Fortpflanzen unter Strom
14.04.2023 Fricktal, Kaisten, NaturUnter der Projektleitung von Pro Natura und in Zusammenarbeit mit der Stromnetzbetreiberin Swissgrid werden in einem schweizweiten Pilotprojekt Tümpel unter Starkstrommasten erstellt. Ziel der kleinen Laichgewässer ist es, die Gelbbauchunke und den Fadenmolch anzusiedeln. Erste Erfolge ...
Unter der Projektleitung von Pro Natura und in Zusammenarbeit mit der Stromnetzbetreiberin Swissgrid werden in einem schweizweiten Pilotprojekt Tümpel unter Starkstrommasten erstellt. Ziel der kleinen Laichgewässer ist es, die Gelbbauchunke und den Fadenmolch anzusiedeln. Erste Erfolge haben sich bereits eingestellt. Bei Pro Natura hofft man nun, dass im Projektgebiet Kaisten, Eiken und Oeschgen die beiden Amphibien-Zielgruppen die 15 neu erstellten Tümpeln auch bald entdecken, um hier quasi unter Strom ihre Populationsdynamik zu steigern. (sh)
Fortpflanzung unter Strom
Neuer Lebensraum für Gelbbauchunke und Fadenmolch
Wenn eine Umweltorganisation und ein Stromnetzbetreiber eng zusammenarbeiten, kann dabei schon einmal eine erfolgreiche Metamorphose entstehen. In Zusammenarbeit mit Swissgrid sind unter der Projektleitung von Pro Natura in zwei Aargauer Projektregionen, eine davon Kaisten, Eiken und Oeschgen, Amphibientümpel unter Starkstrommasten entstanden.
Susanne Hörth
Die quer durch unsere Landschaft verteilten Strommasten stehen mit ihren vier «Füssen» auf betonierten Fundamenten, dazwischen meist von Gras und kleinen Gebüschen überwachsene Flächen. Bewirtschaftet werden diese oft nicht. Im bernischen Mühleberg hat Pro Natura in Zusammenarbeit mit dem Stromnetzbetreiber Swissgrid in einem Pilotprojekt unter zehn Strommasten kleine Folientümpel anlegen lassen. Es dauerte nicht lange und sie wurden von verschiedenen Amphibien entdeckt. Im Jahr darauf stellten sich mit der Fortpflanzung von Gelbbauchunken, Fadenmolchen, Grasund Grünfröschen auch die erhofften Erfolge ein. Was wiederum Pro Natura animierte, das Projekt «Amphibiengewässer unter Strommasten» in die ganze Schweiz auszuweiten.
Im Aargau verteilt sich eines von zwei Projektgebieten auf die Gemeinden Kaisten, Eiken und Oeschgen mit insgesamt 15 Tümpeln. Nach Eiken und Oeschgen wurden im März nun auch die acht Tümpel in Kaisten realisiert. Hier führten Einsprachen während der Baueingabe zu Verzögerungen. «Manchmal resultiert das aus vermeintlich unzureichender Information über das Vorhaben. Es ist für uns nicht immer einfach, aus der Ferne alle einheimischen potenziell interessierten Kreise ausfindig zu machen. Unsere Kontakte gehen via
Gemeinde und Grundeigentümer und Bewirtschafter», sagt Andrea Haslinger. Sie ist die zuständige Projektleiterin bei Pro Natura. «Andererseits gibt es offenbar immer wieder Vorstellungen, wie Naturförderung zu geschehen hat, die nicht mit der heutigen Realität übereinstimmen. Das zu diskutieren ist spannend, aber leider eben auch sehr zeitaufwändig und teuer, wenn es im Rahmen von Einsprachen geschieht.» Die Gemeinde Kaisten habe die Einspracheverhandlung geführt.
Zielarten kommen schon vor
Die Wahl auf Kaisten sei aufgrund diverser Kriterien erfolgt. Unter anderem, weil in der Gemeinde bereits mehrere Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung ausgewiesen werden. Die Projektleiterin nennt weiter den Verlauf der Stromleitungen von Swissgrid, das Vorkommen der beiden Zielarten Gelbbauchunke und Fadenmolch, die Distanzen zu Wald, anderen Gewässern und die Lage im Raum. «Dazu kam, dass wir pro Projektregion mindestens zehn Tümpel bauen wollen, um einen minimalen Effekt für die Vergrösserung und Vernetzung der vorhandenen Populationen zu erreichen.»
Sie verneint die Frage, ob die Standorte der kleinen Gewässer geheim seien. «Wir wollen sie aber auch nicht bewerben. Im Pilotprojekt Raum Mühleberg mussten wir feststellen, dass Leute trotz entsprechenden Hinweisschildern am Tümpelrand herumliefen und dabei die Kiesschicht verschoben und die Folie kaputt ging.» Auch hätten Hunde die Tümpel zum Baden benutzt und dabei natürlich die Zielarten gestört. Nach einem enorm grossen Aufwand administrativer Art von rund zwei Jahren Arbeit bis ein solch kleiner Tümpel gebaut ist, wollte man bei Pro Natura natürlich, dass die Tümpel so lange wie möglich Bestand haben. Sie somit unbeschädigt den Amphibien zur Verfügung stehen. Hier setzt Andrea Haslinger an: «Wasser in aller Form zieht Leute an, selbst an solchen Orten wie unter Strommasten. Wir bauen aber mit unseren Naturschutzgeldern eben primär für die Tiere, nicht für die Naherholung der Menschen. Die neu erstellten Tümpel sehen auch etwas anders aus als «schöne» Gartenweiher, weil wir keine Pflanzen einbringen und beim Bau nicht so auf die Ästhetik schauen müssen, sondern eben auf die Funktion für die Zielarten.» Zu diesen gehören eben auch Gelbbauchunken. Als Pionierart sind sie laut Andrea Haslinger auf die Besiedlung neuer Kleingewässer spezialisiert, beziehungsweise angewiesen. «Das kann sehr schnell gehen, bereits dieses Jahr oder dann in den nächsten zwei Jahren. Andere Amphibienarten brauchen länger, auch weil ihre Fortbewegung im Raum nur über ein paar 100 Meter geht und sie nicht kilometerlange Wanderungen machen.» An die neuen Tümpel würden nur die Arten kommen, die mit dieser Art von Gewässer klarkommen. Praktisch jede Amphibienart hat ganz unterschiedliche Ansprüche an «ihr» Gewässer.
Die kleinen Tümpel brauchen Pflege, weil sie künstlich erstellt und sehr klein sind und weil an diesen Standorten die natürliche Dynamik fehlt. «Für jeden Tümpel organisieren wir die Pflege», so die Projektleiterin. In Kaisten werden die kleinen Gewässer vom Forst unterhalten.