«Man muss halt kreativ werden»
30.04.2025 Persönlich, MagdenDer Magdener Philip Wagner bewegt sich zwischen Kunst und Psychologie
Ganz unscheinbar und bescheiden auf den ersten Blick – «Ich weiss nicht, ob ich viel Spannendes zu erzählen habe» – überrascht Philip Wagner mit seinen vielseitigen ...
Der Magdener Philip Wagner bewegt sich zwischen Kunst und Psychologie
Ganz unscheinbar und bescheiden auf den ersten Blick – «Ich weiss nicht, ob ich viel Spannendes zu erzählen habe» – überrascht Philip Wagner mit seinen vielseitigen künstlerischen Talenten und zeigt, dass Kreativität sich auch in ruhigen und introvertierten Personen in Fülle finden lässt.
Yasmin Malard
Spätestens als der nun 21-jährige Philip Wagner im Gymnasium Bildnerisches Gestalten zu seinem Schwerpunkt gewählt hatte, gab es in seinem Leben viel Raum für Musisches. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, der künstlerischen Affinität weiter nachzugehen und sie zum Beruf zu machen, kam dann aber zum Entschluss, dass es für ihn lieber ein Hobby bleiben sollte. «Ich möchte lieber die Freiheit haben, an Projekten zu arbeiten, die mir etwas bedeuten, anstatt an vorgegebene Aufträge gebunden zu sein», sagt er. «Und ich hätte gerne einen stabileren Job», fügt er grinsend hinzu. Ob er gerne Sicherheit habe im Leben? «Ja, würde ich schon sagen.»
Menschen verstehen
So kam die Psychologie ins Spiel. Auch sie begleitet ihn seit Gymnasialzeiten; zunächst als Ergänzungsfach, nun als Vollzeitstudium in Basel. Er möchte herausfinden, wieso Menschen sich so verhalten, wie sie dies tun und dabei die Rolle des Gehirns verstehen. «Ein spannendes Organ», wie er sagt. Die Sozialpsychologie fasziniert ihn besonders: Sie untersucht, wie die objektive Situation sich auf das menschliche Erleben, Denken und Handeln auswirkt und erklärt, wieso Menschen sich in verschiedenen Situationen unterschiedlich verhalten. Was ihm auch am Studium gefällt, sind die praktischen Erfahrungen. Im zweiten Jahr beispielsweise können die Studentinnen und Studenten eigenen Forschungsfragen nachgehen, ein Experiment entwickeln, durchführen, auswerten und danach eine wissenschaftliche A rbeit schreiben. Von diesen «hands-on»-Projekten hätte er gern noch mehr, damit nicht einzig Auswendiglernen von theoretischen Inhalten im Zentrum des Studiums steht.
Wichtig findet Philip Wagner, den sozialen Aspekt an der Uni zu fördern. Im Studiumsalltag sei man in der Regel nicht mehr in eine feste soziale Struktur eingebunden, wie man es früher in einem Klassenverbund war. Da sei es mehr Eigenverantwortung und Aufgabe, sich genügend zwischenmenschliche Zeit zu verschaffen.
Oder auch, Zeit für persönliche Projekte zu finden neben dem schulischen Leben – trotz gefühlt chronisch mangelnder Zeit. Das scheint ihm aber gut zu gelingen. Auf Youtube hat er mit einer Freundin einen Science-Fiction Kurzfilm veröffentlicht (zu finden unter: «Loop short film my movie magic»), bei dem der kriminelle Protagonist mit Hilfe seines zukünftigen Ichs der Polizei entf liehen kann. Das Drehbuch, den Schnitt und sogar die Filmmusik hat er in seiner Freizeit entwickelt. Die Szenen haben sie selbst geschauspielert und mit der Handykamera aufgenommen, die Musik hat er auf seiner Gitarre gespielt und mit Hilfe eines Musikprogramms ergänzt. «Wenn man nicht viele technische Mittel hat und nur zu zweit ist, muss man halt kreativ werden. Aber eigentlich braucht es nicht viel.»
Schreiben, schreiben, schreiben
Viel sind aber seine Ideen. «Ich muss manchmal aufpassen, dass es nicht ausartet.» Sein neustes Projekt beinhaltet das Schreiben eines Romans. «In Richtung Thriller soll es gehen, mit einem leichten Hauch von Fantasy.» Seit eineinhalb Jahren feilt er an der Geschichte und hat nun die ersten 150 Seiten geschrieben. Der Plot findet in der heutigen Welt statt, in der es aber einen begehrten Mantel mit mystischer Kraft gibt, hinter dem verschiedene Akteure her sind. «Eine Art Katz-Maus-Spiel.» Der Mantel soll ihnen besondere Wünsche erfüllen können. Dabei geht es um die Frage, ob das, was der Mantel ihnen gibt, sie glücklich machen kann und ob es der richtige Weg ist, für die Erfüllung dieser Wünsche. Ganz schön philosophisch also. Eigentlich war das Buch als Comic geplant gewesen, bis der Text fürs Skript zu umfangreich geworden ist.
Eine Geschichte von früher und heute
Die Idee, einen Comic zu schreiben, hatte er nicht zum ersten Mal. Sein erster Comic, schwarz-weiss mit Tusche gezeichnet, entstand im Rahmen seiner Maturaarbeit, das laut ihm bisher persönlichste Projekt, welches die Kindheit seiner in der Sowjetunion geborenen Mutter aufarbeitet. Der Comic schaffte es am Maturaarbeitswettbewerb an der Hochschule der Künste in Bern auf den dritten Platz. «Ich wollte ein Thema nehmen, das man nicht einfach auf Wikipedia nachschauen kann. Der persönliche Bezug gibt dem Ganzen einen realistischeren Touch, auch wenn ich fiktive Elemente integriert habe. Es war interessant, herauszufinden, wie es sich angefühlt haben muss in dieser anderen Welt mit einer komplett anderen politischen Ideologie.» Die Rahmenhandlung bezieht sich auf den jetzigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Die Geschichte fängt nämlich in der Gegenwart an und reicht mit Flashbacks in die Zeit zurück, als die Ukraine noch zur Sowjetunion gehörte.
«Es ist alles auf Krieg eingestellt»
Philip war zehn Jahre alt, als er das letzte Mal in der Ukraine war – kurz bevor die Krim annektiert wurde. Er wisse nur noch ungefähr, wie es dort ausgesehen hat. Eine schöne Erinnerung bleibt ihm aber bis heute: In der «Datscha», einem Schrebergarten-ähnlichen Grundstück mit kleinem Haus, das gleichzeitig zur Selbstversorgung und Freizeiterholung dient, hat er spielend viele unbeschwerte Stunden mit seiner Cousine verbracht. Über das Leben heute, in einem Land, in dem der Krieg zur Realität geworden ist, erfährt er von seiner Tante, der Schwester seiner Mutter, und deren Tochter, die noch immer dort, in der Stadt Krementschuk, wohnen. Seitdem der Krieg ausgebrochen ist, telefonieren die Schwestern täglich. «Es ist alles auf Krieg eingestellt», erzählt er. Die Sirenen ertönen, die Familien müssen in die Luftschutzbunker, die Jobsuche erweist sich als schwierig. Neben diesen Unannehmlichkeiten bewege sich ihr Leben aber wieder Richtung Normalität. «Es tönt vielleicht komisch, aber man gewöhnt sich an die Situation. Wenn es so lange dauert, dann muss man sich anpassen.» Seine Verwandten haben sich bewusst entschieden, in ihrem Land zu bleiben. In einem Land, in dem sie sich paradoxerweise wohlfühlen, obwohl der Krieg wütet. Vielleicht ist es der Optimismus, vielleicht der Familienzusammenhalt, der ihnen ermöglicht, ihrem Alltag wieder nachzugehen.
Hoffen, dass es besser wird
Kompromisse zu finden, an Empathie zu appellieren und den Hassreden entgegenzuwirken, das brauche es in der heutigen polarisierten Gesellschaft, antwortet Philip Wagner. «Es ist schwierig, Menschen zu überzeugen, vor allem wenn es um politische Sachen geht. Da sind die Menschen oft schon festgefahren. Und was Trump und Putin aushecken, weiss man sowieso nicht.» Meistens sei es viel komplexer, wäge man alle Ansichten ab. Deswegen halte er sich oft raus in Diskussionen und bewege sich gerne in der Mitte, zwischen den Polen.
«Am Schluss wurde es noch schwierig mit den Fragen», sagt er und lacht. «Ich kann nur hoffen, dass es wieder besser wird mit der momentanen politischen Situation – auf der ganzen Welt.»