«Der Ärztemangel ist politisch gewollt»
06.05.2023 Rheinfelden, GesundheitPetra Ellgehausen führt seit 1999 in Rheinfelden eine Facharztpraxis für Dermatologie und Ästhetik. Weil die Patienten ihr die Türe einrennen, wollte sie zur Unterstützung eine Ärztin anstellen – und scheiterte an den neuen Gesetzen. Im Gespräch mit der ...
Petra Ellgehausen führt seit 1999 in Rheinfelden eine Facharztpraxis für Dermatologie und Ästhetik. Weil die Patienten ihr die Türe einrennen, wollte sie zur Unterstützung eine Ärztin anstellen – und scheiterte an den neuen Gesetzen. Im Gespräch mit der NFZ wirft sie den Verantwortlichen im Gesundheitswesen mangelnde Praxisnähe vor.
Simone Rufli
Wer in der letzten Zeit versucht hat, einen Arzttermin zu bekommen, musste oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen. In der aktuellen Ausgabe der Schweizer Ärztezeitung FMH wird vor einer weiteren Zunahme von schon bestehenden Versorgungsengpässen im Gesundheitswesen gewarnt. Es wird ein Abbau der Bürokratie gefordert und die Tauglichkeit der statistischen Grundlagen angezweifelt, wenn es um die Zulassung neuer Ärzte geht.
Mangels Schweizer Interessentin wollte die 58-jährige Petra Ellgehausen auf Jahresbeginn zur Entlastung in ihrer Praxis in Rheinfelden eine deutsche Dermatologin anstellen, die sich bei ihr gemeldet hatte. «Eine Fachärztin mit sehr guter Ausbildung, die während über 30 Jahren eine Praxis in Süddeutschland geführt hat und nun in der Schweiz lebt. Die Idee war, dass sie mich ein bis zwei Tage pro Woche entlastet.» Einen Mietvertag für zusätzliche Praxisräumlichkeiten an der Geissgasse 18 hat Ellgehausen bereits abgeschlossen. Seit Januar zahlt sie Miete.
Klingt alles gut, funktioniert aber nicht. Denn: Wer als Arzt oder Ärztin mit ausländischem Diplom mit den obligatorischen Krankenversicherungen abrechnen will, muss im beantragten Fachgebiet während mindestens dreier Jahre an einer anerkannten Weiterbildungsstätte in der Schweiz gearbeitet haben. So verlangt es das Gesetz seit dem 1. Januar 2022 (vgl. NFZ vom 18. April, Seite 1 und 5). Ausgenommen von dieser Regelung sind nur drei Disziplinen: Allgemeinmedizin, Kindermedizin sowie Psychiatrie und Psychotherapie für Kinder und Jugendliche. Dermatologen nicht. Im Haus an der Geissgasse 18 findet deshalb anstatt einer dringend notwendigen dermatologischen Sprechstunde bis auf Weiteres ab und zu eine Kunstausstellung statt. «Kunstförderung als Nebenwirkung kurzsichtiger Gesundheitspolitik», so nennt es Petra Ellgehausen.
Leider völlig praxisfern
«Da werden Obergrenzen für Ärzte-Zulassungen festgelegt von Leuten, die keine Vorstellung haben, was in den Arztpraxen abläuft. Nur diejenigen Konsultationen und Leistungen können statistisch erfasst werden, die über die Krankenkassen abgerechnet werden. Junge Patienten, die nur ein-, zweimal kommen und häufig eine hohe Franchise haben, Selbstzahler – wenn diese Leute zum mir kommen, erfährt die Krankenkasse nichts davon, und sie werden statistisch nicht erfasst. Woher also kommen die Zahlen, um zu sagen, wie hoch der Bedarf an Fachärzten ist? Die Gremien, die über die Schweizer Gesundheitspolitik entscheiden, sind leider völlig praxisfern.»
Was in der Schweizer Ärztezeitung auch geschrieben steht: 39,5 Prozent der berufstätigen Ärzteschaft in der Schweiz sind im Besitz eines ausländischen Diploms. Über die Hälfte der ausländischen Ärztinnen und Ärzte (51 Prozent) stammen aus Deutschland. Seit Jahrzehnten gelten drastische Zulassungsbeschränkungen zum Medizinstudium, der sogenannte Numerus Clausus. «Wie man an diesen Zahlen sieht, wurde dieser künstlich geschaffene Mangel an Schweizer Ärztinnen und Ärzten bisher durch rekrutierte ausländische halbwegs kompensiert. Jetzt geht das aber wegen dieser unsäglichen Drei-Jahresregel für ausländische Ärzte nicht mehr.» Ob und wann diese Regel wieder fallen werde, sei nicht absehbar, sagt Petra Ellgehausen und legt dazu ein Schreiben von Sabina Freiermuth, Grossrätin und Parteipräsidentin der Aargauer FDP vor.
Ungeduldig bis aggressiv
Die Hoffnung auf Entlastung hat Petra Ellgehausen aufgegeben. Stattdessen fürchtet sie zusätzliche Belastung: «Wenn Dermatologe Torsten Hauschild aufgrund der neuen Gesetzesbestimmung seine Tätigkeit in der Aussenstelle der Rheinfelder Salina Klinik in Frick aufgeben muss, ohne einen Nachfolger zu haben (vgl. NFZ vom 18. April, Seite 1 und 5) können wir die dermatologische Versorgung in der Region nicht mehr bewältigen, Denn wohin sollen die Patienten im Fricktal sonst gehen?» Schon heute kämen immer öfter Leute unangemeldet, ohne Termin in die Praxis und setzten die medizinischen Praxis-Assistentinnen unter Druck oder würden sogar aggressiv. Auch am Telefon würden heftige Worte fallen, bis hin zu Beschimpfungen und persönlichen Beleidigungen, wenn es nicht sofort klappte mit einem Termin, erzählt Petra Ellgehausen verzweifelt.
28 000 Patientinnen und Patienten hat die Dermatologin seit ihrer Praxiseröffnung 1999 durchnummeriert und täglich kämen neue dazu. Die Wartefrist in der Praxis an der Marktgasse beträgt für neue Patienten ein bis zwei Monate. Für eine Behandlung von Hautkrebs-Vorstufen müsse man sich sogar bis zu einem halben Jahr gedulden, wertvolle Zeit, die verloren ginge.
Inakzeptabel
Wie wenn sie mit dem Alltäglichen nicht schon genug am Hals hätte – das Fass zum Überlaufen gebracht hat ein Schreiben des Kantonsspitals Aarau. Petra Ellgehausen reicht ein an mehreren Stellen eingeschwärztes Blatt Papier über den Tisch. Eine Antwort auf eine von ihr angeordnete Patienten-Zuweisung, datiert vom 18. April. Inhalt des Schriftwechsels: Das KSA weigert sich, den Patienten zu übernehmen, bzw. auch nur einmalig anzuschauen. Begründet wird die Rückweisung mit einer personellen Überlastung. Stattdessen schlägt das KSA vor, den Patienten dem Universitätsspital Basel zuzuweisen. Petra Ellgehausen ringt um moderate Worte, beim Versuch zu beschreiben, was sie von diesem Vorschlag hält: «Dass unser Kantonsspital, ein öffentliches Spital, das noch dazu aktuell vom Kanton eine finanzielle Unterstützung von 240 Millionen Franken an zusätzlichen Steuergeldern fordert, seiner Versorgungspf licht nicht nachkommt und einen Aargauer Steuerzahler an ein ausserkantonales Spital verweist, ist inakzeptabel.» Völlig unverständlich sei für sie auch, dass ihrem Patienten die Dringlichkeit der Behandlung – trotz gegenteiliger Einschätzung durch sie als Fachärztin – abgesprochen werde.
Beunruhigende Entwicklung
Sie fühle sich machtlos, sagt Petra Ellgehausen. «Bei massiv gestiegener Bevölkerungszahl und angesichts einer beunruhigenden demographischen Entwicklung wird gespart, indem der Zugang zu medizinischer Versorgung immer weiter erschwert wird.» Sparen auf dem Rücken der Kranken? Gibt es bald eine Zweiklassenmedizin? Ein nicht funktionierendes Beispiel dafür sei Deutschland, wo gesetzlich Versicherte bis zu einem Jahr auf einen Termin beim Hautarzt warten müssten. Petra Ellgehausen sucht den Weg an die Öffentlichkeit, um zu informieren, aber auch um Verständnis, Rücksichtnahme und Solidarität unter den Patientinnen und Patienten zu fordern. Die ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte seien nach wie vor kostengünstig, effizient und unbürokratisch. Hier zu sparen, sei politischer Aktivismus, der im Extremfall lebensgefährlich sein könne.