Zwischen Spitalbett und Schulungsraum

  27.04.2024 Gipf-Oberfrick, Gesundheit

Katja Deiss, Expertin Intensivpflege und Notfall-Trainerin

Seit dem 1. Februar gibt es auch im Kanton Aargau sogenannte First Responder. Diese ehrenamtlichen Ersthelfer überbrücken bei einem Notfall-Ereignis die kritischen Minuten bis zum Eintreffen der Rettungskräfte. Katja Deiss aus Gipf-Oberfrick bereitet Ersthelfende auf ihren Einsatz vor.

Simone Rufli

Bei einem medizinischen Notfall ist jede Minute entscheidend – viele wissen das, doch wie reagiert man richtig? «Das ist genau das Problem», sagt Katja Deiss. «Wer Angst hat, etwas falsch zu machen, lässt wertvolle Zeit verstreichen. Dabei können Ersthelfer bis zum Eintreffen der Rettungssanität viel abfangen.»

Katja Deiss weiss wovon sie spricht. Die Fricktalerin betreut seit über zwanzig Jahren schwerstkranke oder -verletzte Menschen auf der Intensivstation im Kantonsspital in Aarau (KSA). Nach der Grundausbildung zur Krankenschwester absolvierte sie ein Nachdiplomstudium zur diplomierten Expertin Intensivpflege NDS HF. Heute arbeitet sie in einem 40-Prozent-Pensum im KSA und unterrichtet daneben an zwei Orten: zu rund 20 Prozent an der OdA GS in Brugg (Organisation der Arbeitswelt Gesundheit und Soziales Aargau AG), einer Ausbildungsstätte für Gesundheits- und Sozialberufe, sowie an mindestens zwei Fix-Tagen pro Monat als Kursleiterin bei «notfall-Training schweiz».

«Ich schätze den Wechsel zwischen der Arbeit am Bett und dem Weitergeben meiner Erfahrungen.» Je nach Schicht im Spital sei es herausfordernd, «die Mischung gibt mir aber auch viel Energie. Und da ich mich auf der Intensivstation, aufgrund ihres Zustands, kaum mit meinen Patienten unterhalten kann, schätze ich den Austausch beim Unterrichten von gesunden Menschen sehr.»

Wobei sich die Art des Unterrichts noch einmal deutlich unterscheidet. Während Katja Deiss an der OdA angehende Fachpersonen Gesundheit im Alter zwischen 15 und 20 Jahren in medizinisch-technischen Themen schult, besucht sie als Ausbildnerin von «notfall-Training schweiz» Firmen und Institutionen in der ganzen Deutschschweiz, unter anderem auch im Fricktal. «Mal leite ich einen Kurs für Mitarbeitende in einem Kernkraftwerk, mal in einem Stahlverarbeitungs-Betrieb, ein andermal in einer Grossbäckerei und gelegentlich auch bei einem Elternverein.»

Unterschiedliche Bedürfnisse
Zu den Kunden von «notfallTraining schweiz» zählen Ersthelfer aus den Bereichen Betriebssanität, First Responder und Feuerwehren, Sicherheitsfachleute, Privatpersonen, Lehrpersonen, Vereine, Gemeinden, Kinderbetreuungsstätten, Medizinische Fachpersonen aus den Bereichen Arzt- und Zahnarztpraxis, Klinik, Physio- und Ergotherapie, Psychiatrie, Spitex, Altersund Behindertenheim, ebenso wie Mitarbeitende in Schwimmbädern, Jugendheimen und Berufschauffeure. Aus allen Bereichen des Lebens eben, wo es zu einem medizinischen Notfall kommen kann.

Als eine von über 40 Kursleiterinnen leitet Katja Deiss je nach ihrem Spital-Dienstplan unterschiedlich viele Kurse. «Eine schöne Aufgabe», versichert sie, «wir sind willkommen und die Leute sind dankbar. Vielleicht auch darum, weil das in den Kursen Gelernte auch im privaten Umfeld hilfreich sein kann.» Eintönig ist ihre Arbeit nie. «Es geht immer darum, die Leute ihren spezifischen Bedürfnissen entsprechend zu schulen. Wir arbeiten auch gerne mit Fallbeispielen, weil die besser im Gedächtnis haften bleiben als reine Theorie.» Das benötigte Material ist immer mit dabei. «Wir fahren mit einem Firmenauto zu den Kunden, ausgerüstet mit dem ganzen Equipment, damit wir möglichst realitätsnahe Übungen machen können.»

Alles Notfallmediziner
«notfallTraining schweiz» wurde 2001 von einer Rettungssanitäterin in Biberist gegründet und führte zu Beginn rund 400 Kursteilnehmer pro Jahr in Erste Hilfe ein. Die Nachfrage stieg, die Firma wuchs, im Frühling 2018 wurde der Firmensitz nach Oensingen verlegt, mit Platz für eigene Kursräumlichkeiten. Mittlerweile führt das Unternehmen jährlich Schulungen für über 7000 Teilnehmer durch; darunter öffentliche Kurse, zu denen sich Privatpersonen anmelden können. «Alle Kursleiterinnen und Kursleiter sind Notfallmediziner. Alle arbeiten am Bett, das ist Bedingung», sagt Katja Deiss.

Am Ende eines Kurses erhalten die Teilnehmer ein Zertifikat. Nach zwei Jahren ist eine Auffrischung fällig. «Die Erfahrung zeigt, dass viel Wissen verloren geht, wenn man es nicht braucht. Auch wir Kursleiter müssen jedes Jahr eine didaktische und medizinische Fortbildung besuchen.» Bei ihr würden regelmässig noch Kurzfortbildungen auf der Intensivstation dazukommen.

Irreparable Schäden vermeiden
Warum Erste Hilfe so wichtig ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Gemäss der Schweizerischen Herzstiftung erleiden in der Schweiz jedes Jahr rund 30 000 Personen ein akutes koronares Ereignis, schätzungsweise 16 000 einen Hirnschlag und 8000 einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand werden die Organe und das Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, was vor allem für das Gehirn verheerend ist, das einen viel höheren Sauerstoffverbrauch hat als andere Organe. «Darum ist es wichtig, dass Ersthelfer mit Herzdruckmassage und mit Beatmung dafür sorgen, dass das Gehirn so schnell wie möglich wieder mit Sauerstoff versorgt wird. Denn jede Minute, die man untätig verstreichen lässt, erhöht die Chance auf irreparable Hirnschäden.»

First-Responder-System
«Dass immer mehr Defibrillatoren im öffentlichen Raum zugänglich sind und ihre Standorte bekannt gemacht werden, ist erfreulich», sagt Katja Deiss. Und dass der Kanton Aargau am 1. Februar ein flächendeckendes First Responder-System eingeführt hat, sei ein wichtiger Schritt, um besser auf Notfälle reagieren zu können. Seither ist es so: Geht bei der kantonalen Notrufzentrale (144) ein Alarm ein mit den Stichworten «Bewusstlosigkeit» oder «leblose Person», werden automatisch die in der Nähe befindlichen registrierten First Responder alarmiert. Über eine App erfahren diese Ersthelfer, wie gross ihre Entfernung zum Patienten ist und in wie vielen Minuten mit einer professionellen Rettungsmannschaft gerechnet werden kann. Ebenfalls via App können sie den Einsatz annehmen oder ablehnen, was andere Registrierte sehen können.

Nimmt ein Ersthelfer den Auftrag an, ist es seine Aufgabe, die kritische Zeit bis zum Eintreffen der professionellen Rettungsdienste zu überbrücken. In die Liste der First Responder wird nur aufgenommen, wer eine Ausbildung für Ersthilfe bei Herz-Kreislauf-Stillstand absolviert hat.


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