«Der Herrgott hat mir ein sonniges Gemüt geschenkt»
14.12.2024 Persönlich, RheinfeldenAnna Metzger lebt zufrieden ohne Augenlicht
Vor 17 Jahren hat Anna Metzger aus Rheinfelden ihr Augenlicht verloren. Die Freude am Leben und den Humor aber nicht.
Janine Tschopp
Anna Metzger wartet schon vor dem Lokal, wo sie sich mit der NFZ verabredet hat. ...
Anna Metzger lebt zufrieden ohne Augenlicht
Vor 17 Jahren hat Anna Metzger aus Rheinfelden ihr Augenlicht verloren. Die Freude am Leben und den Humor aber nicht.
Janine Tschopp
Anna Metzger wartet schon vor dem Lokal, wo sie sich mit der NFZ verabredet hat. «Ich musste schnell schimpfen, weil ich die Nase angeschlagen habe», erzählt sie direkt nach der Begrüssung. Es muss dort gewesen sein, wo das Podest für den Weihnachtsbaum installiert wurde. In der Marktgasse findet sich die erblindete Frau sonst sehr gut zurecht, aber an diesem Morgen gab es da ein kleines Hindernis, mit welchem sie nicht gerechnet hatte.
Wir betreten das Lokal, setzen uns an einen Tisch und beginnen zu reden. Die Lebensfreude, welche die bald 76-jährige Frau ausstrahlt, ist beeindruckend. Wir sprechen über alles Mögliche: über den Genderstern, der das Verstehen der Texte, welche sie sich elektronisch vorlesen lässt, für sie schwieriger macht, über ihre Familie, über die Hilfsmittel, welche ihr zur Verfügung stehen, über ihr aktives Leben und über vieles mehr. Sie ist oft unterwegs und trifft sich regelmässig mit Freundinnen und Bekannten. So ist sie bei den Seniorinnen für Seniorinnen-Treffen dabei, ist aktives Mitglied beim christkatholischen Frauenverein und nimmt an den Jahrgänger-Ausflügen teil.
So gerne sie unterwegs ist, geniesst sie auch das Alleinsein in ihrer Wohnung im Städtli, wo sie ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarinnen und Nachbarn pflegt. «Wir helfen einander», sagt sie. Aufgewachsen in Möhlin, hat sie sich in all den Jahren in Rheinfelden sehr gut eingelebt. «Im Städtli gehe ich nicht verloren», scherzt sie. Anna Metzger hat, obwohl sie vor 17 Jahren erblindet ist, sehr viel Humor. «Ich heisse Metzger und ich metzge mich durch», lacht sie.
Eine unheilbare Augenerkrankung
Es hat in der Pubertät angefangen, als sie manchmal gewisse Gegenstände übersehen hatte. «Viele meinten dann, ich sei einfach ein bisschen ‹schusselig›». Als Anna Metzger 23-jährig war, bekam sie dann die Diagnose: Retinitis pigmentosa, kurz RP. Eine unheilbare, erblich bedingte Erkrankung der Netzhaut, welche Blindheit zur Folge hat. «Dann habe ich nochmals richtig Gas gegeben.» Skifahren, schlittschuhfahren und alles, was später ohne Augenlicht schwierig geworden wäre, hat sie noch voll ausgekostet.
Im Alter von 49 Jahren, ihr Augenlicht war schon schwach, wurde ihre Stelle als Beamtin aufgehoben. Nachdem sie intern keine neue Stelle gefunden hatte, erhielt sie das Angebot, sich aus medizinischen Gründen frühpensionieren zu lassen. Sie arbeitete bei der damaligen PTT, zuerst beim Postcheckamt Basel und später in der Telefondirektion. Nach längerem Überlegen, sie musste sich zuerst damit abfinden, nahm sie das Angebot der Frühpensionierung an. Sie rief sich ins Bewusstsein, dass es ihr gut ging und sie ihr Leben geniessen sollte. «Es sind geschenkte Jahre», sagte sie sich. Anschliessend wurde ihre Sehkraft, so wie es das Krankheitsbild vorsieht, immer schwächer bis zur Erblindung vor 17 Jahren.
Von allen Seiten unterstützt
Anna Metzger fühlt sie nicht nur von ihrer Schwester und ihrer Familie gut getragen, sondern auch von ihren Freundinnen und Bekannten. Zudem unterstützt sie die Sehbehindertenhilfe Basel sehr gut. Mitarbeitende dieser Organisation lernten ihr, mit dem Blindenstock bestimmte Wege zu laufen oder sich mit dem Computer und im Haushalt zurechtzufinden. So wurden ihr zum Beispiel am Radio und am Kochherd kleine Knöpfchen zur Orientierung installiert. Mit der Sehbehindertenhilfe fährt sie zudem ab und zu in die Ferien. «In den Ferien müssen wir uns um nichts kümmern. Das ist schön.»
Sehr gerne ist sie auch in ihrem Zuhause in Rheinfelden. «Ich bin den ganzen Tag am Zuhören, entsprechend geniesse ich auch die Stille in den eigenen vier Wänden.» Sie schätzt es, in Ruhe ein Buch zu «lesen». «Es ist wichtig, dass ich immer wieder Texte in Blindenschrift lese, sonst werde ich irgendwann zur Analphabetin.»
Grosse Sterne in der Marktgasse
Angesprochen auf die Adventszeit, erinnert sie sich an Weihnachten im Städtli, als sie noch sehen konnte. «Es gab grosse Sterne in der Marktgasse.» Wenn es manchmal noch Schnee hatte, nahm sie sich für ihren Arbeitsweg extra viel Zeit, um den Zauber zu geniessen. Vor ein paar Wochen, als wir auch im Fricktal mit Schnee verwöhnt wurden, freute sie sich. «Das kleine Mädchen in mir kam raus, und ich bin extra durch die Schneemaden gestapft.»
Wie das Weihnachtsstädtli heute aussieht, weiss sie nicht. «Wenn ich die Augen schliesse, stelle ich mir den grossen Baum vor dem Rathaus und den Weihnachtsbaum im Rathaushof vor.» Rheinfelden in der Weihnachtszeit stellt sie sich in ihrer Fantasie manchmal als ein verschneites Örtchen vor. So wie wir es als Bild auf einem Adventskalender kennen.
Während man Anna Metzger zuhört, ist man ganz weit weg vom Alltag und fasziniert. Fasziniert einerseits von Anna Metzgers unglaublichem Gedächtnis, aber auch von ihrer grossen Lebensfreude. Sie erzählt, hört zu, lacht und hadert kein bisschen mit ihrem Schicksal. Sie unternimmt Dinge, trifft Freunde und hilft mit, wo sie kann. «Wenn der Tag kommt, an dem ich nicht mehr so viel unternehmen kann, dann weiss ich: ‹Ich habe es gemacht.›»
Trotz ihres Schicksals geht sie dankbar und zufrieden durchs Leben: «Der Herrgott hat mir ein sonniges Gemüt geschenkt.»