Die Stadtmusik Rheinfelden geht neue Wege
03.12.2022 Kultur, Musik, Rheinfelden«Amidst a Dream», so das Thema der kommenden Kirchenkonzerte der Stadtmusik Rheinfelden. Mit der Uraufführung des gleichnamigen Werkes betritt der Verein Neuland. Verantwortlich für die Auftragskomposition ist der 19-jährige Rheinfelder Tim Vaterlaus.
Birgit Schlegel
Dass der Stadtmusik Rheinfelden die regionale Nachwuchsförderung sehr am Herzen liegt, hat das Publikum in den vergangenen Konzerten immer wieder erfahren dürfen. In konstanter Regelmässigkeit haben junge Musikerinnen und Musiker Gelegenheit erhalten, in solistischen Beiträgen ihr Talent unter Beweis zu stellen. Auch in den kommenden Kirchenkonzerten steht wiederum ein Mitglied aus den eigenen Reihen im Mittelpunkt. Tim Vaterlaus, der ansonsten bei den Schlagzeugern anzutreffen ist, hat im vergangenen Jahr die Anfrage erhalten, ein Werk eigens für seinen Verein zu schreiben.
Spotify versus LP
«Der Dirigent Dani Haus ist vor einem Jahr auf mich zugekommen. Er hat gewusst, dass ich bereits einige Kompositionen auf Spotify unter dem Namen «Timusic» veröffentlicht habe. Im Gespräch ist dann die Idee für ein Werk für Blasorchester und Audiotrack entstanden», erläutert der junge Musiker. Spotify? Audiotrack? Was heutzutage für junge Menschen selbstverständlich ist, begegnen wegen der rasanten Entwicklung bereits deren Eltern mit grossem Unwissen: dem Umgang mit der Elektronik und dem Internet in der Musik- und Videobranche. Auf fast jedem Handy befinden sich inzwischen Gratisprogramme, mit welchen mit einfachsten Mitteln eigene Songs und passende Videos produziert werden können, um sie anschliessend auf einer Internetplattform – zum Beispiel Spotify für Musik – zu veröffentlichen und sie so jedem zugänglich zu machen. Auch Tim Vaterlaus ist bestens mit diesen digitalen Medien vertraut und nutzt sie täglich.
Bereits im Primarschulalter hat er sich für die Filmerei und Fotografie interessiert, mit der ersten eigenen Kamera Kurzfilme gedreht und sie am Computer mit Musik unterlegt. An der Musikschule Unteres Fricktal besucht er, der am Gymnasium Muttenz im Schwerpunkt Musik kurz vor der Matura steht, zusätzlich zum Schlagzeugunterricht schon seit längerem den Kurs «Musik und Computer». Unter Jean-Jacques Futterers Anleitung lernt Tim Vaterlaus, Musiksoftware zu bedienen und verschiedene zeitgenössische Kompositionsweisen der Popmusik zu analysieren. «Dabei habe ich gemerkt, dass mir Low-Fidelity (Lo-Fi genannt), eine Form des Hip-Hop, am besten liegt.» Dieses noch relativ junge Genre zeichnet sich durch seine eher ruhige und entspannende Musik aus, ist rein instrumental und kann auch gerne mal etwas jazzig daherkommen. «Diese Art Musik entsteht ausschliesslich am Computer und soll so klingen, als wenn sie mit einfachster Ausrüstung gemacht worden wäre. Eigentlich besteht sie meistens nur aus einem einzigen musikalischen Muster, welches immer wieder in verschiedenen Variationen aneinandergereiht wird und deshalb auch etwas meditativ wirkt.» Sie werde deshalb auch vor allem bei jüngeren Leuten gerne als Lernmusik benutzt, erläutert der Komponist.
Ist es nicht etwas bedauerlich, dass die zeitgenössische sogenannte Unterhaltungsmusik im Gegensatz zur Klassik zum grössten Teil nur noch auf Streamingdiensten, also ausschliesslich im Internet erhältlich ist? «Ich finde es natürlich auch etwas schade, dass man als Hörer nichts mehr in der Hand hat. Keine CD, kein Booklet, kein grafisch hochqualitatives Plattencover für das Gesamtkunstwerk. Sämtliche Angaben zu Künstler und Inhalt sind aber auch auf den Internetplattformen bei jedem Song ersichtlich. Auch habe ich eine gute Kollegin, die mir für jeden neuen Song ein Cover gestaltet, welches auch zur Veröffentlichung gehört. Es ist nun mal etwas ganz anderes.»
Maschine versus Mensch
Nun steht die Uraufführung seines neuen Werks «Amidst a Dream» an. Wie ist denn nun dieses Stück entstanden, und was zeichnet es aus? «Nach dem Gespräch mit Dani Haus habe ich sofort an ‹Two Steps from Hell› gedacht. Ihre Musik für Filme und Computerspiele beinhaltet sowohl Streicher wie Bläser, viel Schlagzeug und ist sehr monumental. Sie klingt einfach super! So etwas für die Stadtmusik wäre doch was!» Das Komponieren mit gespitztem Bleistift und Notenpapier ist bei Tim Vaterlaus’ Arbeitsweise jedoch nicht zu finden. Das Keyboard, am Computer angeschlossen, ist das Mittel. «Zuerst habe ich mir eine Akkordfolge ausgedacht, ein Grundmuster, und daraus einen mehrstimmigen Klavierpart eingespielt. Und dann das Ganze auf verschiedene Tonspuren, also auf die verschiedenen Instrumente, verteilt. Dieser Audiotrack ist das eigentliche Grundgerüst des Stücks. Den Part der Stadtmusik hat Dani Haus dann aus dem Klaviersatz instrumentiert.» Dabei sollen vor allem die Instrumente, die in der Stadtmusik nicht vertreten sind, mit synthetischen Klängen ersetzt werden, wie etwa Streicher, Klavier oder E-Gitarre. Auch Chorstimmen wären denkbar. Was so einfach klingt, ist das Ergebnis einer einjährigen Arbeit und auch für Tim Vaterlaus bis zuletzt eine neue Herausforderung. Die musikalische Idee hat er zu Beginn in den Musikschulkurs mitgenommen und mit seinem Kursleiter besprochen. «Unzählige Stunden bin ich, auch mit Dani Haus und Jean-Jacques Futterer, im Computerraum der Musikschule gesessen, obwohl das Stück nur zirka fünf Minuten dauern wird.» Dabei galt es, die «künstlichen» Instrumente perfekt abzumischen, die zahlreichen einzelnen Tonspuren zu säubern und die richtigen Frequenzen zu finden. Schliesslich soll dieser Teil, der am Konzert über Lautsprecher erklingen wird, das live Gespielte perfekt ergänzen. Apropos live: Viel Spontanität ist da ja nicht möglich, wenn dem Orchester ein digitaler starrer Track unterliegt. «Ja, das stimmt. Musikalisch kann der Dirigent das Stück nicht beeinflussen. Da ist zum Beispiel kein Ritardando möglich. Auch die Dynamik muss im Konzert absolut die gleiche wie in der Probe sein, damit sich der Klang mit dem Audiotrack optimal mischt.» Das Ganze wäre demnach auch mit einem zusätzlichen Sinfonieorchester spielbar? «Ja, aber das wäre dann wieder wie ein neues Projekt mit weiteren Herausforderungen. Aber es wäre schon megacool.»
Und was meinen die Kolleginnen und Kollegen der Stadtmusik dazu? Es sei prima zu spielen und klinge sehr episch. «Ich bin froh, dass ich bis jetzt nur positive Reaktionen bekommen habe», meint Tim Vaterlaus erleichtert. Das Publikum darf also gespannt sein, welche Klangwelten in der Begegnung von digitaler Musik und akustischen Instrumenten in «Amidst a Dream» entstehen werden.
Kirchenkonzerte der Stadtmusik Rheinfelden: Samstag, 3. Dezember, 20 Uhr, Sonntag, 4. Dezember, 15 Uhr, St. Josefskirche Rheinfelden, www.stadtmusikrheinfelden.ch