Zwischen zwei Welten
01.08.2024 Persönlich, RheinfeldenMuriel Niang und ihr Leben in der Schweiz und im Senegal
Es war am Fest der Kulturen in Rheinfelden, als Muriel Niang zu erzählen begann: vom bereichernden Leben zwischen dem Senegal und der Schweiz. Ihr Mann Madiakher trommelte derweil bei einem senegalesischen Tanzkurs von Freunden ...
Muriel Niang und ihr Leben in der Schweiz und im Senegal
Es war am Fest der Kulturen in Rheinfelden, als Muriel Niang zu erzählen begann: vom bereichernden Leben zwischen dem Senegal und der Schweiz. Ihr Mann Madiakher trommelte derweil bei einem senegalesischen Tanzkurs von Freunden mit.
Yasmin Malard
In einer ruhigen Siedlung in Reinach, daheim bei Muriel und Madiakher Niang. Wie sie miteinander kommunizieren, ist faszinierend. Eine Mischung aus Französisch, Deutsch und Wolof, der lokalen Sprache des Senegals. Auf dem Boden sitzend, fängt Muriel an, zu erzählen. Mit dabei ist die zehn Monate alte Tochter Yumajia. Sie interessiert sich für Stift und Notizbuch und versucht die ganze Zeit verspielt, die Sachen zu klauen. Auch als Madiakher sich bemüht, die Kleine mit der Trommel abzulenken und später selbst zu Stift und Büchlein greift, verliert sie ihr Interesse nicht.
«Ich wusste, hier fühle ich mich daheim»
Aufgewachsen ist Muriel Niang in Reinach, wo sie zurzeit auch wohnt. Eine Ausbildung zur Sozialpädagogin hat sie in der Agogis in Basel und im Zentrum auf der Leiern in Gelterkinden gemacht. Momentan arbeitet die 29-Jährige in Aesch für die Einzelintegration von Schulkindern. Zum ersten Mal mit dem Senegal in Kontakt getreten ist sie, als sie einen zweiwöchigen Tanzkurs in M’Bour, einer Grossstadt an der westlichen Küste des Landes, besucht hat, empfohlen von ihrer Physiotherapeutin und späteren Freundin. «Sobald ich aus dem Flugi stieg, wusste ich, hier fühle ich mich daheim.» 2019, ein Jahr später, kehrte sie für drei Monate zurück mit dem Ziel, das Land und seine Leute besser kennenzulernen und sich für die Bevölkerung sozial einzusetzen. Nach diesen drei Monaten war für sie klar, dass sie nur noch in die Schweiz kommen würde, um alles für die Auswanderung bereitzumachen. Und dann blieb sie ganze drei Jahre im Senegal, fand die Liebe, heiratete und gründete ein eigenes Hilfsprojekt.
Herausfordernde Zeiten
Der Anfang sei nicht leicht gewesen. Sie war inmitten der Pandemie angekommen und hatte gewusst, wenn sie in die Schweiz zurückkehren würde, könnte sie nicht so einfach wieder weg. So blieb sie und erlebte die Coronazeit aus ganz anderen Augen – aus Augen, die schon Ebola überlebt hatten. Nicht nur Covid, sondern auch die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahlen fanden während ihres Aufenthalts statt. All dies führte zu Unruhen im Land sowie zu Unsicherheiten in Bezug auf diverse Lebensgrundlagen, wie zum Beispiel die medizinische Versorgung für die bevorstehende Geburt ihrer Tochter. Aus Angst vor möglichen Ausschreitungen während des Geburtstermins kehrte das Paar deshalb in die Schweiz zurück und Muriel gebar Yumajia. Mit der Wahl von Faye als Staatsoberhaupt, der gegen Korruption und für Demokratie einsteht, habe es viel weniger Tumult gegeben als erwartet. Es war eine Wahl, die das Volk sehr begrüsste.
Leben in M’Bour
Muriel Niang lebte nie in einem touristischen Stadtteil, sondern in einer unmöblierten Wohnung und in der Familie ihres Mannes. «Ich sah das 08/15-Leben im Senegal. In der Wohnung hatten wir keinen Kühlschrank. Dafür ging man vor jeder Mahlzeit zu einem kleinen Laden an der Ecke und kaufte sich beispielsweise ein Stück Butter. Kleingeld gibt es nicht viel. Wenn man keine Münzen und nur grosse Geldnoten bei sich hat, dann zahlt man mehr, als es kostet, und beim nächsten Einkauf kann mit diesem mehrbezahlten Betrag die neue Ware erworben werden.» Sie sei einfach in dieses Leben hineingewachsen. Ihr wurde gezeigt, wie man die senegalesischen Gerichte kocht; ein typisches Beispiel dafür sind Eintöpfe, die manchmal für die ganze Nachbarschaft zubereitet werden. Sie lernte, mit der Hand zu essen und mit dem ÖV, der aus Pferdekutschen und Taxis besteht, durch die Strassen zu fahren. Sie lernte mehr und mehr die Sprache Wolof. Um diese üben zu können, gibt es keine Sprachkurse. Sie hat nach und nach durchs Hören und Übersetzen aus dem Französischen gelernt; denn französisch ist die Landessprache im Senegal, auch wenn sie längst nicht alle sprechen. Sobald sie mit der Sprache durchkam, hatte sie sich Respekt verdient, fand Anschluss bei der Frauencommunity und wurde immer mehr Teil der Gesellschaft vor Ort.
Multikulti
Speziell am Land Senegal im Generellen sei das friedliche Zusammenleben von vielen Kulturen, Ethnien und Religionen. Wenige Meter voneinander entfernt stehen sowohl Kirchen als auch Moscheen und indigene, panafrikanische Religionen koexistieren neben dem Christentum und Islam. Vorurteile gibt es dennoch überall. In der Schweiz fragen die Leute Madiakher ständig nach Drogen, im Senegal fragen sie Muriel nach Geld.
«Ich kenne das Schwierige und Schöne von beiden Welten»
«Das Leben im Senegal ist hart, aber die Lebensvitalität und Kontaktfreudigkeit ist hoch und es gibt eine Zufriedenheit, die ich hier so nicht kenne. Man kann im Hier und Jetzt leben. In der Schweiz lebt man immer schon im Morgen.» Die Kehrseite dazu: die Armut und Perspektivlosigkeit. «Leute, die ihr Leben lang tun und machen, so viel sie können, aber nicht vorwärtskommen. Hier können wir alles wünschen und erreichen, wenn wir es wollen – dafür haben wir die Leere. Ich kenne das Schwierige und Schöne von beiden Welten.»
Coeurs des Enfants
Um dieser Armut entgegenzuwirken, hat Muriel Niang mit ihrem Mann zusammen ein Hilfsprojekt gegründet, das «Coeurs des Enfants» heisst. Die Organisation bietet zum einen Akuthilfe an in Form von Mahlzeiten und Grundnahrungsmitteln für Menschen in einem Quartier in M’Bour. Es wird gekocht und alle, die möchten, dürfen kommen und essen. Zum anderen unterstützen sie Menschen, welche viel arbeiten, aber trotzdem nicht genug verdienen, um zu überleben. Der Schwerpunkt dabei ist die Hilfe zur Selbsthilfe, damit die Familien nicht abhängig werden, sondern ihren Lebensunterhalt selbstbestimmt verdienen können. Bisher konnten drei Schulpatenschaften vereinbart werden, die den Kindern den Zugang zu Bildung ermöglichen und aktuell wird ein gutes Dach für eine Grossfamilie gebaut, damit sie die Möglichkeit haben, Zimmer zu vermieten – eine zusätzliche Einnahmequelle.
Der dritte Schwerpunkt ist das Schaffen von Begegnungsorten. Hier in der Schweiz findet regelmässig ein senegalesischer Tanzkurs in Basel statt, unterrichtet von Madiakher. Auch beim kommenden Fest «Cheu Cheu» in Münchenstein am 17. August, wird es sicher einen spannenden Kulturaustausch geben. Und in Zukunft wird es möglich sein, mit den beiden in den Senegal zu reisen und mit ihnen gemeinsam in das senegalesische Leben einzutauchen.
Am Anfang hatte Muriels Umfeld sehr skeptisch auf ihre Ideen und Zukunftspläne reagiert. «Ist ja auch kein konventioneller Lebensweg», sagt sie und lacht. Nachdem sie aber mehr von der Geschichte und ihrer Beziehung erfahren hatten, legte sich diese Skepsis. Dies habe viel mit fehlendem Wissen und Austausch zu tun. «Wir haben in der Schweiz so viele Bildungsmöglichkeiten, aber trotzdem wissen und verstehen wir vieles nicht.»
Vorerst wird die kleine Familie weiter in Reinach leben und arbeiten, irgendwann geht es aber sicher wieder zurück in den Senegal. «Es ist schliesslich meine zweite Heimat.»