Seit 2013 kümmern sich im Aargau die Familiengerichte als Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) um den Schutz von Kindern und Erwachsenen in schwierigen Situationen. Und: Sie geniessen in der Bevölkerung einen guten Ruf. Verbesserungsvorschläge gibt es dennoch – ...
Seit 2013 kümmern sich im Aargau die Familiengerichte als Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) um den Schutz von Kindern und Erwachsenen in schwierigen Situationen. Und: Sie geniessen in der Bevölkerung einen guten Ruf. Verbesserungsvorschläge gibt es dennoch – aus dem Fricktal
Simone Rufli
Die ersten zehn Jahre sind ein Erfolg, so die übereinstimmende Meinung von Cathérine Merkofer, Präsidentin der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz am Obergericht, und Daniel Aeschbach, Gerichtspräsident im Bezirk Lenzburg. Zusammen mit Urs Vogel (Jurist, Sozialarbeiter, Lehrbeauftragter), Arsène Perroud, (Vorstandsmitglied Gemeindeammänner-Vereinigung, Kesd-Präsident Bezirk Bremgarten) und Michael Widmer, Gemeindeschreiber in Frick und Präsident des Verbands Aargauer Gemeindeschreiberinnen und -schreiber nahmen sie am vergangenen Donnerstag im Gasthof zum Schützen in Aarau an der Herbsttagung der Vereinigung Aargauischer Berufsbeiständinnen und -beistände (VABB) teil.
Vom Rand in die Mitte
Mit Einführung des neuen Kindesund Er wachsenenschutzrechts (KESR) im Jahr 2013 ging das Vormundschaftswesen von den Gemeinden an professionelle, interdisziplinäre Behörden über. «Ich will das Rad nicht zurückdrehen», betonte Michael Widmer. «Aber die Distanz birgt die Gefahr, dass die Gemeinden die Fälle vermehrt als Kostenfaktor betrachten, den es im Zuge von Sparmassnahmen zu senken gilt.» Auch Effizienzgewinne aufgrund der Digitalisierung seien nicht nur positiv. «Es besteht das Risiko, dass die Schutzbedürftigen noch mehr als bisher einfach nur verwaltet werden. Ich glaube nicht daran, dass alle gesellschaftlichen Probleme gelöst werden können, indem die Verwaltung und die staatlichen Stellen immer weiter ausgebaut werden.» Widmers Wunsch für das Dorf der Zukunft: Nachbarschaftshilfe, generationenübergreifende Kontakte, Freiraum für Kinder und vor allem – ein fester Platz für Schwächere, Randständige sowie Menschen mit einem schrägen und lückenhaften Lebenslauf. «Wir müssen die Schwachen noch mehr in unsere Mitte holen!» Diese Vision wahr werden zu lassen, sei Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Wie sehr diese am Zusammenhalt arbeiten muss, zeigte Widmer anhand von Zahlen: Im Jahr 2020 gab es gemäss Bundesamt für Statistik in der Schweiz 1,4 Millionen Einpersonenhaushalte, im Jahr 2050 sollen es 1,8 Millionen sein.
Ausbau des freiwilligen Angebots
Auch für VABB-Präsidentin Sandra Wey sind weitere Verbesserungen nötig, und zwar im vorgelagerten, freiwilligen Beratungsangebot. Als Leiterin der Jugend- und Familienberatung im Bezirk Laufenburg arbeitet Wey an der Schnittstelle zwischen freiwilligen Massnahmen und staatlichem Eingriff. Ihre Erfahrung: «Viele Krisen lassen sich mit dem freiwilligen Angebot entschärfen; mit der Folge, dass auf einschneidende behördliche Massnahmen verzichtet werden kann, das Gericht entlastet wird und Kosten eingespart werden können.» Sie sagt denn auch klar: «Es sollte in allen elf Aargauer Bezirken eine Jugendund Familienberatung geben.» Unterstützung erhält sie aus dem Grossen Rat. Im März 2021 hat der Regierungsrat die Motion Kohler, mitunterzeichnet unter anderem von Colette Basler, Andre Rotzetter und Kathrin Hasler, als Postulat entgegengenommen. Das Departement für Bildung, Kultur und Sport (BKS) prüft nun, ob zur kantonsweiten Sicherstellung von flächendeckenden Kinder- und Jugendhilfeangeboten in einheitlicher Qualität ein eigenständiges Kinder- und Jugendhilfegesetz geschaffen oder bestehende Rechtserlasse angepasst werden sollen.