«Ich bin glücklich, all diese Identitäten in mir zu haben»

  06.10.2021 Persönlich, Rheinfelden, Sport

Rheinfelder spielt in der Schweizer Beachsoccer-Nati

Kevin Wandji Tchatat ist ein Mann, der gerne vorne dabei ist. Kürzlich gewann er mit der Schweizer Beachsoccer-Nationalmannschaft eine Bronzemedaille am FIFA-Weltcupturnier in Moskau. Auch beruflich ist er in der Offensive. Der 26-Jährige leitet und entwickelt das digitale Online-Marketing bei einer jungen Dienstleistungsfirma.

Edi Strub

Schon der Name Kevin Wandji Tchatat macht klar, dass die Vorfahren nicht aus der Schweiz stammen. Den Namen Tchatat* hat er von seinem kamerunischen Grossvater geerbt, Wandji* von seinem Grossonkel. Sein Vater war als Vierzehnjäh r iger aus Kameru n nach Frankreich ausgewandert und kam dann 1991 in die Schweiz. Seine Mutter stammt aus Italien. Zuhause bei Tchatats in Frenkendorf wurde Französisch und Italienisch gesprochen. Im Kindergarten lernte Kevin dann sozusagen seine erste Fremdsprache, nämlich Schweizerdeutsch, das er aber bald akzentfrei beherrschte. Ausserdem kann er gut Englisch und ein wenig Spanisch. «Ich bin glücklich, dass ich alle diese Identitäten in mir habe. Ich empfinde das als eine grosse Bereicherung.»

Vier Mal pro Woche Training
Eben kommt er von einem Ferienaufenthalt in Süditalien zurück. Er hat dort Verwandte seiner Mutter besucht. Und im kommenden Jahr plant er mit seinem jüngeren Bruder und seiner Freundin (eine junge Frau aus Möhlin) wieder einmal nach Kamerun zu fliegen. In letzter Zeit war das schwierig gewesen wegen Corona und wegen seiner Aufnahme in die Beachsoccer-Nationalmannschaft. Wenn er nach Kamerun reist, besucht er dort jeweils seine Tante in der Millionenstadt Douala sowie das Dorf auf dem Lande, wo die Familie seines Vaters herkommt. «Das ist immer ein grosses Erlebnis. Die Leute sind zwar für unsere Begriffe sehr arm, aber dennoch glücklich. Einmal, als in meiner Schule in Frenkendorf das Schulmobiliar erneuert wurde, haben wir die guterhaltenen Stühle und Bänke in einen Container gepackt und in dieses Dorf geschickt. Es war ein rührender Moment, als ich diese dann bei einem Besuch in der Dorfschule in Kamerun wieder sah. Zuvor hatte nicht jeder Schüler einen Stuhl gehabt, einen Tisch schon gar nicht.»

Heute wohnt Kevin Wandji Tchatat zusammen mit seiner Freundin in Rheinfelden. Viermal die Woche geht er ins Training der Nationalmannschaft in Basel oder Aarau. Wenn die Nati nicht auf Auslandtournee ist, arbeitet er zu hundert Prozent bei der Firma IWF im «Haus der Wirtschaft» in Pratteln.

In Russland, am FIFA-Weltcup, holte er sich zusammen mit seinen Freunden von der Schweizer Beachsoccer-Nationalmannschaft im August überraschend die Bronzemedaille. Die Schweizer hatten sich für den Weltcup eigentlich nicht qualifiziert, durften dann aber für die Ukraine einspringen. In Moskau sorgten sie dann gleich im ersten Spiel für eine Sensation: sie schlugen Brasilien nach unentschiedenem Spielverlauf im Penalty-Schiessen. Getragen von diesem Erfolg vermochte die Nati dann auch die weiteren Spiele für sich zu entscheiden – ausser das Duell gegen Russland, das sie unglücklich am Schluss im Penaltyschiessen verlor. Aber es reichte dann doch für den dritten Gesamtplatz.

«Ich liebe Zweikämpfe»
Kevin Wandji Tchatat ist seit gut einem Jahr Mitglied des Schweizer Nationalteams. Er spielt in der Defensive, wo er dank seiner Grösse und seinem Kampfgeist dafür bekannt ist, gefährliche hohe Bälle abzuwehren. «Ich liebe Zweikämpfe, wenn es richtig hart auf hart geht.» Begeistert für Beachsoccer hat ihn ein ehemaliger Lehrer – der frühere Beachsoccer-Nationaltorhüter Nico Jung. Dieser habe ihn einfach mal mitgenommen zu einem Training und da habe ihn das Beachsoccer-Virus gepackt. Beachsoccer wird auf Sand gespielt und ist schnell wie Eishockey. «Wir versuchen den Ball möglichst immer in der Luft zu halten, was viel technisches Können erfordert.» Andere Mannschaften, wie die Senegalesen, gegen die die Schweizer im Kampf um die Bronzemedaille knapp gewannen, spielen mehr im Sand, was alles sehr unberechenbar mache, weil die Bälle bei der Berührung mit dem Sand oft abgelenkt werden.

«Mein Vater ist natürlich sehr stolz auf meine Erfolge mit der Beachsoccer-Nationalmannschaft und hat dafür gesorgt, dass auch in Kamerun bekannt wurde, dass ich mit meinen Mannschaftskollegen im Weltcup in Moskau eine Medaille holte.» Auch seine Mutter war mächtig stolz. Sie hatte ihn an die WM in Moskau begleitet, um ihn zu unterstützen.

Auch im Büro von Kevin Wandji Tchatat freute man sich ungemein. «Niemand beklagt sich, wenn ich wegen der Spiele im Sommerhalbjahr immer wieder abwesend bin. Und wenn ich ins Büro des Chefs trete, hängt dort an der Wand mein Nationalmannschaftstrikot.» Das sei wunderbar. «Ohne diese Unterstützung könnte ich diesen Sport nicht betreiben. Man verdient ja nichts dabei, es ist wie ein Hobby.» In Russland sei das anders, erzählt Kevin Wandji. In Moskau sind sogar spezielle Beachsoccer-Stadien gebaut worden. Es gebe dort auch eine Profiliga. «Unsere Spiele wurden jeweils von Tausenden von Zuschauern verfolgt. Auf der Tribüne sass FIFA-Präsident Infantino. Einmal in einer solchen Atmosphäre spielen zu dürfen, war ein grosses Erlebnis.»

* Gesprochen: Tschatat, Wandschi


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