«Ich kann nicht leben, ohne zu konzertieren»
20.05.2024 Persönlich, RheinfeldenGloria De Piante Vicin liebt die Ästhetik und die Perfektion des Konzertflügels
Die Pianistin Gloria De Piante Vicin, Lehrperson an der Musikschule Unteres Fricktal, ist eine international gefragte Solistin und Kammermusikerin. In Kaiseraugst wird sie an der «Langen ...
Gloria De Piante Vicin liebt die Ästhetik und die Perfektion des Konzertflügels
Die Pianistin Gloria De Piante Vicin, Lehrperson an der Musikschule Unteres Fricktal, ist eine international gefragte Solistin und Kammermusikerin. In Kaiseraugst wird sie an der «Langen Nacht der Musik» mit einem Soloprogramm auftreten.
Birgit Schlegel
52 weisse und 36 schwarze Tasten, zusätzlich drei Fusspedale, welche die Klangfarben verändern. Ein schwarzer Korpus aus schichtverleimtem Hartholz, seine geschwungene Form hat dem Instrument den Namen gegeben. Darin eingelegt ein gusseiserner Rahmen, der wegen der gespannten Saiten bis zu 25 Tonnen Zugkraft hält. Kaum ein Instrument besticht derart durch seine Eleganz und veredelt das Ambiente jeden Raumes wie der Konzertflügel. Die Pianistin Gloria De Piante Vicin spielt ihn seit ihrer Kindheit, denn bereits ihre Eltern hatten dazumal in Padua (Italien) wegen ihrer Vorliebe für klassische Musik dieses Instrument angeschafft. Der Vater hatte sich oft an den Flügel gesetzt, improvisiert und Jazz-Standards gespielt. Keine Überraschung also, dass auch Gloria sich diesem zugewandt hat. Diese Leidenschaft hat sie nie mehr losgelassen und sie zu der Klaviervirtuosin gemacht, die sie heute ist. Seit August 2020 unterrichtet Gloria De Piante Vicin nun an der Musikschule Unteres Fricktal (MU-UF) und ist begeistert von ihrer Arbeit, von Rheinfelden und der Region.
Eine musikalische Weltreise findet Halt in Rheinfelden
Für sie völlig überraschend durfte Gloria die Nachfolge von Anna Batschelet antreten. Ein vielversprechendes Erbe, war ihre Vorgängerin doch während 40 Jahren an der MU-UF tätig und hat in dieser Zeit eine grosse Klavierklasse geführt. «Ich unterrichtete damals bereits seit elf Jahren am Conservatorio della Svizzera Italiana und wollte mich verändern», so die gebürtige Italienerin. Da kam die Stellenausschreibung in der Schweizer Musikzeitung gerade recht. «Ich habe niemanden hier gekannt. Alles war fremd. Die Chemie beim Bewerbungsverfahren hat aber von Anfang an sofort gestimmt.» Ein Erfolg, denn bereits in dieser kurzen Zeit hat sie ihre Schülerzahl vergrössert. «Ich fühle mich hier sehr wohl. Es herrscht eine motivierende, respektvolle und kollegiale Stimmung.» Neben ihrem grossen Unterrichtspensum übt sie weltweit eine rege Tätigkeit als Solistin und Kammermusikerin aus. Unterricht und Auftritte ergänzen sich wunderbar, meint die Künstlerin. Und immer wieder gibt es im Unterricht Dinge neu zu entdecken. Eine Bereicherung für die Konzerttätigkeit. «Ob die Neugier von einem Anfänger oder die Tiefgründigkeit eines Repertoirestückes mit einem Fortgeschrittenen: Immer wieder bin ich fasziniert vom grossen Spektrum, etwas Neues zu erfahren und mitteilen zu können.» Sie selbst hat eine internationale Ausbildung genossen, war für Studien in Italien und den USA und durfte an mehreren Meisterkursen und Festivals grosser Klavierkoryphäen teilnehmen. Soeben hat sie ihr Studium in Orchesterleitung an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen.
Bereits als Kind haben sich Glorias Talent und ihre Liebe zur Musik gezeigt. Eine CD mit Debussys Préludes und ein Beethoven-Klavierkonzert live gehört, dazu Aufnahmen von Bach und Chopin waren Schlüsselmomente. «Da habe ich mich in die Musik verliebt. Und ich habe begriffen, dass ich sie niemals aufgeben würde.» Doch nicht nur Klassik war angesagt. Eine Musikkassette von Freddie Mercury – vom Vater geschenkt – wurde auf der Gitarre und dem Klavier nachgespielt. Und bei der Rock- und Popmusik der 70er- und 80er-Jahre kommt sie ins Schwärmen. Wie hervorragend die Instrumentalisten in dieser Ära doch alle waren! Dies fehlt ihr heute. Überhaupt diese Flüchtigkeit, mit welcher viele der heutigen Jugendlichen Musik hören. Permanent und überall sind die Stücke abrufbar. Gloria De Piante Vicin hat mit Bedauern beobachtet, dass viele Jugendliche und auch Erwachsene nur noch punktuell hören, von einem Lied zum anderen switchen und ihnen das Sich-einlassen auf ein Musikstück abhandengekommen ist. «Habe ich als Jugendliche eine CD oder Musikkassette gekauft, dann war das immer eine bewusste Entscheidung. Alleine der Gang ins Musikgeschäft und die grosse Auswahl an Aufnahmen.» Zudem war es eine kostspielige Angelegenheit. Gloria De Piante Vicin versucht deshalb in ihrem Unterricht, die Schülerinnen und Schüler wieder darauf zu sensibilisieren, sich bewusst mit der Musik auseinanderzusetzen. Über lange Zeit an einem Klavierstück zu arbeiten und die damit verbundene Entwicklung zu erfahren sind Teil ihrer Ausbildung – die Kurzlebigkeit des Alltages hat darin keinen Platz. «Das Bewusstsein für die Dimension eines Werkes, das aktive Zuhören beim eigenen Spielen, Freiraum für Fantasie und Vorstellung: dies möchte ich weitergeben.»
Für die Bühne geboren
Nun steht für die Pianistin ein Rezital an der «Langen Nacht der Musik» in Kaiseraugst an, zu welchem sie von den Veranstaltern eingeladen worden ist. «Meine Programme sind immer voller Gegensätze, mit vielen Farben und grosser Leidenschaft angereichert.» So auch im geplanten Kaiseraugster Konzert: W. A. Mozarts eher düstere a-Moll-Sonate KV 310 – majestätisch und tiefgründig, geschrieben unmittelbar nach dem überraschenden Tod seiner Mutter – stehen kontrastreich Claude Debussys Estampes gegenüber, in welchen die unverkennbare impressionistische Klangsprache seiner grossen Orchesterwerke zu erkennen ist. Chopins Virtuosität rundet das Programm ab. Ein Nachteil, am Konzert nicht auf dem eigenen vertrauten Instrument spielen zu können? «Dies kann manchmal schon etwas frustrierend sein», bestätigt die Pianistin. Der Luxus, den eigenen Konzertf lügel samt Klavierbauer rund um die Welt mitreisen zu lassen, bleibt nur wenigen vergönnt. Am Konzerttag versucht sie deshalb, so lange wie möglich auf dem vorhandenen Flügel zu üben und sich mit seiner Mechanik und dem Klangspektrum vertraut zu machen. Dies kann gerne auch den ganzen Tag dauern. Und während das Publikum den Konzertraum betritt, zieht die Musikerin sich in ihre Garderobe zurück, um sich mental vorzubereiten, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Auch ihren Schülerinnen und Schülern hilft sie, diese Art der Vorbereitung für den Auftritt anzutrainieren, alleine mit der Vorstellungskraft die Anspannung zu lösen, um das Erarbeitete optimal umsetzen und geniessen zu können. Welche Körperhaltung nehme ich ein? Wie schreite ich den Weg vom Bühnenrand zum Flügel ab? Wie bringe ich mein Selbstvertrauen zum Ausdruck? Bei der Frage nach dem Lampenfieber stellt sich heraus, dass die italienische Musikerin diesen deutschen Begriff gar nicht kennt. «Ich bin für die Bühne geboren.» Eine positive Spannung spürt sie unmittelbar vor dem Auftritt, ist freudig aufgeregt und sehr emotional. «Ich kann nicht leben, ohne zu konzertieren. Es ist für mich ein inneres Bedürfnis.» Dieses Brennen, diese Leidenschaft wird an der «Langen Nacht der Musik» in Kaiseraugst garantiert auf das Publikum überspringen.
«Lange Nacht der Musik» in Kaiseraugst am Samstag, 8. Juni, 19 Uhr, Klavierrezital auf der Klassik- ühne

