«Man lernt für sich selbst»

  07.01.2021 Rheinfelden, Schule

Braucht das Schweizer Bildungswesen eine Reform?

Der Rheinfelder Georg B. Weibel ist Gründer einer der grössten Schweizer Privatschul-Gruppen, der «Ipso Bildung». Er plädiert im Interview für mehr Wettbewerb im Bildungswesen.

Valentin Zumsteg

NFZ: Was war für Sie das prägendste Erlebnis im Jahr 2020?
Georg B. Weibel:
Damit nicht immer Corona das Thema ist, möchte ich den Umzug unserer «Ipso International School Rheinfelden» von der Zürcherstrasse ins neue Gebäude an der Bahnhofstrasse erwähnen. Das war für mich ein entscheidender Moment und ein Erfolg.

Was bedeutet Ihnen diese «International School» an Ihrem Wohnort Rheinfelden?
Als wir vor acht Jahren entschieden haben, in Rheinfelden eine «International School» zu gründen, war das etwas Besonderes, da wir bisher in diesem Bereich nicht tätig waren. Wir sahen die Möglichkeit und wollten den Expats, die in der Nordwestschweiz leben, eine weitere Schul-Möglichkeit bieten. Das hat sich zwar nicht ganz so entwickelt, wie erwartet. Kinder von Expats sind heute nur ein kleiner Teil unserer Schülerinnen und Schüler. Wir haben uns deswegen verstärkt Richtung Bilingualität entwickelt. So können auch Schweizer Kinder von einer zweisprachigen Ausbildung profitieren. Die Schule hat sich gut entwickelt. Das hat uns den Mut gegeben, am neuen Standort im ehemaligen Coop-Gebäude zu investieren. Wir haben sehr viele positive Reaktionen erhalten. Leider konnten wir wegen Covid bislang noch keinen Tag der offenen Tür durchführen. Es gibt viele Leute, die sehen möchten, wie aus dem ehemaligen Supermarkt eine moderne Schule entstanden ist. Wir hoffen, dass wir im kommenden Frühling oder Sommer einen solchen Anlass nachholen können.

Ist Rheinfelden noch der richtige Standort für diese Schule oder wären Sie lieber näher bei Basel?
Für unser bilinguales Angebot ist Rheinfelden ein sehr guter Standort. Wir sind jetzt verkehrstechnisch an bester Lage. Das wird auch weiterhin funktionieren.

Wie hat Ihre Bildungsgruppe die Krise zu spüren bekommen?
Unsere Bildungsgruppe ist relativ breit aufgestellt. Ein grosser Teil unserer Studierenden sind in der höheren Berufsbildung. In der Volksschule ist nur ein kleiner Teil. In der höheren Berufsbildung haben wir durch Covid einen Anstoss erhalten, mehr auf den digitalen Unterricht zu setzen. Wir haben die Digitalisierung stark vorangetrieben. Wir waren zum Glück schon gut vorbereitet. In wenigen Tagen mussten wir gegen 1000 Dozierende in der ganzen Gruppe ausbilden, damit sie mit den digitalen Instrumenten umgehen können. Normalerweise hätte das viel mehr Zeit in Anspruch genommen.

Haben Sie Auswirkungen auf die Schülerzahlen zu verzeichnen?
Nein, da sind wir relativ gut unterwegs. Die Sprachschule mussten wir nach dem Lockdown wieder etwas aufbauen, da sind wir aber auch wieder auf gutem Weg.

Rechnen Sie in den kommenden Jahren mit negativen Folgen?
Wir haben verschiedene Szenarien. Aufgrund unserer Erfahrung rechnen wir aber nicht mit einem starken Rückgang. Die Aus- und Weiterbildung bleibt wichtig. Die Frage ist, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickelt. Es ist aber wohl nicht so, dass in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten auf die Bildung verzichtet wird.

Sie sind Gründer der Ipso Bildungsgruppe. Was hat Sie damals motiviert, sich im Bereich Bildung zu engagieren?
Ich war früher im Personalbereich bei Coop und später bei Orell Füssli tätig. Dort war ich unter anderem zuständig für das Lehrlingswesen. Das Thema Bildung hat mich also schon früh interessiert. 1989 erhielt ich die Möglichkeit, die Neue Sprach- und Handelsschule im Rahmen einer Nachfolgeregelung zu übernehmen. Das war ein Investment und ein persönliches Engagement. Daraus haben wir im Laufe der Jahre die Basler Bildungsgruppe und schliesslich «Ipso Bildung» entwickelt. Ipso ist aus dem Lateinischen und heisst «selbst». Das ist quasi unser Programm: Man lernt für sich selbst.


«Es gibt immer noch keine echte  Chancengleichheit»

Interview mit Georg B. Weibel zum Schweizer Bildungswesen

Eine freie Schulwahl in der Schweiz – das wünscht sich der Rheinfelder Georg B. Weibel. Er ist überzeugt, dass davon das Bildungswesen und die Gesellschaft profitieren würden.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Weibel, wie beurteilen Sie das heutige Schweizer Bildungssystem?
Georg B. Weibel:
In den vergangenen 30 Jahren hat sich das Schweizer Bildungswesen enorm entwickelt. Es ist heute viel durchlässiger als damals. Wer früher nicht die Bezirksschule besucht hatte, der konnte nur mit grossen Umwegen später eine akademische Karriere einschlagen. Das ist heute zum Glück anders. Auf der anderen Seite finde ich es falsch, dass in der Volksschule ein staatliches Quasi-Monopol besteht.

Was ist der Nachteil davon?
Es gibt heute leider immer noch keine echte Chancengleichheit für die Schülerinnen und Schüler. Der schulische Erfolg hängt sehr stark davon ab, wo jemand geboren ist. Wächst ein Kind in einer bildungsfernen Familie auf oder an einem Ort mit hohem Anteil an weniger Privilegierten sowie einem hohen Anteil an fremdsprachigen Bewohnern, dann stehen die Chancen deutlich schlechter. Hätten wir in der Schweiz eine echte Schulwahl, dann wäre das anders. Eltern könnten die Schule auswählen, die zu ihrem Kind passt. Dadurch würden die Schulen auch in Konkurrenz zueinanderstehen. Heute werden die Kinder einfach einer Schule zugewiesen, ein Wechsel ist schwierig. Das ist ein grosser Nachteil. Natürlich gibt es Privatschulen, aber das ist eine Frage der Finanzen für die Eltern.

Wie könnte die Schweiz das besser machen?
Mein Idealmodell sieht so aus: Der Staat gibt vor, welches die wesentlichen Inhalte sind, welche ein Jugendlicher bis zum Ende der Volksschule beherrschen sollte. Ich betone: die wesentlichen. Die Schulen sollen einen Spielraum haben. Natürlich soll der Staat dies auch finanziell sicherstellen, damit sich alle die Schule ihrer Wahl leisten können. Dies könnte beispielsweise über Bildungsgutscheine geschehen. Das wäre nichts Exotisches. Auch in Deutschland oder Holland gibt es die echte freie Schulwahl. In der Schweiz besteht sie leider noch nicht.

Wie sehen Sie die Chancen, dass sich die Schweiz in den kommenden Jahren in diese Richtung bewegt?
Ich spüre im Moment keine Bewegung in diese Richtung. Es ist erstaunlich, dass die Schweiz so sehr am bisherigen Modell festhält. Normalerweise stehen wir doch für liberale Grundwerte ein, aber in diesem Bereich nicht. Selbst im Gesundheitswesen wird heute angestrebt, dass der Wettbewerb funktioniert. Bei der Bildung sieht es leider anders aus. Bei bisherigen Abstimmungen hat das Volk solche Bestrebungen immer abgelehnt.

In Ländern wie den USA oder England schicken die Reichen ihre Kinder auf Privatschulen und die übrigen müssen mit den Volksschulen, die teilweise unter- finanziert sind, Vorlieb nehmen. Wollen Sie eine solche Entwicklung auch in der Schweiz?
Das will ich natürlich nicht. Ich sehe diese Gefahr für die Schweiz aber auch nicht. Wenn der Staat die verschiedenen Schulen nach Anzahl Schüler finanzieren würde, geschähe dies nicht und es gäbe eine echte Chancengleichheit. Wenn die Schulen in Konkurrenz zueinander stehen, sind sie gezwungen, innovativ zu bleiben. Heute sind die Privatschulen immer die innovativen Vorreiter und die Volksschulen folgen ein paar Jahre später.

Heute ist es aber so, dass sich nur Reiche eine Privatschule in der Schweiz leisten können.
Das kommt darauf an. In der Oberstufe, wenn die Kinder in die Pubertät kommen, steigt der Anteil Schüler in Privatschulen. Das hängt mit Problemen zusammen, welche die Schüler teilweise in der öffentlichen Volksschule haben. Hier spielen Privatschulen eine wichtige ergänzende Rolle. Es gibt immer wieder Familien, die ihre Kinder in dieser Phase auf eine Privatschule schicken, obwohl sie es sich fast nicht leisten können. Wenn das Problem gross ist, wird dies irgendwie finanziert. Da staune ich manchmal.

Die öffentliche Volksschule wird aber als Institution angesehen, die alle Bevölkerungsschichten zusammenbringt.

Das möchte ich nicht in Abrede stellen. Dieses Vorstellung entspricht aber nicht ganz der Realität. Es spielt heute eine grosse Rolle, ob die Kinder in Riehen aufwachsen und zur Schule gehen oder im Kleinbasel. Da kann von der Volksschule als verbindendes Element und von Chancengleichheit keine Rede sein.

Haben Sie in diesem Zusammenhang einen Wunsch an die Politik?
Ich wünsche mir einfach, dass die Schweiz in diesem Bereich liberaler wird und mehr Wettbewerb zulässt. Davon würden das Bildungswesen und die Gesellschaft profitieren.

Ihre Gruppe zählt heute sechs Schulen. Wollen Sie weiter wachsen?
Wenn sich Gelegenheiten und Opportunitäten ergeben, werden wir diese sicher prüfen. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Strukturen deutlich vereinfacht.

Ist eine zweite «International School» an einem anderen Standort ein Thema?
Nein, das ist für uns derzeit kein Thema.

Digitalisierung ist heute ein grosses Thema. Wie wird aus Ihrer Sicht die Schule der Zukunft aussehen?
Covid hat eines gezeigt: Lernen ist auch ein sozialer Prozess. Wenn man das Lernen völlig digitalisiert und sich die Schüler oder Studierenden nicht mehr persönlich kennen würden, ginge etwas Wertvolles verloren. Daher glaube ich, dass ein hybrides Modell die Zukunft ist. Ein Teil des Unterrichts erfolgt – gerade in der höheren Berufsbildung und der Erwachsenenbildung – über Fernunterricht, der Rest in der Schule vor Ort.

Zum Schluss: Was ist Ihr Wunsch für 2021?
Schön wäre es, wenn wir die Covid-Geschichte in den Griff bekommen würden. Damit könnten sich die Schulen auch wieder verstärkt auf ihre Kernaufgabe konzentrieren. Und für mich persönlich: Ich komme ins AHV-Alter und würde mich darüber freuen, wieder reisen zu können.


Georg B. Weibel

Georg B. Weibel hat 1989 die Neue Sprach- und Handelsschule Basel übernommen und daraus im Laufe der Jahre eine der grössten privaten Bildungsgruppen der Schweiz geformt. Zum Unternehmen «Ipso Bildung» gehören heute sechs Schulen: HWS Huber Widemann Schule, Ipso International School Rheinfelden, IBZ Schulen, Ipso Haus des Lernens, IFA Weiterbildung und NSH Bildungszentrum. An insgesamt elf Standorten werden rund 5100 Studierende ausgebildet.

Georg B. Weibel ist in Laufen aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Lehre besuchte er die Hotelfachschule und absolvierte später ein Nachdiplomstudium Betriebswissenschaft. Seit 1989 lebt er mit seiner Familie in Rheinfelden. (vzu)


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