«Ich möchte dieser Stadt etwas zurückgeben»
11.08.2024 Persönlich, RheinfeldenWohin schüttete man eigentlich die Fäkalien und den Urin im mittelalterlichen Rheinfelden? War es tatsächlich ein listiger Schneider, der, als fette Geiss verkleidet, die Schweden während des Dreissigjährigen Kriegs zum Abbruch der Belagerung bewegte? Und wie wurde ...
Wohin schüttete man eigentlich die Fäkalien und den Urin im mittelalterlichen Rheinfelden? War es tatsächlich ein listiger Schneider, der, als fette Geiss verkleidet, die Schweden während des Dreissigjährigen Kriegs zum Abbruch der Belagerung bewegte? Und wie wurde Rheinfelden zur Stadt des Biers und des Salzes? – Wer sich solche Fragen stellt, sollte mal an einer Stadtführung teilnehmen.
Edi Strub
Ja, wie war das im Mittelalter in Rheinfelden? Entleerte man tatsächlich das Töpfchen durchs Fenster auf die Strasse? – Anke Kurt widerspricht. Das Mittelalter sei nicht so schmutzig und dunkel gewesen, wie oft behauptet wird. Im Gegenteil. Wer nicht Ordnung hielt und die Stadt verschmutzte, musste mit drastischen Strafen rechnen. Zum Beispiel, wenn jemand das Trinkwasser verunreinigte. Und für den Inhalt des Töpfchens gab es den Ehgraben, der auch immer wieder gereinigt wurde. Zudem sei Urin ein wertvoller Rohstoff gewesen, der bei der Herstellung von Schiesspulver, beim Gerben und Färben und natürlich als Dünger in der Landwirtschaft zum Einsatz kam.
Anke Kurt (52) ist neu als Rheinfelder Stadtführerin. Aber sie hat sich schon ein umfassendes Wissen über die Stadt und die Lebensverhältnisse während verschiedenen Zeiten angeeignet. Sie wolle allem immer auf den Grund gehen und frage auch nach den Quellen. Das habe sie in ihrem Beruf als Chemielaborantin und ihren Weiterbildungen in Medizinalchemie gelernt. Seit sie sich entschlossen habe, Stadtführerin zu werden, habe sie unzählige Bücher gekauft, um sich über das Mittelalter, das sie besonders fasziniere, genaue Kenntnisse zu erwerben. Schon etwas geübt habe sie durch Führungen in der Firma in Basel, wo sie arbeite.
Aus dem Norden Deutschlands
Aufgewachsen ist Anke Kurt nicht in Rheinfelden, sondern im Norden Deutschlands. Mit 19 kam sie nach Badisch Rheinfelden und einige Jahre später über die Brücke nach Rheinfelden Schweiz. «In dieser Stadt lebe ich nun schon seit bald acht Jahren und sie ist in dieser Zeit zu meiner neuen Heimat geworden. Ich liebe sie.» Die Rheinfelder hätten sie so freundlich aufgenommen und das habe dann dazu beigetragen, dass sie Stadtführerin werden wollte. Sie wolle dieser Stadt etwas zurückgeben.
Wenn Anke Kurt mit Touristen oder auch Einheimischen in der Stadt unterwegs ist, hält sie ihnen nicht einfach Vorträge. Eine Führung solle sich den Wünschen und Erwartungen der Leute anpassen, die sie gebucht hätten, sagt sie. Manche wollten es einfach lustig haben und unterhaltsame Geschichten hören, andere stellten sehr präzise Fragen. Das stelle dann hohe Anforderungen an die Stadtführer.
Begeisterte Laien-Schauspielerin
Mit der Zeit möchte Anke Kurt aber noch einen Schritt weiter gehen und gewisse Dinge szenisch darstellen. Sie sei eine begeisterte Laien-Schauspielerin und habe während Jahren bei verschiedenen Theatergruppen, unter anderem den «Rattenfängern» in Muttenz mitgemacht. Das sei anspruchsvoll und zeitraubend mit sehr vielen Proben und so habe sie sich entschlossen, dort eine Pause zu machen. Sie arbeite hundert Prozent bei einer Pharmafirma in Basel und sei noch immer im Vorstand der «Rattenfänger». Und so sei es manchmal schwierig gewesen, alles unter einen Hut zu bringen. Ihre neue Bühne sei jetzt Rheinfelden und sie freue sich, da etwas Neues zu entwickeln. Ihr Vorbild sei Susanne Ammann, die während ihren Stadtführungen jeweils in die Rolle (und Kleider) von Agnes von Rheinfelden schlüpfe, dank der Rheinfelden zur Zähringerstadt geworden sei.
Was Anke Kurt in Zukunft szenisch gestalten möchte, steht noch nicht fest. Aber vielleicht kann man raten, dass es, wie im Falle von Susanne Ammann, mit Rheinfelder Frauen und ihrem Wirken zu tun haben könnte. Ein anderes Projekt, das sie lockt, wären Gourmetführungen oder etwas zum Thema Bier. Sie komme schliesslich aus Norddeutschland und habe dadurch eine Nähe zu Bier und zum Bierbrauen. Diese Führungen gebe es schon, sie müsse sich da aber noch einarbeiten.
Prüfung abgelegt
Um Stadtführungen machen zu können, habe sie eine Ausbildung genossen, indem sie bereits erfahrene Stadtführer begleitete und bei ihrer Arbeit beobachtete. Wie die das machten, sei sehr verschieden. Sie habe dadurch viele Anregungen bekommen. Am Schluss habe sie eine Prüfung ablegen müssen in Form einer Probeführung. Was das szenische Spielen betreffe, könne sie auf ihre Erfahrung bei den «Rattenfängern» zurückgreifen. Ausserdem habe sie Kurse an einer Schauspielschule für Laiendarsteller in Baden-Württemberg besucht.
Für ihren Aufwand zahlt Tourismus Rheinfelden seinen Stadtführerinnen und -führern ein Honorar. Das meiste davon gebe sie aber gleich wieder aus. Für Bücher, aus denen sie neues Wissen und neue Geschichten schöpfe.
Wurzeln geschlagen
Wird sie in Rheinfelden bleiben? Daran hat Anke Kurt keine Zweifel. Sie hat hier Wurzeln geschlagen und fühlt sich hier zuhause. Das Schweizer Bürgerrecht hat sie noch nicht beantragt. Sie sei irgendwie nie dazugekommen, denn sie habe neben ihrem Beruf noch viele andere Dinge, die sie gerne mache: Sauerteigbrot backen zum Beispiel und für ihre Haustiere sorgen. Am Abend aber schaut sie die Schweizer Tagesschau und nicht die deutsche. Aber ganz hat sie die Brücken nach drüben nicht abgebrochen. Zu ihrer täglichen Lektüre gehört auch die Online-Ausgabe der Badischen Zeitung. Und immer wieder besuche sie ihre alten Bekannten in Badisch Rheinfelden.