«Es gibt eine Gestaltungskraft, ich bin ein Teil davon»

  08.06.2024 Persönlich, Fricktal

Einst liess er sich zum Käser ausbilden. Später, mittlerweile studierter Sozialarbeiter und Familienvater, plante er das Leben als Selbstversorger auf einem Bauernhof. Es kam anders. Beruflich wie politisch setzt sich Andre Rotzetter seit vielen Jahren erfolgreich für Menschen in verschiedenen Lebenssituationen ein.

Susanne Hörth

15 Jahre lang stand Andre Rotzetter dem Verein für Altersbetreuung im Oberen Fricktal (VAOF) als Geschäftsleiter vor. Vor zwei Wochen wurde der 65-jährige Buchser im Alterszentrum Bruggbach in Frick mit einer Feier von vielen Wegbegleitern in den Ruhestand verabschiedet. Einige Projekte wird er noch zum Abschluss bringen.

Der Stolz auf den VAOF mit seinen zwei Alterszentren, Alterswohnungen und vielen erfolgreich umgesetzten Projekten, ist Andre Rotzetter deutlich anzumerken. «Der VAOF ist ein Vorzeigebetrieb.» Rotzetter hat dieses Betriebsschiff, unterstützt von einer Crew mit mittlerweile über 340 Mitarbeitenden, durch viele Wasser gesteuert. Immer wieder brauchte es auch Kraft, um heftige Stürme meistern zu können. Der «Kapitän» steuerte nicht nur, er packte ebenso mit an. Als das Altersheim Klostermatte in Laufenburg um- und angebaut wurde, notabene bei laufendem Betrieb, war VAOF-Leiter Rotzetter einer der Zügelmänner. «Alle sechs Wochen haben wir die Bewohnerinnen und Bewohner ‹verschoben›. Während sich die Leute beim Frühstück befanden, haben wir die Zimmer mit Hochdruck ausgeräumt. Jeder Bewohner konnte um 11 Uhr wieder in ein neues Zimmer einziehen.»

Emotionale Zeit
Als vor drei Jahren die Pandemie die Welt auf den Kopf stellte, war Andre Rotzetter wieder an vorderster Front im Einsatz. Es brauchte ihn in der «Klostermatte». «Im Alterszentrum Bruggbach in Frick funktionierte das Leitungsteam.» Nicht so in Laufenburg. Einer der ersten, der Corona hatte und hospitalisiert werden musste, war der Heimleiter. Die Erinnerungen an jene intensiven, von viel Leid, Bangen und Hoffen geprägten Wochen und Monate lösen grosse Emotionen bei Andre Rotzetter aus. Er wischt mit der Hand eine Träne weg. «Wir haben im Kleinen erlebt, was weltweit hätte passieren können.»

In den vergangenen Jahren haben die VAOF-Geschäftsleitung, die Vorstandstätigkeit beim Gesundheitsverband Aargau VAKA (Rotzetter ist Präsident der Sparte Pflegeheime) sowie die Arbeit als Mitte-Grossrat dazu geführt, dass die Nähe zu den Leuten etwas verloren gegangen ist. «Heute kenne ich nicht mehr alle 700 Menschen, für die wir im VAOF verantwortlich sind, viele von ihnen mich wahrscheinlich auch nicht persönlich.» Rotzetter bedauert es, ist sich gleichzeitig ebenso bewusst, dass er durch seine verschiedenen Aufgaben für den VAOF, wie andere kantonale Pflegeinstitutionen etwas erreichen kann. Als Grossrat kann er sich mit politischen Vorstössen einbringen und bei der Lösung mitarbeiten. Als «kleines» Beispiel erwähnt er hier das Thema Wohnsitznahme. Tritt eine Frau oder ein Mann in ein Pflegeheim ein und befindet sich dieses nicht in der bisherigen Wohngemeinde, findet von Gesetzes wegen ein Wohnortwechsel statt. «Es ist vielfach kein freiwilliger Wechsel, wenn man ins Pflegeheim muss», weiss Rotzetter. Das Aufgeben des bisherigen Wohnsitzes erschwert es zusätzlich.

Nach einem politischen Vorstoss und zweijähriger Arbeit im Hintergrund für die Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes zeichnet sich nun ein Erfolg ab. Für die Betroffenen sind es schwierige Situationen, für die Gesellschaft jedoch kaum wahrnehmbar. Umso wichtiger ist es für Rotzetter, sich einzusetzen: «In den letzten 15 Jahren konnte ich viele solcher ‹Kleinigkeiten› angehen und Lösungen finden.» Sich mit und für Menschen einzusetzen, das hat sich Andre Rotzetter als 21-Jähriger auf die Fahne geschrieben. Ein Vorsatz, dem er stets treu geblieben ist. Und dabei das Gespür für die Leute behalten hat? «Ich hoffe es», beantwortet er diese Frage. Doch wer ist dieser Mann, von dem so viele seiner Wegbegleiter sagen, er sei ein Pragmatiker, immer lösungsorientiert und einer, der die Dinge ruhig angeht, gleichzeitig ein unermüdlicher Kämpfer sei? Aufgewachsen ist er in den Kantonen Bern und Freiburg. Er wurde Käser, absolvierte später dann die Ausbildung zum Sozialarbeiter. «Ich glaube ans Leben. Besser gesagt, ich habe gelernt, daran zu glauben.» Andre Rotzetter erzählt von einer Begebenheit, die ihn im Leben besonders geprägt hat. «Als junger Sozialarbeiter habe ich bei der Kirche gearbeitet. Dabei erlebte ich, dass ich als junger Familienvater weniger ‹Sackgeld› zum Leben hatte, als die Leute, die zum Betteln zu mir kamen.» Er sei deshalb zum Kirchenpf legepräsident gegangen und habe um eine Lohnerhöhung gebeten. Die Ablehnung erhielt er «mit der knallharten Antwort, ich sei selber schuld, ‹Du hast Deine Kinder in einer Privatschule und zahlst Schulgeld›.» Rotzetter erzählt weiter. Berichtet von einem Auftrag des Kantons, etwas zum Thema Arbeitslosigkeit zu unternehmen. «Wir haben uns in eine Schreinerei eingemietet und Arbeitslose dort angestellt. Dann ging die Schreinerei Konkurs.» Was tun? Rotzetters Vorschlag, die Schreinerei zu kaufen, stiess bei den beiden, für ihn verantwortlichen Pfarrern zuerst auf ein «Du spinnst» und dann auf offene Ohren. Der gleiche Mann, der ihm zwei Wochen zuvor eine Lohnerhöhung verweigert hatte, meinte: «Dann machen wir das.»

«Wir gründeten einen Verein, gingen zur Bank, suchten weitere Geldgeber. Innert drei Wochen hatten wir eine Million Franken zusammen.» Es entstand ein sozialer Verein, bei welchem bis zu 1600 Arbeitslose pro Jahr angestellt wurden und damit eine Chance erhielten. «Mit diesen Leuten lernte ich bauen, planen, Löhne machen und vieles mehr», sagt Rotzetter. Zuhören, lernen, Wissen aneignen und Wissen weitergeben sind für ihn selbstverständlich. Um Menschen zu helfen, die aus irgendeinem Grund den Boden unter den Füssen verloren haben, setzte sich Andre Rotzetter in jungen Jahren für Notschlafstellen für Obdachlose ein.

Als Familienvater, das dritte Kind war eben geboren, fasste Rotzetter den Entschluss, auszusteigen und mit der ganzen Familie auf einen Bauernhof zu ziehen, Selbstversorger zu werden. «Zwei Wochen vor dem Umzug entschied sich meine Frau aber dagegen.» Rotzetter, der zuvor seinen Job gekündigt hatte, plante neu. «Es gibt etwas wie eine Fügung. Es musste halt so sein.» Er suchte eine neue Arbeit. Eine, die, wenn er schon so viel von der Familie weg sein muss, auch Spass machen soll. Dazu sagt er: «Schaffen ist nicht einfach Schaffen, das einen ausbrennt. Es findet ein Energieaustausch statt.» Er baute unter anderem die Stollenwerkstatt in Aarau mit auf und war Geschäftsführer des Vereins WivA (Wiedereingliederung von Arbeitslosen) mit der Storchenstrasse in Möhlin.

Sein Weg mit und für Menschen brachte ihn vor 15 Jahren schliesslich zum VAOF. Seit 2013 gehört er dem Grossen Rat an. Weil er noch einige der von ihm vorgebrachten Vorstösse zum hoffentlich guten Abschluss bringen möchte, wird er im Herbst nochmals als Grossratsmitglied für die Die Mitte kandidieren.

Ein Auftrag
Woher nimmt er die Energie für all sein Tun? «Es gibt eine Gestaltungskraft, ich bin ein Teil davon. Gemeinsames Gestalten mit der Gesellschaft ist für mich ein Auftrag.» Wenn er ein Problem erkenne, suche er nach Lösungen. Immer auch gemeinsam mit anderen Menschen. Andre Rotzetter weiss, dass er trotz seiner vielen Aufgaben nicht für alles verantwortlich ist. «Das entlastet auch, ich gehe nach Hause und schlafe dann auch gut.»


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