«Eigentlich wollte ich in der Wüste Erdöl suchen»

  26.10.2017 Gipf-Oberfrick, Persönlich, Nordwestschweiz, Oberes Fricktal, Porträt

Von Simone Rufli

 «Ich wollte nicht mein ganzes Leben im Büro verbringen. Eigentlich wollte ich in der Wüste nach Erdöl suchen.» Benjamin Müller lacht: «Das war so eine Vorstellung, die ich zu Beginn meines Studiums hatte. Als Geologe würde ich viel draussen sein, dachte ich. Jetzt verbringe ich doch einige Zeit im Büro.» Während er davon erzählt, wie er im Zürcher Weinland direkt unterhalb der Reben aufgewachsen ist, von den Jahren im Tösstal und später an der Uni Bern und auch davon, wie er als Student an einer Exkursion nach Kölliken teilnahm, steigt der Geologe hinauf aufs Dach. Auf dem Steg über dem immensen Hallendach – dort wo er schon so oft für Fotos und TV-Interviews stand, weil dann jedem klar ist, wo er arbeitet – bleibt er stehen. Müller blinzelt in die Herbstsonne und blickt hinauf zu den Einfamilienhäusern, die schon bald mit mehr Strassen- und Bahnlärm konfrontiert sein werden. «Noch stehen sie im Schutz der Halle», sagt er und kehrt zu seiner Arbeit zurück: «Hier bei der Sondermülldeponie in Kölliken habe ich einen sehr vielseitigen Job gefunden und im Verlauf der Jahre auch sehr viel über andere Disziplinen gelernt, im technischen und vor allem auch im juristischen Bereich.» Bis Ende 2018 soll die Hallenkonstruktion vollständig demontiert sein.

 

457000 Tonnen Abfälle

Seit 2011 ist Benjamin Müller Geschäftsführer der Sondermülldeponie Kölliken (SMDK) und damit auch zuständig für die finanziellen, personellen und strategischen Belange des Konsortiums. Die SMDK besteht aus vier Partnern, die in einem Konsortium zusammengeschlossen sind. Diese Arbeitsgemeinschaft existiert seit 1977, als der Kanton Aargau, der Kanton Zürich, die Stadt Zürich und die Basler Chemische Industrie (BCI) gemeinsam nach einer Deponie suchten und in einer ehemaligen Tongrube in Kölliken fündig wurden.

In den 1970er Jahren ging es darum, der Industrie und dem Gewerbe eine saubere und geordnete Entsorgung ihrer Abfälle anbieten zu können und damit den damals häufigen unkontrollierten, illegalen und dezentralen Deponien einen Riegel zu schieben. Bis zur Schliessung der Deponie im Jahr 1985 wurden 457000 Tonnen Abfälle eingelagert. Die Abfälle sind mittlerweile fachgerecht entsorgt worden und die leere Grube wurde zwischen März und August dieses Jahres mit sauberem Auffüllmaterial teilweise wieder aufgefüllt.

Während der Rückbau der Deponie voranschreitet, kümmert sich Müller um die Verwertung der Immobilen, die bereits nicht mehr gebraucht werden. Und zusammen mit der Gemeinde arbeitet er an der Zonierung. «Das Areal hier ist der letzte weisse Fleck im Zonenplan des Kantons Aargau.»

Die vier Konsortiums-Partner sind auch heute noch für die Finanzierung der Gesamtsanierung sowie aller Sicherungs- und Überwachungstätigkeiten zuständig. Der bewilligte Kredit beträgt 570 Millionen Franken. Brutto (ohne Bundessubventionen) koste die Sanierung nach heutigem Stand 692 Millionen Franken. Netto seien es noch 507 Millionen, so Müller. Der Kredit wird also um 63 Millionen unterschritten.

«Mit der Gemeinde Kölliken hat sich im Verlauf der Zeit ein sehr gutes Einvernehmen entwickelt», sagt der ehemalige Gemeinderat und Vizeammann von Gipf-Oberfrick. «Wir haben noch nicht lange im Fricktal gewohnt, da habe ich für den Gemeinderat kandidiert und bin auch gleich gewählt worden», erzählt Müller. Es sei spannend gewesen, zu sehen, wie das Dorf funktioniert. Gemeinderat war er von 2002 bis 2010, «unter anderem war ich damals zuständig für den Schulhaus-Neubau.»

 

Vom Dach in den Untergrund

Das Sonnenlicht ist verschwunden. Lampen erhellen den Raum. Über eine schmale Wendeltreppe haben wir uns in den Untergrund begeben. Wir befinden uns nun 18 Meter unter der Erdoberfläche. «In diesem Stollen fassen wir in 129 Brunnen das verschmutzte Wasser, welches immer noch aus dem Untergrund austritt», erklärt Müller. «Erst wenn das Wasser in allen Brunnen rein ist, sind wir ganz am Ziel angelangt.»

Wir stehen inmitten des u-förmigen Stollens, der anno 2001 am Fusse der Deponie angelegt worden war. Benjamin Müller war damals noch als Angestellter eines Aarauer Ingenieurbüros in den Bau des Stollens involviert.

 

Reben und Obstbäume

Obwohl die Arbeit viel Raum einnimmt, findet der Ehemann und Vater dreier Söhne immer auch wieder Zeit für die Pflege seiner Hobbys. Vor zehn Jahren begann er zuerst in Schupfart, später auch in Gipf-Oberfrick, Rebstöcke anzupflanzen. «Durchs erste Jahr wurde ich von einem erfahrenen Rebbauern begleitet. Die Böden sind extrem unterschiedlich, selbst innerhalb desselben Hanges», sagt der Geologe. Gerade hat er den neunten Jahrgang in den Keller gebracht. «Die Ernte bringen wir jeweils nach Hornussen, wo Winzer Daniel Fürst aus unseren Trauben unseren eigenen Wein herstellt. Ich bin unterhalb eines Rebberges aufgewachsen», erklärt sich Müller seine Freude an den Reben, «umgeben von Pferden, Eseln, Gänsen, Geissen und einem grossen Garten.» Heute hat er selber 100 Obstbäume. «Um die kümmert sich meine Frau.»

Noch etwas macht Benjamin Müller gerne im Freien: «Einmal im Jahr unternehme ich mit Kollegen eine Töff-Tour.» Lissabon, das Schwarze Meer, die Länder Osteuropas, Frankreich, die Pyrenäen – Müller hat alles schon befahren. «Mit dem Töff erlebt man die Natur, das Wetter, Gerüche viel intensiver. Jeden Tag an einem anderen Ort, spontan, improvisiert, kaum reglementiert.» Müllers Augen leuchten.


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