

Adrian Gilgen ist seit vielen Jahren Mitglied der Guggenmusik Grossschtadtchnulleri Kaiseraugst. Ein schwerer Unfall hat sein Leben verändert.

Andreas Fischer

Adrian Gilgen ist in Birsfelden aufgewachsen. Was man seinem Dialekt nicht anhört, er redet Berndeutsch. Das komme vom Vater, der stamme aus Burgdorf. Von dort habe er auch seinen konservativen Protestantismus mitgebracht. Der Vater sei Präsident der Kirchenpflege gewesen, die Kinder – Adrian ist das zweite von vier – mussten jeden Sonntag zur Kirche, an Weihnachten mussten sie vorsingen. «Ich habe immer an etwas geglaubt», sagt Adrian Gilgen, «aber an das, woran ich wollte». Woran? «An Gott. Nicht an Christus.» Obwohl, fügt er zögernd hinzu, der sei ja auch irgendwie Gott. Aber jedenfalls: An Gott habe er immer geglaubt, glaube er auch heute noch. Und an Engel. Die hätten ihm in den entscheidenden Momenten im Leben geholfen.

Adrian Gilgen absolvierte zunächst eine Lehre als Verkäufer, doch da verdiene man zu wenig, also hängte er noch eine Fahr- und Motorradlehre an. Dann arbeitete er in einer Bude als Mechaniker, er war ein Freak, chrampfte bis zehn Uhr nachts, die Kunden kamen aus dem Tessin angereist, um ihre Vespa von ihm flicken zu lassen. Der Chef sass derweil in der Beiz. Als er ihm zu Weihnachten einen Bonus von 100 Franken zukommen liess, hatte Adrian Gilgen genug. Er wechselte in die Chemie, liess sich zum Apparateführer ausbilden, wurde Schichtführer. Der Job gefiel ihm, destillieren, den Dampf kondensieren lassen, es sei wie Kochen gewesen. Zirka drei Jahrzehnte arbeitete Adrian Gilgen dort.

Der Moment, als alles anders wurde
Seine Frau lernte Adrian in einer Bar in Liestal kennen, es war Liebe auf den ersten Blick. Bald darauf fuhr man zusammen in die Ferien, sie wurde schwanger, man heiratete, zwei Kinder kamen zur Welt, sie sind inzwischen 18 und 21 Jahre alt. Alles war gut. Doch dann kam jener Moment, als alles anders wurde. Adrian Gilgen war mit dem Mofa unterwegs. Ein Auto fuhr ihm in die Fahrbahn, er flog drei Meter hoch in die Luft, den Helm schleuderte es fort, Adrian prallte mit dem Kopf auf den Asphalt. So wurde es ihm erzählt, er selbst erinnert sich an nichts.

Ein Arzt der vorbei fuhr, leistete erste Hilfe, organisierte die Ambulanz. Im Unispital wurde er operiert, wie viele Brüche es waren, weiss er nicht mehr. Adrian Gilgen konnte nicht mehr gehen, nicht mehr sprechen. Er kam nach Bellikon in die Reha. Ein Jahr lang war er dort, kämpfte sich ins Leben zurück. Das erste Wort, das er wieder aussprechen konnte, war «Natalie», der Name seiner Tochter.

Heute hat Adrian Gilgen keine Kopfschmerzen mehr, einer von tausend sei er, er habe Glück gehabt. Beziehungsweise: Gott habe ihm geholfen. Dass jener Arzt an der Unfallstelle vorbeifuhr, sei kein Zufall gewesen. «Das war Gottes Plan. Ohne Gott wäre ich heute tot.» Weshalb ihn Gott nicht vor dem Unfall bewahrt hat? «Gott», glaubt Adrian, «interveniert erst, wenn es ganz schlimm ist.» Bei ihm sei das nach dem Unfall gewesen. Und auch danach sei es nicht nur Gott gewesen, der gearbeitet habe, auch sein eigener Wille sei wichtig gewesen. «Wir haben zusammengearbeitet, Gott und ich.»

Bald ist wieder Fasnacht. Die Fasnacht bedeute ihm viel, schon als Jugendlicher habe er Trompete in einer Gugge gespielt. Als er nach Kaiseraugst kam, vor zwanzig Jahren, wollte er auch hier mitmachen. In der «Gülle», wie man früher das Bassin in der Kaiseraugster Badi nannte, lernte er Guido kennen. Da sei er an den Richtigen geraten, Guido, Fasnachtsurgestein, sei damals der Major der Chnulleri gewesen. Adrian Gilgen lernte Posaune spielen, dann Sousaphon, diese riesige Kontrabasstuba, die schwer zu tragen ist und viel Luft braucht.

Konzentration fällt schwer
Zwei Jahre nach dem Unfall durfte Adrian Gilgen wieder Fasnacht machen. Für ihn sei das wie Weihnacht und Geburtstag zusammen gewesen. Vor lauter Begeisterung hyperventilierte er und fiel um. Man munkelte im Dorf, er habe halt zu viel getrunken. «Doch ich hatte», sagt er, «nicht zu viel Alkohol, ich hatte zu viel Atem». Seither spielt er «Bässli», Euphonium.

Noten zu lesen, fällt ihm schwer. Er hat es nach dem Unfall mühsam wieder zu lernen angefangen, mit zusätzlichen Proben. Die Konzentration lässt schnell nach, und wenn er sich überfordert fühlt, wird er «verrukkt». Dabei ist Adrian eigentlich ein fröhlicher Mensch. An der Fasnacht und an Festen liebt er es zu tanzen. Er hat seinen ganz eigenen Stil. Seine Frau will eigentlich richtig tanzen lernen, Standard und Latin, doch Adrian tanzt, wie er will und wie es ihm Spass macht. An der Altersheimfasnacht auch mit Bewohnerinnen im Rollstuhl. «Wenn man die Freude sieht», sagt er, «dann ist es schön.» Ausserdem spielt er Darts, aber nur, wenn es der dichtgedrängte Terminkalender der Gugge zulässt. Der Zusammenhalt unter den Chnulleri tut ihm gut. Adrian Gilgen kann Teilzeit arbeiten in der Garage eines Guggenmitglieds, «der, der jetzt Sousaphon spielt».


Fasnachtsgottesdienst

KAISERAUGST. Am Sonntag, 9. Februar, um 11 Uhr findet im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst zum 17. Mal der Chaiseraugster Fasnachtsgottesdienst statt. Auch diesmal wird die lokale Gugge «Grossschtadtchnulleri» ihre diesjährigen Kostüme präsentieren und ihre neu einstudierten Stücke uraufführen. (mgt)


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