Einer, der sein Handwerk liebt
11.06.2023 Persönlich, MöhlinIm Juli 1991 eröffnete der Gynäkologe Jörg Herzog eine Praxis in Möhlin und arbeitete als Belegarzt im Spital. Ende 2022 ging er in den Ruhestand. Fast.
Janine Tschopp
«Meine Mutter sagte, ich soll Arzt werden.» Warum das so war, weiss Jörg ...
Im Juli 1991 eröffnete der Gynäkologe Jörg Herzog eine Praxis in Möhlin und arbeitete als Belegarzt im Spital. Ende 2022 ging er in den Ruhestand. Fast.
Janine Tschopp
«Meine Mutter sagte, ich soll Arzt werden.» Warum das so war, weiss Jörg Herzog im Nachhinein nicht genau. «Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt keine Ärzte und auch keine Akademiker in der Familie.» Sein Weg schien der richtige zu sein. Das wird klar, während er in der Küche sitzt und seinen Werdegang zusammenfasst. Dazwischen lacht er immer wieder, während er sich zurückerinnert. Er hat viele schöne Zeiten erlebt.
Schon in der Schule, am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium (MNG) in Basel, hatte er viel Spass. Der 67-Jährige schmunzelt, während er erzählt: «Es war eine gute Zeit im MNG. Wir waren mehrere Fricktaler in der Klasse. Mit einem grossen Teil habe ich heute noch Kontakt.» Dass ihm die naturwissenschaftlichen Fächer sehr gut lagen, realisierte er rasch. Chemie, Physik und Mathematik hatten ihm von Anfang an Freude bereitet. Er erinnert sich, dass ihm der Chemielehrer einmal die Note «7,4 oder so» gab, weil er das Thema so gut begriffen hatte. «Wir hatten Tage gebraucht, um mit dem Rechenschieber Logarithmen zu rechnen. Irgendwann kam dann der Taschenrechner. Bei Prüfungen schrieben wir das Resultat extra mit fünf Kommastellen auf, so dass dem Lehrer klar wurde, dass wir den Taschenrechner benutzten. Obwohl es nicht erlaubt gewesen wäre.» Und wieder dieses Schmunzeln, das an einen Schulbuben erinnert, der etwas angestellt hat.
Physik und Chemie: Grundlagen fürs Leben
Wenn man einen Baum fälle, habe dies mit Physik zu tun. Man müsse wissen, wie die Krone sitze und in welche Richtung der Stamm falle. «Physik ist auch wichtig, wenn man nicht Arzt werden will», ist Jörg Herzog überzeugt.
Aufgrund des grossen Chemieund Physikwissens, das er sich im MNG angeeignet habe, sei das erste Jahr im Studium, das sich für viele als «Horrorjahr» anfühle, «entspannt» gewesen. «Wir hatten eine sehr gute Grundlage für das erste Propädeutikum.»
Er war kein «verwöhnter» Student, sondern gehörte zu denjenigen, die in den Ferien immer anpackten, um Geld zu verdienen. So arbeitete er auf dem Bau, grub Fundamente, kümmerte sich um elektrische Installationen oder zog mit dem «Wägeli» durch die SBB-Züge und verkaufte den Reisenden Esswaren und Getränke. Gerne erinnert er sich an die Fahrten in den Süden: «Basel-Chiasso oder Basel-Rimini: das war gut.»
Mit 26 Jahren Staatsexamen und Doktor-Titel
Jörg Herzog war 26-jährig als er das Staatsexamen und den Doktor-Titel im Sack hatte. «Finanziell stand ich aber viel schlechter da als viele meiner Kollegen, die bereits im Arbeitsprozess waren.»
So war es ihm ein grosses Anliegen, seine Ausbildung zügig durchzuziehen. Seine erste Assistenzstelle hatte er erst ein halbes Jahr nach Beendigung des Studiums. «Es gab damals viele Ärzte und wenige Stellen.» So nutzte er auch diese Zeit, um auf dem Bau zu arbeiten. Das Handwerkliche gefiel ihm immer sehr gut. «Operieren ist auch Handwerk. Dafür braucht es unbedingt handwerkliches Geschick», ist Jörg Herzog überzeugt, der das Operieren auch gleichzeitig als sein Hobby bezeichnet. Dann erzählt er von verschiedenen Assistenzstellen in Basel, Zofingen, Zürich und Rheinfelden. Teilweise hatte er extrem lange Arbeitszeiten. Unter anderem berichtet er von der Assistenzstelle auf der gynäkologisch-geburtshilf lichen Abteilung des Bezirksspitals Zofingen. Dem Chefarzt, der einen Bauernhof mit Pferden und Hängebauchschweinen besass, half er nach Feierabend, um 21 Uhr, noch Strohballen abzuladen. Aber auch das Fachliche kam nicht zu kurz: «Dort genoss ich eine hervorragende Ausbildung und sein Oberarzt lehrte mich zu operieren.»
Im Juli 1989 wurde Jörg Herzog stellvertretender Oberarzt an einer gynäkologisch-geburtshilf lichen Klinik in Zürich. Oberarzt konnte er noch nicht werden, weil ihm erst ein paar Monate später der Facharzt-Titel verliehen wurde.
Im Juli 1991 eröffnete Jörg Herzog in Möhlin eine eigene Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe. Parallel dazu arbeitete er zuerst als Belegarzt in Laufenburg und später in Rheinfelden. Im Dezember 2022, nach über 30-jähriger Praxistätigkeit, ging er in den wohlverdienten Ruhestand. Fast.
Vom Belegarzt zum angestellten Oberarzt
«Ich bin jetzt angestellter Oberarzt im Spital Rheinfelden», erklärt der Gynäkologe voller Stolz. Mit Einsätzen am Wochenende und in der Nacht deckt er Dienste mit grossem Personalmangel ab. Dass heute in seinem Beruf Personalmangel herrscht, führt er einerseits auf die Regulierung der Arbeitszeiten und andererseits auf die vielen Teilzeitstellen zurück. «Früher war es normal, von Samstagmorgen bis Montagabend durchgehend im Dienst zu sein.»
Er ist nicht böse, dass sein Leben heute, als «Fast-Pensionär», ruhiger geworden ist. Er liebt es, mit seiner Frau Reisen zu unternehmen und daheim in Haus und Garten zu wirken. «Während fast 32 Jahren war ich für meine Patienten und fürs Spital Tag und Nacht erreichbar. Heute kann ich mich tagsüber ausruhen, wenn ich Nachtdienst habe», kommt er ins Schwärmen. Auch habe er in den letzten 32 Jahren nie mehr als zwei Wochen Ferien am Stück gehabt. Das ist heute anders.
Nun hat er alles: einerseits arbeitet er weiterhin auf seinem Beruf, der ihm ein Leben lang Freude gemacht hat, und trägt somit entscheidend zur Entlastung des Systems bei. Andererseits hat er viel Freizeit, wo er reisen oder zu Hause wirken und werken kann.
Am Ende des Gesprächs mit Jörg Herzog wird definitiv klar: Seine Mutter hatte recht, als sie sagte, dass er Arzt werden sollte. Auch wenn er ihren Beweggrund dafür bis heute nicht kennt …