«Wie stellst du dir den Tod vor?»
29.01.2025 Möhlin, PersönlichHedi Soder hilft den Lebenden sowie den Sterbenden: Zwischen Tiefgründigkeit und Gewitztheit, zwischen Demut und Selbstbestimmtheit. Ein Mensch mit Herz, eine Frau mit Geschichte. Hedi Soder aus Möhlin ist unverwechselbar.
Yasmin Malard
Persönlich wird es ...
Hedi Soder hilft den Lebenden sowie den Sterbenden: Zwischen Tiefgründigkeit und Gewitztheit, zwischen Demut und Selbstbestimmtheit. Ein Mensch mit Herz, eine Frau mit Geschichte. Hedi Soder aus Möhlin ist unverwechselbar.
Yasmin Malard
Persönlich wird es schnell im «Persönlich» mit Hedi Soder. Verantwortlich dafür ist ihre Direktheit und die Neugier, eine Eigenschaft, die sie sich selbst auch zuschreibt. Diese Neugier, nebst ihrer Offenheit und Zugewandtheit, hat die 74-Jährige dazu veranlasst, bei verschiedensten Projekten von Freiwilligenarbeit mitzuwirken, wie bei den Ü65-Treffen, den Geburtstagsbesuchen und als Sigristin, Seelsorgehelferin und Sterbebegleiterin bei der Christkatholischen Kirche. Seit vier Jahren amtet sie als Präsidentin des Besuchsdienstes «Zeit haben, Zeit schenken» in Möhlin.
Die liebe Zeit
Motivation etwas Gutes zu tun, ist das eine, Zeit dafür aufzubringen, das andere. Wie lassen sich all diese Einsätze in einen Kalender integrieren, der auch immer Platz für ihre drei Töchter und deren Kinder aufweist? «Ja, das ist schon manchmal ein Problem», sagt sie und lacht heiter. «Das muss ich immer wieder neu herausfinden.»
Schon immer war Hedi Soder vielbeschäftigt und aktiv, ihre Gesundheit zwinge sie aber immer mehr, auch einmal hinzuhocken. Glücklicherweise beschäftigt sie sich gerne mit sich selbst – «nein, nein, ich habe auch gerne Zeit für mich allein» – und nimmt sich diese Zeit, um nachzudenken und aufzutanken. Denn aus einem leeren Brunnen kann man nicht schöpfen.
Das Tabu rund um die Einsamkeit
Laut der aufgestellten Frau sind engagierte Leute immer wieder gesucht, denn vor allem bei alleinstehenden Personen im Alter ist der Bedarf an Zuwendung und Achtsamkeit unglaublich hoch; einfach gesehen und verstanden zu werden reicht schon aus. Für die Betroffenen ist der schwierigste Schritt, sich zuzugestehen, dass sie einsam sind und gerne mehr Gesellschaft hätten. «Das ist noch immer ein grosses Tabu.»
Abwechslungsreiche Arbeitsgeschichte
Immer wenn sie von den Ferien zurückkommt, freut sich Hedi Soder heimzukehren; ins Fricktal, wo sie schon ihr ganzes Leben verbracht hat. Eigentlich gelehrte Arztgehilfin, arbeitete sie jahrelang auch als Buchhalterin im Spenglerei-Sanitär-Geschäft ihres vor zehn Jahren verstorbenen Mannes.
«Als Frau wird man stark über die Arbeit definiert und wir Frauen müssen uns immer noch mehr beweisen als die Männer, um gesehen zu werden – fast so, als hätten die Männer Angst vor der Stärke der Frau», sagt sie verschmitzt. Später, vor dreissig Jahren, fing sie schliesslich an, Sterbebegleitung anzubieten. Schon als das Thema in den Raum kommt, wird die Stimmung andächtig. Es bleibt kein Zweifel, wie nahe und wichtig ihr diese Arbeit ist.
Am Schluss passiert noch ganz viel
Angefangen habe sie damit, als ihr Schwiegervater im Sterben lag. Danach begann sie, Bücher zu lesen und auch Menschen auf dem Weg zum Tod zu unterstützen, die sie nicht kannte. Oder besser gesagt: noch nicht. Denn intimer und persönlicher, als jemanden ans Ende zu begleiten, geht es kaum. In den letzten Wochen und Monaten vor dem Tod passiere noch ganz viel. Familiengeschichten werden aufgearbeitet, Versöhnungsversuche finden statt, Akzeptanz mit sich selbst und den Nächsten. Deswegen sei es auch für die Angehörigen eine schwierige Sache, eine fremde Person in diesen Familienkonstellationen zu begrüssen, und sie zögerten teils mehr als die Betroffenen, das Angebot in Anspruch zu nehmen. «Da muss man ganz viel spüren», sagt sie. Und viel bedingungslose Menschenliebe braucht es, die Betroffenen so hinzunehmen, wie sie sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so entsteht langsam eine Beziehung zwischen zwei Menschen, ein «Pingpong», wie sie sagt, ein Austausch, der beiden etwas gibt.
«Sie gehen so, wie sie gelebt haben»
Der Verlauf der letzten Lebenszeit sei bei jedem und jeder Sterbenden anders. «Sie gehen so, wie sie gelebt haben. Das fasziniert mich immer wieder.» Der Weg dahin kann für die Begleiterin auf ebenso viele Arten geschehen. Manchmal sitzt Hedi Soder für sechs bis acht Stunden am Bettrand, hält die Hand, leistet Beistand und ist einfach da. Manchmal singt sie, betet, liest oder spricht sie. «Wie stellst du dir den Tod vor?», kann ein Gesprächsthema sein. Denn bei der Sterbehilfe geht es auch um eine mentale Vorbereitung.
Sie möchte den Leuten die Angst vor dem Tod nehmen. Noch zu fest seien angstschürende alte Gedankenmuster der Hölle in den Köpfen eingebrannt und die Schuldfrage nage an den Gläubigen. «Da hat die Kirche einiges falsch gemacht», gibt sie zu bedenken, auch wenn sie dem Glauben und vor allem der Christkatholischen Kirche sehr nahesteht. Die Christkatholische Kirche sei, wie sie so schön sagt «cheibe frei und offe», und lässt neben weiblichen Pfarrerrinnen auch homosexuelle Paare zur Trauung zu. Ihr neustes Projekt: die fünf Christkatholischen Kirchgemeinden im Fricktal mit einem Team in eine gemeinsame Kirchgemeinde zusammenzuführen.
Ein Geschenk
Es komme vor, dass die Menschen, mit denen sie eine Bindung aufgebaut hat, in ihrer Anwesenheit dann wirklich auch sterben. Eine Begleiterin zu sein für Menschen vom Dasein ins Jenseits sei ein Geschenk, bemerkt sie und wiederholt das andächtig mehrere Male. «Was das mit mir macht? Es erfüllt mich. Es macht mich demütig und es macht mich dankbar.» Es wird still im Wohnzimmer. Sie lächelt leise. «Ja, das ist es.»