«Als würde Gott einen roten Vorhang ziehen»
07.08.2014 Lifestyle, Unteres Fricktal, Porträt, Möhlin, PersönlichAuf ihrem eigenen Grabhügel sei sie schon gesessen. Draussen in der Wüste. Und das ist noch längst nicht alles: «Ich weiss, dass ich 1944 als russische Pilotin abgestürzt bin mit dem Flugzeug. Abgeschossen von den Deutschen.»
Esoterikerin? Ausgeflippt? Egal.
Diese Frau kümmert wenig, was andere davon halten. «Ich muss doch niemandem beibringen, wie er über mich zu denken hat.» Frei wie ein Vogel im Wind spricht sie über ihr jüngstes Leben (dieses begann nachweislich 1954). Irgendwann während der neunzig Gesprächsminuten hält sie fest: «Ich habe mich immer mal wieder gefragt, weshalb ich im Fricktal inkarniert wurde.» Aufgewachsen in Möhlin, versuchte sie hier zwar Wurzeln zu fassen; auch später, als sie in Wallbach wohnte und in Schupfart unterrichtete. Geklappt hat das aber nie richtig, das mit diesen Heimatgefühlen um jeden Preis. Fernweh und Abenteuerlust waren höher im Kurs. Und so wurde sie vor dreissig Jahren nicht etwa Mutter von mehreren Kindern, «weil alle nur darauf warteten, dass ich hier endlich schwanger werde», vielmehr wurde die ledige Primarlehrerin Karin Waldmeier zuerst Geliebte und später Ehefrau eines libanesisch-sudanesischen Industriellen. Sudan statt Schupfart. Savanne statt Sonnenberg. Toutounji, wie sie heute heisst, ist ein Kind der Wüste, und in ihren Gedanken unaufhaltsam wie ein Sandsturm, manchmal ebenso schwierig fassbar.
Der Flirt von Guadeloupe
Für sechs Wochen hat sie jetzt die Dünen gegen ein kleines Studio getauscht. Hier am Igelweg in Möhlin, unter dem Dach bei einer Freundin, hat sie ihr Zelt aufgeschlagen. In der Garage steht ein weisses Auto. Im Sudan ist sie meistens mit Kamelen unterwegs. Toutounji ist mal wieder hier. Zurück im Ort, wo ihre Wiege stand, und wo sie als Fräulein Waldmeier mit einem Hang fürs Weltenbummeln nie Wurzeln fand. Auch davon erzählt sie jetzt: Wie ihr vor über dreissig Jahren ein Mann am Strand von Guadeloupe plötzlich vor der Sonne stand und ein flüchtiges Gespräch mit ihr führte. So hatte alles begonnen. Aus dieser Flüchtigkeit der Begegnung wurden ein Sommerflirt, ein baldiges Wiedersehen in der Schweiz, ein zweites obendrein, Freundschaft, Liebschaft, etwas Ernsthaftes. Dieser Mann am Strand von Guadeloupe, in den sie sich verguckte, dieser feine Herr, der ihr Komplimente machte und von dem sie zuerst dachte, dass Männer sowieso viel reden, wenn der Tag lang ist – er ist heute noch ihr Ehemann. Er ist dieser Industrielle und der Grund, weshalb sie hier in der Schweiz anno 1984 alles an den Nageln hängte: Ihren gut bezahlten Lehrerjob, Strom zu jeder Zeit, Pünktlichkeit und Klopapier. «Ich war eine Suchende und habe im Sudan gefunden.»
Verlorenes Herz
Toutounji wohnt in Khartum. Auch dort ist nach über dreissig Jahren die Moderne angekommen. Sie und ihr Mann wohnen in einem Villenviertel aus der Kolonialzeit. Daraus macht Toutounji keinen Hehl. Im Gegenteil: «Ich bin Hedonist», sagt sie von sich selber, um dann lächelnd zu gestehen: «Ich bin hier auf diesem Planeten, um mich zu vergnügen.» Sie kann es sich leisten. Eigentlich. Doch genau hier zeigt sich dieses Suchende an dieser Frau im weissen, wallenden Gewand. Statt des permanenten Prunks zieht sie laut eigenen Angaben längst das karge Hinterland vor. Weit draussen irgendwo im Nirgendwo hat Toutounji ihr Herz an die afrikanische Wüste verloren. Unter brütender Hitze durch den Sand zu gehen und Spuren zu hinterlassen, bis sie der Wind verweht, das ist ihr ein Vergnügen. Nach diesem Leben dürstete die Frau rasch einmal, und just davon konnte sie nie genug kriegen. Heute organisiert Toutounji-Waldmeier Kameltouren quer durch die Wüste, abenteuerliche Trecks zu den Pyramiden, hinaus zu den Tempelanlagen und anderen archäologischen Zeitzeugen. Und obschon sie weiss, dass sie immer wieder zurückkehren kann in ihre behütete Umgebung, in ihr Haus und in die geordnete Umlaufbahn der Gesellschaft in Karthum, zieht es sie nur noch weiter hinaus. «Wenn ich auf meiner Düne sitze, dann ist das in diesem Moment meine Heimat.» Es scheint, als hätte diese Suchende aus dem Fricktal ausgerechnet in diesem unsteten sudanesischen Wüstenboden doch noch Wurzeln geschlagen. Sie spricht von dieser Sammlung von Sandkörnern, von dieser faszinierenden Naturgewalt, wenn sie aufgewirbelt werden, «als würde Gott einen roten den Vorhang ziehen und du kniest einfach nur noch da, zusammengekauert im Sand und wartest bist der Sturm vorüberzieht.»
«Ich hätte ein Leben lang bereut»
Bislang nahm noch jeder Sturm ein Ende. Selbst jener, den sie auslöste, als sie ihren Eltern damals eröffnete, ein komplett neues Leben im Wüstenstaat beginnen zu wollen. «Das war keine einfache Zeit. Sie hatten Angst um mich.» In einem Brief an Vater und Mutter hielt sie damals fest: «Ich weiss nicht, wie dieses Abenteuer ausgeht. Ich weiss nur, dass ich es tun muss – sonst werde ich mein Leben lang bereuen, es nicht versucht zu haben.» Ihre Eltern leben nicht mehr. Doch noch immer sind es viele Freunde und Bekannte, die sie jetzt wieder im Fricktal besucht. «Ich würde es heute genau gleich wieder wagen», sagt Toutounji, auf einem Kissen sitzend. Ganz egal was und wie andere denken: In diesem Leben ist sie ganz schön verliebt in die Wüste und fühlt sich dort wie neu geboren, wenn Gott den Vorhang wieder zieht.