«Die Energie kommt vom Pferd»

  19.09.2013 Kaiseraugst, Unteres Fricktal, Porträt, Persönlich

Ruhig steht J.R. im Innenhof der «Obrist-Ranch» in Kaiseraugst. Ruth Obrist-Angehrn sattelt den 21-jährigen «American Quarter Horse»-Wallach ab, streichelt ihn liebevoll, und führt ihn zurück in die Box. Die Mohrrübe, die ihm der Patient zusteckt, hat er redlich verdient. Eine Hippotherapie-Stunde mit einem Jugendlichen, der an einer cerebralen Bewegungsstörung leidet, ist vorbei.

 

«Schweiz ist ein Pionierland»

«Für mich war immer klar, dass ich mit Pferden arbeiten will. Ich bin mit  Rössern aufgewachsen und als Kind schon geritten», erzählt die 62-Jährige, die Cowboystiefel mit Sporen und eine Reitjeans trägt. Ihre Kindheit und Jugend hat sie in St. Gallen verbracht. Ihrer Familie gehörte der Grosshandel «CCA - Cash+Carry Angehrn», der heute zu 80 Prozent im Besitz der Migros ist. Nach der Handelsschule kam Ruth Obrist-Angehrn mit 20 Jahren in die Nordwestschweiz, um in Basel die Ausbildung zur Physiotherapeutin zu absolvieren. Schon bald hat sie Pferde zur Therapie eingesetzt. «Das Pferd ist das ideale Hilfsmittel bei der Therapie von Bewegungsstörungen», sagt Obrist. Mit 28 Jahren machte sie sich als Physiotherapeutin selbständig.

Bei Ursula Künzle, der Gründerin der so genannten Hippotherapie-K, hat sie sich weitergebildet. «Die Schweiz ist ein Pionierland bei der Hippotherapie», schildert Obrist. Die IV (SVA) übernimmt die Kosten der Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit cerebralen Bewegungsstörungen. Bei MS-Patienten sind die Kosten durch die Grundversicherung der Krankenkassen gedeckt. «Die Akzeptanz in der Schweiz ist sehr gross. Wir sind das einzige Land, in dem die Hippotherapie zu den Pflichtleistungen von IV und Krankenkasse gehört, aber leider nur bei einem Teil der Patienten. Trotzdem ist die Hippotherapie noch zu wenig bekannt», findet Obrist.

 

Patient kann sich nicht entziehen

Bei der Hippotherapie überwacht die Therapeutin den Patienten vom Boden aus oder reitet zusammen mit ihm. «Wenn der Patient auf dem Pferd sitzt, kann er sich dem Training nicht entziehen. Der Körper reagiert automatisch auf alle Bewegungen. Die Energie kommt vom Pferd. Das Gleichgewicht wird gefördert und es wirkt spastikhemmend.» Es gebe auch Nebenwirkungen, allerdings nur positive, so Ruth Obrist: «Die Sprache, Konzentration und Wahrnehmung werden verbessert. Ängste können abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden.»

Nicht jedes Pferd eignet sich als Therapietier. «Es braucht eine gute Grundausbildung als Reitpferd, eine ideale Bewegungsübertragung und den richtigen Charakter. Die Pferde müssen mitarbeiten wollen.»

Seit über zehn Jahren ist Ruth Obrist auf Hippotherapie-K spezialisiert. Pro Woche kommen über 50 Patienten zu ihr. 60 Prozent davon sind Kinder mit einer cerebralen Bewegungsstörung, 40 Prozent Erwachsene mit MS oder Hirnschlagpatienten. Sie beschäftigt zwei Vollzeitangestellte und zwei Teilzeit-Therapeutinnen. «Anders wäre es nicht zu bewältigen.»

Die «Obrist-Ranch», die sie an diesem Standort vor 20 Jahren zusammen mit ihrem Mann, dem Unternehmer Gerhard Obrist, gebaut hat, bietet die ideale Infrastruktur. «Mein Mann ist auch ein Rössler. Wir sind ein eingespieltes Team und haben alles gemeinsam erreicht.» Die beiden lernten sich 1974 auf der Rennbahn in Aarau kennen. «Pferde waren schon immer unsere Leidenschaft.»

 

Mit Studie weltweit etwas erreichen

Derzeit beteiligt sich Ruth Obrist, die zu den Pionierinnen der Hippotherapie in der Schweiz gehört, an einer Studie mit der Uni Basel und mit dem UKBB, dem Universitätskinderspital beider Basel. Finanziert wird die Studie von der «Schweizerischen Stiftung für das cerebral gelähmte Kind». Mit Untersuchungen im Ganglabor soll dabei die Wirksamkeit der Hippotherapie belegt werden. «Diese Studie wird weltweit etwas auslösen. Ich wünsche mir, dass die Hippotherapie auch in anderen Ländern anerkannt wird. Wenn uns das gelingt, dann habe ich ein Lebensziel erreicht», sagt Obrist mit einem Lachen.   

Pferde bedeuten Ruth Obrist sehr viel. Es gibt – ausser in den Ferien - keinen Tag, an dem sie nicht reitet. «Die Pferde sind ein wichtiger Teil meines Lebens. Reiten fördert die Gesundheit und der Umgang mit Pferden ist eine Persönlichkeitsschulung. Die Tiere sind ein Spiegel für den Menschen. Wenn er nervös ist, reagieren sie auch nervös.»

Ruth Obrist und ihr Mann züchten «American Quarter Horse»-Pferde und bilden die jungen Pferde selber aus. Daneben sind die Eltern von zwei erwachsenen Söhnen leidenschaftliche Westernreiter. Für sie gilt das Sprichwort: «Das grösste Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde.»


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