Einen halben Liter Suppe zum Überleben

  20.01.2017 Brennpunkt, Jugend, Politik, Laufenburg, Gesundheit, Oberes Fricktal, Gemeinden, Wohltätigkeit

Von Martina Proprenter

70 bis 80 Prozent der deutschen Schuljugend war kurz nach Kriegsende unterernährt, erklärte Franz Schwendemann. Der frühere Direktor des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee referierte in badisch Laufenburg eindrücklich, was er in akribischer Recherchearbeit auch mit Hilfe des Stadtarchivars Martin Blümcke herausgefunden hatte: Vor genau 70 Jahren gingen in den Gemeinden des Bezirks Laufenburg Bitten ein, die badischen Nachbarn zu unterstützen. Viele Kinder seien unterernährt, die Zahl der Kranken sei immens. Also gründete man das Aktionskomitee zur «Winterhilfe 1946/47 für die Kinder in den badischen Nachbargemeinden».

In allen Gemeinden in Bezirk gaben Bürger Spenden, Lebensmittel wie Geld, um eine Suppenspeisung zu ermöglichen. Viermal pro Woche bekamen die Kinder so einen halben Liter Suppe.

Mit dem Jahreswechsel 1946/47 begannen die Hilfslieferungen mit Obst und Gemüse, drei Winter lang wurde in der Hans-Thoma-Schule unter Leitung des Deutschen Roten Kreuzes aus diesen Suppen zubereitet, die bis zu 350 Kinder und 50 Erwachsene ernährten. Denn im zweiten Jahr baten etwa Ärzte und Hebammen darum, auch stillende Mütter einzubeziehen. Kranken Kindern wurde das Essen sogar nach Hause gebracht. Nicht nur Lebensmittel, auch Kleidung, 300 Glühbirnen und 12 Kilogramm Schuhmacherstifte – zum Besohlen der Schuhe – wurden über den Rhein geliefert.

Ängste: damals wie heute

Ende 1948 wurden die Spenden auch auf Flüchtlingskinder ausgedehnt, die überwiegend aus dem Osten Deutschlands kamen. Nicht ohne Diskussion auf Schweizer Seite. «Man wisse ja nicht wo diese herkämen», zitierte Schwendemann ein Argument gegen die Hilfe und spannte den Bogen zur aktuellen Flüchtlingssituation: die Ängste innerhalb der Bevölkerung seien damals wie heute die gleichen gewesen. Während sich die Verantwortlichen Laufenburgs zuerst dagegen sperrten, hätten die ländlichen Gegenden auf die weitere Hilfe gedrängt und fleissig weiter Spenden gesammelt, bis Mitte Mai 1949 «Hoover-Speisungen» der Amerikaner begannen.

«Viele haben geholfen, viele Details sind in 70 Jahren leider in Vergessenheit geraten», schloss Schwendemann, sein Beitrag solle erinnern und einen herzlichen Dank über den Rhein für die «mehr als grosszügige Hilfe» schicken.

Für den Frieden

Während die einen Mauern aufbauen, wolle man selbst Mauern abbauen, erklärte Stadtammann Herbert Weiss. Sein deutscher Amtskollege, Bürgermeister Ulrich Krieger, liess die bisherigen Etappen der Friedensstadt noch einmal Revue passieren: 2014 waren die beiden Städte Etappenort des «Flame For Peace», mit dem ein Zeichen des Friedens gesetzt und an den Ausbruch des ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erinnert werden sollte. Ein Jahr später ernannte der Verein Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit die Schwesternstädte zur Friedensstadt. Seitdem setzen beide Städte jedes Jahr einen neuen Akzent, um das Thema in der Bevölkerung zu verankern. 2015 bekam der ehemalige Laufenburger Stadtammann Rudolf Lüscher den Friedenspreis, 2016 landete eine «Friedenstaube» in der Stadt. 2017 steht nun im Zeichen der Erinnerung an die Winternothilfe.


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