«Die Preisausschläge beim Strom sind extrem und nicht gesund»

  29.09.2022 Fricktal, Laufenburg, Wirtschaft

Jörg Reichert ist seit 2019 Chef der Energiedienst-Gruppe, die unter anderem mehrere Wasserkraftwerke am Hochrhein betreibt. Die aktuelle Situation am Energiemarkt bereitet ihm Sorgen.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Reichert, das Thema Strom ist derzeit in aller Munde. Freut Sie das als Chef der Energiedienst?
Jörg Reichert:
Das ist immer eine Frage der Perspektive. Grundsätzlich haben die Verwerfungen, welche die Ukraine-Krise ausgelöst hat, einige Probleme zum Vorschein gebracht, die vielleicht schon länger da waren, aber nicht im Zentrum der Diskussionen standen. Das freut uns natürlich nicht, da diese Probleme für die Gesellschaft, für die Gemeinden und die Unternehmen grosse Herausforderungen darstellen. Es beschleunigt hingegen die Bereitschaft, neue Projekte in Sachen Energiewende in Angriff zu nehmen. Das freut uns natürlich.

Die Strompreise steigen massiv. Das muss eine gute Zeit für ein Unternehmen wie die Energiedienst-Gruppe sein, die mit ihren Wasserkraftwerken selber Strom herstellt und verkauft.
Die Strommenge, die wir in diesem Jahr produzieren, ist zu grossen Teilen schon in den Vorjahren zu den damals üblichen, also tieferen Preisen verkauft worden. Das ist so üblich im Stromgeschäft. Kommt hinzu, dass wir in diesem Jahr eine niedrige Wasserführung verzeichnen, dadurch kann weniger Strom produziert werden. Es gab einzelne Monate, da hatten wir 30 Prozent weniger Wasserführung als im langjährigen Durchschnitt. Deshalb mussten wir Strom zu höheren Preisen zukaufen, das sorgt für wirtschaftlichen Druck für uns. Mit Blick auf das kommende Jahr können wir hingegen sicher höhere Preise erzielen, das ist für uns positiv. Langfristig profitieren wir von höheren Preisen, aber ganz so einfach ist die Rechnung nicht.

Die Herstellungskosten für Strom vom Wasserkraftwerk haben sich nicht verändert, der Marktpreis hingegen schon. Da sprudeln doch die Einnahmen?
Ja, rein monetär und auf die Energieerzeugung bezogen, kann man das so sagen. Wir verkaufen aber drei Mal mehr Strom, als wir selber produzieren. Zudem möchte ich daran erinnern, dass 2015 der Strompreis so tief war, dass die Wasserkraft kaum mehr konkurrenzfähig schien und es schwierig wurde, sie wirtschaftlich im Markt zu halten. Die Preisausschläge, die wir jetzt erleben, sind extrem und nicht gesund. Der hohe Preis ist ein Zeichen der Knappheit, es gibt zu wenig Kapazitäten für die Stromherstellung. Das hat nicht nur mit der Ukraine zu tun. Die tiefe Wasserführung, die Probleme der französischen Atomkraftwerke und die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke sind weitere Gründe. Nicht gesund ist die Entwicklung, weil sie sich zwangsläufig auch auf die Endverbraucherpreise auswirkt und sich dadurch unsere Risiken erhöhen. Wenn Menschen ihre Energierechnung nicht mehr zahlen können, kommt es bei uns zu Zahlungsausfällen.

In der Stadt Laufenburg steigen die Strompreise um über 180 Prozent, die Energiedienst liefert den Strom. Können Sie erklären, wie das möglich ist?
Der grösste Teil des Stroms, den wir produzieren, haben wir wie erwähnt bereits im Vorfeld vermarktet zu den damaligen Preisen. Wenn heute jemand kommt und Strom für das nächste Jahr einkauft, dann muss er die jetzigen Preise zahlen und die sind deutlich höher. Der anhaltende Kletterkurs der Beschaffungspreise trifft die besonders hart, die Energie kurzfristig beschaffen Je länger diese Hochpreis-Phase anhält, desto mehr Haushalte bekommen die höheren Preise zu spüren. Als Unternehmen sind wir kaum in der Lage, da gegenzusteuern. Auf politischer Seite wird jetzt eine Strompreis-Bremse geprüft. In Deutschland ist auch eine Übergewinn-Abschöpfung im Gespräch.

Sie rechnen damit, dass Ihr Unternehmen im kommenden Jahr höhere Gewinne realisieren wird?
Unter dem Strich gehen wir davon aus, dass sich unser Ergebnis im kommenden Jahr verbessern wird. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir uns nachhaltig aufgestellt haben und das Photovoltaik-Geschäft boomt.


«Die Versorgungssicherheit ist wichtig»

ED-Chef blickt auf den kommenden Winter

Jörg Reichert, der Chef der Energiedienst-Gruppe, rechnet nicht damit, dass im kommenden Winter der Strom ausfällt. Sein Unternehmen setzt auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Reichert, gehen Sie davon aus, dass im kommenden Winter der Strom in der Schweiz tatsächlich knapp wird?
Jörg Reichert:
Es werden derzeit sehr viele Massnahmen umgesetzt, um Stabilität zu gewährleisten. Zusätzliche Kapazitäten werden gesichert. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir eine stabile Versorgung haben werden. Die Frage stellt sich aber, wie teuer es wird.

Sie erwarten also nicht, dass der Strom jeweils nach Gebieten für vier Stunden abgestellt werden muss?
Es ist gut, dass wir uns darauf vorbereiten. Ich glaube aber, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass eine solche Massnahme nötig wird. Die Versorgungssicherheit ist wichtig sowohl für die Haushalte als auch für die Wirtschaft.

Was kann die Energiedienst dazu beitragen, dass es zu keinen Problemen kommt?
Wir sind ein kleiner Anbieter, wir engagieren uns aber in drei Punkten: Wir sind finanziell gut aufgestellt und wollen auch in schwierigen Zeiten mit unseren Produkten im Markt vertreten bleiben. Zweitens: Mit unseren Kraftwerken und Netzen stehen wir für Versorgungssicherheit. Wir arbeiten rund um die Uhr, um diese zu gewährleisten. Die Kraftwerke müssen laufen, die Netze verlässlich da sein. Was wir hingegen kaum können, ist zusätzliche Kraftwerke zuschalten. In Laufenburg gibt es ein Diesel-Notstromaggregat, auf das wir zurückgreifen könnten. Das bringt aber keine grosse Leistung. Als Drittes haben wir uns mit dem Thema Energieeinsparung in den eigenen Gebäuden auseinandergesetzt. Auch da wollen wir einen Beitrag leisten. Unser Ziel ist es, den Energieverbrauch bei unseren Umspannwerken, Trafostationen und Bürogebäuden um 15 Prozent zu senken. Das wird eine Komfortreduktion in den Büros geben.

2010 hat die Energiedienst das neue Wasserkraftwerk Rheinfelden in Betrieb genommen. Damals waren die Strompreise tief. Hat sich die Investition jetzt als richtig erwiesen?
Ja, es war auf jeden Fall richtig, dass wir investiert haben. Es macht Sinn, die Möglichkeiten für den Ausbau von erneuerbaren Energien überall zu nutzen. Bei einem Wasserkraftwerk denken wir in langen Zyklen, das neue Wasserkraftwerk in Rheinfelden ist noch lange nicht amortisiert.

Auf welche Zukunftstechnologien setzt die Energiedienst?
Wir sind ein Ökostrom-Anbieter, wir fokussieren uns auf die erneuerbaren Energien. Das bleibt unser Fokus für die Zukunft. Die Themen Wasserkraft und Photovoltaik stehen im Zentrum, ebenfalls E-Mobilität und klimafreundliche Wärmelösungen. Photovoltaik sehen wir als grosses Wachstumsfeld. Gerade in der Schweiz gibt es noch ein grosses Potential. Die Nachfrage ist in den letzten Monaten sprunghaft angestiegen. Ergänzend kommt grüner Wasserstoff dazu, wir haben in Wyhlen eine Anlage am Laufen.

Sie haben 2019 das Amt als CEO angetreten. Wie wollen Sie die Energiedienst AG in die Zukunft führen?
Ich blicke sehr positiv auf die vergangenen drei Jahre zurück. Wir haben ein motiviertes Team, wir sind ein binationales Unternehmen, wir konnten bei der Energiewende einiges erreichen. Mit Blick nach vorne haben wir einen klar eingeschlagenen Weg, der heisst Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Den wollen wir als Anbieter von Ökostrom fortsetzen.


Jörg Reichert und die Energiedienst-Gruppe

Jörg Reichert hat im April 2019 die Nachfolge von Martin Steiger als Chef der Energiedienst-Gruppe übernommen. Der 46-jährige wohnt unter der Woche in Basel, seine Familie lebt in Stuttgart. Er ist Vater von drei Kindern und treibt in seiner Freizeit gerne Sport. Die Energiedienst-Gruppe, die zu 67 Prozent der Energie Baden-Württemberg AG gehört, betreibt unter anderem die Wasserkraftwerke Laufenburg, Rheinfelden und Wyhlen sowie Wasserkraftwerke im Wallis. Das binationale Unternehmen beschäftigt rund 1050 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; ein Drittel stammt aus der Schweiz, zwei Drittel aus Deutschland. (nfz)


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