Flurnamen und ihre Deutung

  14.04.2021 Aargau, Fricktal

Ergänzung zu den Beiträgen von Beatrice Hofmann

Der kürzlich gegründete Verein «Aargauer Namenbuch» hat sich zum Ziel gesetzt «erstmals die Aargauer Flurnamen gemeinsam in Einbezug mit der Bevölkerung zu erheben und der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen». Die Projektleiterin meint auf der Flurnamen-Landkarte sei der Aargau ein weisser Fleck. Stimmt das, und was ist bisher geschehen?

Werner Rothweiler

Befasst man sich mit der Fricktaler Geschichte der Flurnamenkunde, so wird diese Aussage relativiert. Schon der Sprachwissenschaftler und Volkskundler Jakob Grimm1 (1785-1863) erkannte die Wichtigkeit der Flurnamen und meinte 1838 dazu: «Alle Orts-, Gewässer- und Flurnamen sind in ihrem Ursprung sinnvoll und bedeutsam. Wenn etwas benannt wird, muss ein Grund dazu da sein, warum es so und nicht anders heisst.»

Angeregt durch die Zürcher Geschichtsforschende Gesellschaft, die 1849 eine kommentierte Sammlung der Zürcher Orts- und Flurnamen herausgab, versuchte die Historische Gesellschaft des Kantons Aargau 1860 eine Erhebung der Aargauer Orts- und Flurnamen mittels Fragebogen durchzuführen1. Dieses Unterfangen war leider nicht sehr erfolgreich. Aber der Magdener Vertreter in der Gesellschaft, Fürsprech Fridolin Stäuble,2 kam der Aufforderung mit dem ihm eigenen Pflichtbewusstsein nach. 1863 lieferte er der Historischen Gesellschaft eine 26-seitige «Zusammenstellung aller Benennungen der Bäche, Brunnen, Straßen & verschiedenen Gegenden des Dorfes und des Gemeindebanns Magden» mit 373 Flurnamen.

1880 nahm dann der Aarauer Kantonsschullehrer, Historiker und Philologe PD Dr. Johann Jakob Bäbler ein Inventar der Aargauer Flurnamen auf. Seine im Staatsarchiv hinterlegten Notizen, welche die Übertragung jedes Namens in seine phonetische Umschrift enthalten, bilden eine wichtige Grundlage für die Aargauer Flurnamenforschung. 1948, im Hinblick auf die Herausgabe der Neuen Landeskarte durch die Schweizerische Landestopografie/ Swisstopo, wurden Weisungen erlassen, mit Regeln für die Nomenklatur der Flurnamen: Schreibweise lokale Mundartform, der Regierungsrat ernennt eine Nomenklaturkommission, bestehend aus Fachpersonen der Namensforschung, der Sprachwissenschaften und der amtlichen Vermessung, die zusammen mit den Gemeindevertretern eine Bereinigung der Flurnamenverzeichnisse durchführt.

2001 erschien «Die Magdener Flurnamen im Laufe der Zeit» in der Jahresschrift der Fricktalisch-Badischen Gesellschaft für Heimatkunde (FBVH) «Vom Jura zum Schwarzwald» (Jg.75 S.7-125). Darin sind 415 Flurnamen beschrieben. Der Beitrag ist für jedermann online zugänglich unter e-periodica der ETHZ (> e-periodica vom jura zum schwarzwald > Band 75, 2001). Am selben Ort findet man auch die Flurnamen der Fricktaler Gemeinden Hellikon, Mettau, Obermumpf, Schupfart und Wegenstetten.

Quellen der Magdener Flurnamen
Quellen von Flurnamen sind Urkunden (804-1805), Karten, Pläne, Marchbeschriebe (1602-1994), Bereine, Güter- und Bodenzins-Verzeichnisse, (1324-1823), Karten (1602-1995), Gemeindeversammlungsprotokolle (1816-1858), das Flurnamenverzeichnis des Magdener Fürsprechs Fridolin Stäuble (1863), die Notizen des Aargauer Flurnamenforschers Bäbler (1880) und der kantonalen Flurnamenkommission (1953). Diese Quellen befinden sich in den Staatsarchiven (AG/BL /BS), im Gemeindearchiv Magden und im Stadtarchiv Rheinfelden.

Die wichtigsten Quellen sind die Güterverzeichnisse der Magdener Grundherrschaften (Eigentümer), die alle 30 bis 50 Jahre erneuert wurden. Die aussagekräftigsten sind jene des Jahres 1823, die alle wegen des bevorstehenden Zehntenloskaufs nachgeführt werden mussten. Total sind 1918 Grundstücke beschrieben, welche acht Grundherrschaften gehörten: Kloster Olsberg (919), Pfarrkirche Magden (325), Herrschaft Rheinfelden (314), Chorherren Stift St. Martin Rheinfelden (157), Kommende St. Johann (90), Doringer‘sche Stiftung (45), Spital Rheinfelden (39), Domstift Arlesheim (29). Besonders interessant sind jene Flurnamen, die uns über den früheren Verwendungszweck eines Grundstücks Auskunft geben. So ist ein Ablassfeld der oberste Teil einer Wässermatte, worauf das Wasser abgelassen wird (weitere Einzelheiten zu Flurbezeichnungen finden sich in der Jahresschrift «Vom Jura zum Schwarzwald, Jg. 75 der Fricktalisch-Badischen Gesellschaft für Heimatkunde FBVH).

Das Fantasieren unterlassen
Bei der Deutung der Flurnamen darf man es sich nicht allzu einfach machen; vor allem sollte man das Fantasieren unterlassen und sich statt dessen auf möglichst alte Belege stützen. So kommt Bizlete nicht davon, dass an diesem Ort die Bauern «bisleten» (Wasser lösten), wie man in einer überlieferten Zusammenstellung der Magdener Flurnamen nachlesen kann. In Urkunden von 1518, 1606 und 1615 findet man Büzenthal, aus dem erst 1682 Bitzleten wurde. Das Bestimmungswort Büz kommt vom lateinischen Puteus aus dem über althochdeutsch Puz mittelhochdeutsch Bütze wurde, was soviel heisst wie «Pfütze, Brunnen». Tatsächlich war Bizlete ein infolge Vernässung gefährdetes Rutschgebiet und wurde deshalb 1942 trocken gelegt, womit auch der Realbeweis für die Interpretation des Flurnamens erbracht wäre. An diesem Beispiel wird zudem ersichtlich wie aus der Endung -ental in der Mundart -lete wurde, eine Endung, die wir auch in anderen Flurnamen antreffen. Auch die Deutung von Girspel ist nur mittels einer Urkunde von 1464 möglich, in der von Gierspüchel die Rede ist. Mit Gir (heute Geier) ist ein Raubvogel (Bussard, Milan u.a.) gemeint; Büchel ist eine alte Form für «Hügel». Girspel bedeutet also «Hügel der Raubvögel». In späteren Urkunden (1531-1823) wurde der Flurna me meh r fach u mgefor mt (Gerispul, Gerspel, Gürspihl, Gürspel, Girspel). Das Beispiel zeigt auch, wie das Grundwort Büchel in der Mundart zur Endung -pel verkürzt wird, was uns bei der Deutung des Flurnamens Gaispel/Geispel zu Hilfe kommt.

Verfälschungen
Man ist versucht, Gais/Geis mit «Geiss» in Verbindung zu bringen, was allerdings falsch wäre. Denn in älteren Urkunden (1600-1764) steht noch Gauspel (Gaus=Gans), woraus durch Lautumwandlung (au → äu → ai) schliesslich Gaispel, also «Gänsehügel» wird. Wie Flurnamen durch Lese- oder Abschreibfehler verfälscht werden können, zeigen die beiden folgenden Beispiele. Güeterbüel heisst heute der bewaldete Hügel zwischen Olsberg und Rheinfelden. Er wurde 1602 vom Kartografen Melchior von Zisserthal auf der Grenzkarte Basel-Österreich als Güeteren Büel festgehalten. Im 14. Jahrhundert wurde er aber dreimal Goetlenbuel genannt. Götlen heisst göttlich, aber im Sinne grossartig, wunderbar, etc. Diese Namensgebung stammt vermutlich von den Olsberger Klosterfrauen und deren Beichtvätern, den Chorherren des Rheinfelder St. Martinsstift, die diesen Hügel überschritten, wenn sie sich gegenseitig besuchten. Der Schneckenhausbrunnen, ist eine von Magdens ergiebigsten Wasserquellen. In alten Urkunden (1518-1764) ist aber von Schneckenruns die Rede (Runs=Graben, Rinne). 1805 wurde dann infolge eines Lesefehlers aus dem -runs ein -haus; dieser Irrtum hat sich bis heute erhalten. Dass nicht mit jedem Tiernamen auch wirklich ein Tier gemeint ist, zeigt sich am Flurnamen Falken. 1464 ist von einem aker an valken die Rede. Aber in einer Urkunde von 1452 lesen wir über güter in dem banne ze Testlicken Baseler Bistums, die vorgezitten Henni Valkenstein gehebet. Demnach bezeichnet Falken ehemaligen Besitz der Grafen von Falkenstein, den diese 1461 an den Magdener Hans Schaler verkauften. Die dem Falken benachbarte Flur Grofeholde (1449 erstmals erwähnt) erinnert an die Vorgänger des Geschlechts der Falkenstein, die Grafen von Thierstein.

Die Fluren Hasenboden, Hasenmatt und Hasenreben (im Wygarte) verdanken ihren Namen nicht etwa einem Langohr, sondern dem einstigen Besitzer, einem Rheinfelder namens Hase, der im 14. Jh. in Magden Land besass. Fuchs war ein Magdener Geschlecht, aber nicht jeder Fuchs-Flurname hat etwas mit Meister Reineke zu tun. Das Rätsel um den Flurnamen Chüller wird durch zwei Urkunden von 1400 bzw. 1505 gelüftet. Diese beschreiben die Grenze zwischen den Herrschaften Farnsburg und Rheinfelden als durch den Kulre bzw. Kullrein gehend. Das Grundwort Rein (Hang), ergänzt mit dem Bestimmungswort Chulle (Vertiefung, Graben), bedeutet also «von Gräben durchzogener Hang», was der Chüller tatsächlich ist.

1 Hat zusammen mit seinem Bruder Wilhelm Märchen gesammelt und ab 1838 begonnen das «Deutsche Wörterbuch» zu schaffen, das erst 1961 mit dem 16. Band beendet wurde.
2 Stäuble (1817-1881) wohnte auf dem «Hirschen», dessen Besitzer er war. Er diente dem Kanton als Grossrat, Ständerat und Oberrichter.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote