«Beim Bike-Marathon muss man mit Krisen umgehen können»

  15.11.2020 Persönlich, Wallbach, Sport

Irina Lützelschwab gewann gerade Bronze an der Schweizermeisterschaft

Man nehme ein Mountainbike, eine etwa 100 Kilometer lange Strecke über verschiedenste Wege sowie 2000 bis 3000 Meter an Höhendifferenz. Das ist dann ein Bike-Marathon und seit über einem Jahr Irina Lützelschwab’s Leidenschaft und ihr neues Leben.

Birke Luu

Das neue Leben von Irina Lützelschwab begann vor rund zwei Jahren, als sie im Urlaub mit ihrem Vater per Rennvelo von Barcelona aus in die Schweiz radelte. Fünf Tage lang jeweils ungefähr 120 Kilometer. «Da habe ich so richtig den Spass an der Langstrecke entdeckt», lacht die Wallbacherin, die noch – beziehungsweise wieder – im Haus der Eltern im Ortskern von Wallbach wohnt. Sie war schon einmal ausgezogen und studierte nach ihrer Berufsmatura «Internationales Management» in den USA. Doch dann brach sie dies ab, kam zurück ins Fricktal und begann nochmals ganz neu.

Heute studiert die 25-Jährige Sportmanagement in Chur und eröffnet nächstes Jahr eine kleine Velowerkstatt mit Ihrem Vater. Irina Lützelschwab lebt für das Mountainbiken. «15 Rennen waren es selbst in diesem Corona-Jahr, seit August hatte ich nur ein freies Wochenende.» Doch das Mountainbiken hat es ihr einfach angetan. «Es ist viel abwechslungsreicheres Fahren als mit meinem Rennvelo», schwärmt sie. Ihr Rennvelo nutzt sie nur noch für Strassenrennen, die der Vorbereitung ihrer Lieblingsdisziplin dienen: dem Bike-Marathon.

Langdistanz-Rennen
Ein Bike-Marathon erstreckt sich über 80 bis 120 Kilometer, zusätzlich müssen zwischen 2000 und 3000 Höhenmeter überwunden werden. Die Fahrerinnen und Fahrer sind dafür in der Regel mehr als vier Stunden unterwegs – es geht über asphaltierte Strecken und Feldwege genauso wie über Stock und Stein. «Man weiss nie, was genau kommt, da man solch eine lange Strecke vor dem Rennen kaum anschauen kann», erklärt Lützelschwab und ergänzt begeistert: «Gerade das macht den Bike-Marathon für mich so interessant und viel spannender als die relativ kurze Rundstrecke beim Cross-Country-Rennen.» Fahrtechnisch anspruchsvolle Trails wie beim Cross-Country gebe es beim Bike-Marathon auch, hinzu komme jedoch die enorme körperliche und mentale Herausforderung der Langstrecke. «Man hat immer wieder Tiefpunkte und muss mit diesen Krisen umgehen können», meint die Sportlerin. Das sei ziemlich hart und man müsse viel dafür trainieren. «Viel» heisst in ihrem Fall auch «lange Einheiten». Sie trainiert inzwischen täglich und kommt damit pro Woche auf 18 bis 25 Trainingsstunden auf dem Rad und dazu kommen noch Krafttrainings. Das wären so zweieinhalb bis fünf Stunden – pro Tag. Sie fahre meist von Wallbach aus in die verschiedensten Richtungen, «je nach Lust und Laune». Besonders gerne erklimme sie den Sonnenberg oder das Gebiet rund um Bad Säckingen, aber Abwechslung sei ihr das Wichtigste. Wovor es Herrn und Frau Schweizer allerdings graust, das liebt Irina Lützelschwab: «Ich fahre gerne aufwärts, beisse gern, denn danach kommen als Belohnung die Trails abwärts», lacht die Durchtrainierte, die manchmal auf diesen Trainingsfahrten von ihrem Vater begleitet wird. Von ihm hat sie wohl ihre Sportbegeisterung geerbt.

Erfolge und Pleiten
Rund ein Jahr erst ist Lützelschwab voll beim Bike-Sport dabei – und kann schon auf veritable Erfolge, aber auch enttäuschende Pleiten zurückblicken. Als grössten Erfolg bezeichnet sie mit Recht ihre Bronzemedaille, die sie als Newcomerin an der diesjährigen Bike-Marathon-Schweizermeisterschaft im September gewann. Ebenfalls als Erfolg kann sie ihre Einladung zur Teilnahme an der Weltmeisterschaft in der Türkei werten, die vor zwei Wochen zu Ende ging. Leider wurde sie dort vom Pech verfolgt und schied enttäuscht beim Rennen aus. «Eine halbe Stunde vor dem Start hatte ich an meinem Bike einen Platten und Speichenbruch. Ich habe es zwar noch an den Start geschafft, aber nach zehn Kilometern riss dann völlig unerwartet das Schaltkabel, was das Aus für mich bedeutete.» Dies alles sei viel Pech und natürlich extrem frustrierend gewesen, aber dennoch habe sie wichtige neue Erfahrungen im internationalen Umfeld sammeln können. Daher lautet das Fazit ihrer ersten Saison auch: «Alles, was ich dieses Jahr erreicht habe, war unglaublich! Das hatte ich so nicht erwartet», freut sie sich und blickt motiviert in die Zukunft.

Grosse Pläne
Die Schweiz, das ist unbestritten, ist eine namhafte Mountainbike-Nation, die schon viele bekannte und erfolgreiche Sportler hervorgebracht hat. Für Irina Lützelschwab liegt das «an den super Trainingsbedingungen und der sehr guten Förderung für die Cross-Country Fahrer.» Sie selbst habe schon mit Ariane Lüthi – die an der diesjährigen Weltmeisterschaft gerade Bronze gewonnen hat – auf Elba ein Vorbereitungsrennen gefahren und dabei viel von ihr gelernt. «Das ist sehr motivierend und hat mir viel geholfen. An der Schweizermeisterschaft bin ich eine lange Strecke mit ihr gefahren und dann auch hinter ihr Dritte geworden.»

Da Irina Lützelschwab erst vor Kurzem zum Bike-Marathon-Sport gekommen ist, fehlt ihr noch Einiges an Erfahrung – in Bezug auf ihre Fahrtechnik, aber auch hinsichtlich der richtigen Ernährung, Rennvorbereitung und Trainingsgestaltung. Ihr Alter sei jedoch kein Thema. «Die meisten guten Marathon-Fahrerinnen sind zwischen 25 und 35, weil es für diese Disziplin einfach Erfahrung braucht.»

Da die diesjährige Saison nun beendet ist, hat die Fricktalerin zwei Wochen Pause – danach fängt das Training für 2021 bereits wieder an. Dann wird sie erstmalig in ihrem neuen Team trainieren. Ihr oberstes Ziel: «Meine eigene Leistung verbessern!» Zudem wird sie darauf hinarbeiten, an der nächsten Schweizermeisterschaft wieder eine Medaille zu erringen sowie an der Weltmeisterschaft 2021 auf Elba unter die Top 15 zu kommen. Die nächsten Jahre plant sie, sich mit Ihrem Trainer Ralf Schäuble mit vollem Einsatz ihrer sportlichen Karriere zu widmen, diese erfolgreich aufzubauen. Der VC Kaisten bleibe dabei weiterhin ihr Heimatverein – auch wenn sie ihre Fühler inzwischen weit in die Welt hinausstreckt.

Und nun noch einfach interessehalber: Was denkt solch eine durchtrainierte Sportlerin, wenn sie bergauf von unsportlichen Freizeit-Radlern auf E-Mountainbikes überholt wird? «Das ist völlig ok», lacht Irina Lützelschwab. «E-Bikes sind super, da sie alle Leute in die Natur hinausbringen. Auch meine Mutter hat eines und kann uns so bei den Trainings begleiten.» Also, alle rauf auf die Bikes und hinaus in die Natur!


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