«Corona hat uns nicht gestoppt»

  14.09.2021 Fricktal, Wirtschaft, Kaiseraugst

Das Wirtschaftsforum Fricktal analysierte die Arbeitswelt nach Corona

Effizienzsteigerung durch Home-Office und gestärkte Unternehmenskultur: Die Vertreter der Feldschlösschen-Brauerei und der Pure Holding AG aus Zeiningen sehen in der Anpassung des Arbeitsablaufs an die Pandemie durchaus Vorteile.

Boris Burkhardt

Das Wirtschaftsforum 2021 des Fricktal-Regio-Planungsverbands stellte die Frage, wie die Corona-Massnahmen die Zukunft der Arbeitswelt verändern werden. Das Forum war selbst Teil der Antwort: Nach der kompletten Absage 2020 fanden die Podiumsgespräche und Referate am vergangenen Donnerstag erstmals ausschliesslich online mit einer Livesendung aus dem Violahof in Kaiseraugst statt. Aus ihrer eigenen Erfahrung berichteten Gaby Gerber, Leiterin der Unternehmenskommunikation des «145 Jahre alten Start-Up-Unternehmens» Feldschlösschen, und Stevens Senn, CEO der erst vor fünf Jahren gegründeten Hanfproduzentin Pure Holding AG in Zeiningen.

«Sehr viele Chancen»
Gerber sieht in der Krise «sehr, sehr viel Chancen»: «Die Schweizer Privatwirtschaft hat die Umstellung auf die Corona-Einschränkungen grossartig gemeistert. Die interne Kommunikation und die Sicherstellung des Arbeitsablaufes haben super geklappt.» Während des ersten Lockdowns habe es bei Feldschlösschen für einen Drittel der Belegschaft keine Arbeit mehr gegeben: «Ohne Gastronomie und Events gab es nur noch Altersheime, die wir mit Mineralwasser belieferten.» Die Lösung, dass zum Beispiel Mitarbeiter aus der Event-Abteilung bei der Abfüllung mithalfen, habe aber «enorm viel zu Unternehmenskultur beigetragen» und solle beibehalten werden. Feldschlösschen sei immer ein «Start-Up-Unternehmen» geblieben und erfinde sich immer wieder neu, versicherte Gerber. Die interne Kommunikation habe schon vor der Pandemie von Neuerungen wie etwa einer eigenen App profitiert. So sei es dem Unternehmen auch gelungen, die Mitarbeiter in die die Umsetzung der Änderungen einzubeziehen. Home-Office sei für die Hälfte der Mitarbeiter möglich; das Unternehmen wolle die Arbeit von Zuhause auch in Zukunft an bis zu drei Tagen in der Woche ermöglichen. Als junges Unternehmen habe die Pure Holding AG die Pandemie gut handeln können, berichtete CEO Senn: «Corona hat uns nicht gestoppt – aber die Angst, was die Pandemie für uns bedeuten wird, war da.» Zum Glück habe seine Firma gerade kurz vor dem ersten Lockdown den Betrieb komplett digitalisiert gehabt. Das Home-Office bleibe weiterhin Teil der Unternehmenskultur, allein weil das Büro in Zeiningen «aus allen Nähten platze» und sich rund 40 Mitarbeiter 20 Schreibtische teilen müssten.

«Es wird Zwischenlösungen geben»
Jakub Samochowiec, Mitglied der Denkfabrik für Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum des Gottlieb-Duttweiler-Instituts in Rüschlikon ZH, zeigte sich in seinem Vortrag ebenso überzeugt, dass die ortsgebundene Arbeit im Firmengebäude «sicher nicht zurückkehren» werde wie vor der Pandemie: «Es wird Zwischenlösungen geben.» Derzeit seien gerade einmal 15 Prozent der Büroflächen in der Schweiz besetzt. Die Bürof lächen würden in Zukunft sicherlich abnehmen, die projektbezogene Zusammenarbeit mit Freien Mitarbeitern zunehmen. Die erzwungene Distanz während des Lockdowns habe den Unternehmen bewiesen, dass Entfernung bei vielen Arbeitsverhältnissen keine Rolle mehr spiele: So könnten Mitarbeiter überall auf der Welt arbeiten und das zeitversetzt 24 Stunden am Tag.

«Das ist die neue Zukunft seit der Pandemie», stellte Samochowiec fest. Er ging aber auch auf die «alte Zukunft» ein, jene, die vor Corona befürchtet habe, dass Roboter den Menschen die Arbeit wegnehmen würden. Dieses Thema sei nach wie vor relevant: Die Fingerfertigkeit von Menschen sei von Robotern noch immer unerreichbar; Roboter seien aber gut darin, Menschen zu überwachen. Gerade die zukünftige Zunahme Freischaffender führe paradoxerweise zu einer grösseren Abhängigkeit: Mitarbeiter im Lieferservice und im Callcenter würden rund um die Uhr bewacht und nach ihrer Leistung beurteilt.

Wer hier zu langsam und dort zu wenig emotional im Umgang mit den Kunden sei, werde vom Algorithmus «gekündigt», ohne einen menschlichen Vorgesetzten gesehen zu haben: «Die Autonomie der Menschen wird untergraben.» Ihre eigene Austauschbarkeit versetze die Menschen in eine Unsicherheit, die «sehr ungesund» sei. Die Wissenschaftler sprächen vom «Neotaylorismus»: Der US-amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856– 1915) propagierte, für einfache manuelle Tätigkeit den effizientesten Weg zu finden und alle überflüssigen Bewegungen im Ablauf auszuschalten. «Was zum Beispiel bei Amazon schon lange Realität ist», sagte Samochowiec, «ist, was Taylor nie zu träumen wagte.»

Moderator des Abends war Patrick Rohr. Er hatte im Gespräch mit Christian Fricker, Präsident von Fricktal Regio, und Regula Ruetz, Direktorin von Metrobasel, die Diskussion um die Auswirkungen von Corona auf die Arbeitswelt eröffnet. Das Forum wurde für angemeldete Teilnehmer per Livestream übertragen.


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