Rund um den Chüngel

  17.10.2020 Fricktal, Kaisten, Gipf-Oberfrick

Die Kaninchenzucht ist ein aufwendiges Hobby. Viele Kleintiervereine beklagen einen Mitgliederschwund, die Überalterung nimmt zu. Manche Vereine geben auf. Für die beiden Züchter Martin Kunz aus Gipf-Oberfrick und Walter Mischler aus Kaisten ist Aufgeben keine Option. Im Gegenteil, sie sind auch bereit, neue Wege zu beschreiten. (nfz)


Chüngelzüchter und Selbstversorger

Der Pionier Martin Kunz verbucht in seinem Metier gute Ergebnisse

Als ein seit Jahrzehnten überzeugter Anhänger der biologisch betriebenen Landwirtschaft hat Martin Kunz schon viele Erfahrungen gemacht und musste auch schon aufgeben. Aber mit seiner Bio-zertifizierten Kaninchenzucht und als Selbstversorger verbucht der Pionier motivierende Fortschritte.

Paul Roppel

Schon zu jener Zeit, als die biologische Landwirtschaft als etwas für Visionäre und Spinner abgetan wurde, betätigte sich Martin Kunz intensiv in dem Metier. «Ich bin ein überzeugter Echtheitsfanatiker und Selbstversorger. Dabei stelle ich mir hohe Anforderungen», sagt er über sich. Neben dem Gemüseanbau züchtete er unter anderem Legeenten, Hühner, Karpfen und Schafe. «Aber es zeigte sich, dass ich schliesslich einen Hof haben müsste, um wirtschaftlich davon leben zu können. Auch habe ich mich zu stark verzettelt», begründet der ehemalige Primarschullehrer seine Entscheidung, sich auf die zertifizierte biologische Kaninchenzucht zu konzentrieren. Der zusätzlich als Tanz- und Bewegungstherapeut ausgebildete und seit 22 Jahren in der Psychiatrie tätige 63-Jährige hatte schon immer eine Affinität zur Landwirtschaft. Deshalb arbeitete er periodisch in der Landwirtschaft oder im Gartenbau.

Schwierige Startzeit
Im Gegensatz zu seiner Zeit als Mitglied im Kleintierzüchterverein, wo er mit seinen Ideen eher als Unikum angesehen wurde, waren bei seiner neuen Ausrichtung und Zielsetzung kaum Personen für den Erfahrungsaustausch zu finden. «Einige hatten wegen Misserfolgen und zu grossem Aufwand schon aufgegeben. Ein anderer meinte, dass ich dies keine fünf Jahre prestieren würde», erinnert sich Kunz an die schwierige Anfangszeit. Auf Schweizer Biobetrieben ist die Chüngelhaltung zahlenmässig und wirtschaftlich betrachtet unbedeutend, obwohl der Biomarkt und Biofleisch gerade in diesem von Corona geprägten Jahr enormen Aufschwung erlebten. «Ich könnte mehr absetzen als ich produziere, aber ich bin nun in einer Konsolidierungsphase», bekräftigt der Pionier. Denn nach zahlreichen Rückschlägen, vielen lehrreichen Erfahrungen und Recherchen meint Kunz, die geeignete Halte- und Zuchttechnik gefunden zu haben, die sich auch für ihn finanziell befriedigend entwickle. Allerdings musste er immer wieder unter grossem Aufwand Anpassungen vornehmen, welche in der Quintessenz die Wirtschaftlichkeit für eine Vergrösserung gar in Frage stelle, leitet er aus seinen Erkenntnissen ab.

Futter aus dem Garten
«Es gibt wohl keinen Betrieb in der Schweiz, der auf meine Art produziert», resümiert Kunz mit sichtlichem Stolz. Der zertifizierte und mit dem Knospenlabel ausgezeichnete Bio-Kaninchenproduzent verkauft pro Jahr vertraglich gesichert 50 Mastchüngel, etwa das gleiche Kontingent über die Direktvermarktung. Rund 100 sieben Wochen alte Absetzkaninchen gehen zu Biobauern zur Mast. Diese Zahlen ergeben sich aus idealen Zuchtbedingungen: Die Zibben haben jährlich in den fünf Würfen bis zu acht Junge. Das benötigte Futter für die zwei in separaten Ställen und auf variablen Wechselweiden lebenden Zuchtgruppen produziert er grösstenteils selbst. Er hat inzwischen für den Überschuss aus dem Garten sogar einen Hofladen zur Vermarktung eingerichtet. «Chüngel fressen ein breites Angebot aus dem Garten», erklärt Kunz. Begrenzt wird biologisches und natürlich pharmazeutikafreies Kraftfutter zugekauft. Die grosse Herausforderung ist, dass die Tiere widerstandsfähig, gesund und kräftig sind. In der konventionellen Kaninchenproduktion werden prophylaktisch Medikamente wie sogenannte Kokzidiostatika (gegen einzellige Parasiten im Darm) über das Futter verabreicht, was im Biobetrieb verboten ist und nur durch aufwändige stressfreie Haltungsformen, Zucht- und Hygienemassnahmen, sowie vielfältigem Futter kompensiert werden kann.

Kunz ist mit der Entwicklung seines Versuchsbetriebes zufrieden und hofft nach der Pensionierung davon mit Freude profitieren zu können.


Ein halbes Leben Zucht auf Schönheit und Leistung

Kaninchenzüchter Walter Mischler erlebt enorme Veränderungen

Walter Mischler ist eine Koryphäe in Kleintierzüchterkreisen, der von den Experten für seine prämierten Kaninchen während über 40 Jahren unzählige Auszeichnungen zugesprochen erhielt. Zusammen mit seinen Kollegen hat er eine prosperierende Blütezeit im Zuchtwesen erlebt, das aber immer weniger Nachwuchszüchter findet und an Mitgliederschwund leidet.

Paul Roppel

Für den 70-jährigen Walter Mischler ist das von der Coronapandemie und seinen Auflagen geprägte Jahr als Kaninchenzüchter sehr einschränkend. Dessen ungeachtet, laufen aber die Zuchtaktivitäten den Jahreszeiten entsprechend routinemässig ab. Die Jungtiere, die im Frühjahr geboren wurden und 10 bis 12 Wochen bei der Zibbe waren und nun in einer eigenen Boxe leben, erhalten seine gewohnte Aufmerksamkeit und Pflege, damit sie wie üblich bis zum Winter prächtig gedeihen und das erforderliche Idealgewicht von 1,85 bis 2,1 Kilogramm erreichen. So arbeitet er mit seiner Kaninchenzucht der Rasse Zwergwidder zielgerichtet weiter, als ob die vom November bis Februar üblicherweise angesagten Wettbewerbe und Ausstellungen stattfinden – oder eben coronabedingt wieder abgesagt werden. «Bislang ist alles abgesagt worden, es gibt keine Ausstellungen und auch kaum Vereinsaktivitäten», umschreibt der Pensionierte die gemächlichere Gangart, die aber immer noch den täglichen Rhythmus mit Füttern und Pflege abverlangt. «Was mir fehlt, sind die Treffen im Verein. Ganz besonders diejenigen im Klub, wo wir unter seinesgleichen unsere ganz speziellen zuchtspezifischen Diskussionen führen können», meint er. Das heisst, die grösste Fachkompetenz mit entsprechendem Erfahrungsaustausch findet sich für ihn im Zwergwidder-Klub Gruppe beider Basel.

Unzählige Auszeichnungen erreicht
Walter Mischler hat 1976 mit dem Hobby Chüngelzüchten begonnen. Vorab mit der Rasse Rex Castor, dann Loh Schwarz und nun seit ein paar Jahren Zwergwidder im Farbenschlag Rhön und Blau. Seit über 40 Jahren lässt er in unzähligen Ausstellungen, pro Jahr drei bis viermal, seine Zuchttiere bewerten und heimst ebenso viele Auszeichnungen ein. Mit sichtlichem Stolz erinnert er sich an die vorletzte schweizerische Zwergwidderclubschau in Buttisholz, wo er mit seiner gemischten Kollektion von sechs Tieren den Schweizermeistertitel erhielt. Sein Exemplar wurde anfangs Jahr in der Ausstellung in Gipf-Oberfrick bei den Zwergwidder aller Farbenschläge als Sieger und zum Aargauermeister ernannt. Seine Tiere erhalten jeweilen in den acht Bewertungskriterien fantastische Noten.

Maximum im Kriterium Gesundheit
«Wir züchten auf Schönheit und Leistung», sagt Mischler, dessen Hasen einzeln, aber in wesentlich grösseren Zuchtboxen mit Rückzugsmöglichkeit und Nageobjekt leben als vom Tierschutzgesetz vorgeschrieben; eine Freilauff läche kann er ihnen nicht bieten. Auch sind die Stallungen auffallend aufgeräumt und sauber. Beim Kriterium Gesundheit und Pflege brillieren seine Chüngel mit der Maximalnote. Heu und Wasser, Kraftfutter und Rüstabfall aus dem Garten werden verfüttert. «Jeder Züchter ergänzt periodisch noch mit seinen Geheimrezepten wie Eichen- und Tannenzweigen, Sonnenblumenkernen oder Leinsamen und dergleichen», gibt Mischler einen Einblick in die Futtermischungen. Im Hochsommer wird prophylaktisch Kraftfutter mit Kokzidiostatika gegen die Darmerkrankung verfüttert. Aber weitere Medikamente duldet man in seinen Kreisen nicht. «Gutes Zuchtmaterial, eine gute Haltung, Pflege und gutes Futter sind die Grundlagen für gesunde Tiere», bekräftigt Mischler, der viel mitbekommen hat, während 30 Jahren als Vorstandsmitglied, davon 24 Jahre als Präsident des Kleintierzüchtervereins Kaisten, wo er Ehrenpräsident ist. Auch war er sieben Jahre Präsident des Fricktaler Verbandes. «Wir erleben seit einigen Jahren massive Veränderungen in Vereinen und Verbänden», sagt Mischler.

Überalterung und Mitgliederschwund
«Die Züchter haben ein Durchschnittsalter von über 60 Jahren und deren Zahl nimmt kontinuierlich ab; auch kommen kaum Jungzüchter nach», stellt er als Zeiterscheinung fest. Um genügend Hilfskräfte für Anlässe zu haben, arbeiten die Vereine Kaisten und Frick/Gipf-Oberfrick seit Jahren zusammen. Ähnlich läuft es auf regionaler Ebene, wo nach 76 Jahren der Fricktaler Verband mit seinen fünf Ortsvereinen und der Verband Baden, Brugg, Zurzach im März aufgelöst und in die neu geformte Organisation Aargau Nord eingebracht wurden. Seine Aussage zum Züchterschwund belegt Mischler aus der Mitgliederstatistik des Aargauischen Kleintierzüchter-Verbandes, wo die Abteilung Kaninchen im Jahr 1990 die hohe Zahl von 3902 Züchter im Kanton auswies, 2005 noch 2796 und 2015 die Reduktion auf 1485. Zurzeit sind es noch 1170 Kaninchenzüchter. «Diese Beobachtung ist nicht überraschend, aber ein Patentrezept für die Trendumkehr hat wohl niemand. Über die nächsten Jahre wird viel Wissen und Können über die Kaninchenzucht verloren gehen», bedauert Mischler, der weit über das halbe Leben Freude und Muse bei seinen Kaninchen gefunden hat.


44 Kaninchenrassen in der Schweiz

Erste Kaninchenzüchtervereine wurden in der Schweiz zirka Mitte 19. Jahrhundert gegründet und hatten einen enormen Aufschwung bis nach dem 2. Weltkrieg. In gut besuchten Ausstellungen wurden die Tiere präsentiert und von Experten prämiert, die sich ab 1905 in einem eigenen Verband organisierten. Die Experten taxieren acht vorgegebene und umschriebene Positionen. Dem Bedürfnis Zuchtziele mit Normen zum Idealbild jeder einzelnen Rasse zu umschreiben, wurden sogenannte Standards verfasst, welche periodisch angepasst werden. Für die zurzeit in der Schweiz anerkannten 44 Rassekaninchen in über 100 Farbschlägen gilt für die Bewertung der Standard 15 von 2015, eine 260 Seiten umfassende Fibel. Der französische Widder und der belgische Riese werden darin mit ältestem Anerkennungsjahr 1850 aufgeführt. Periodisch werden neue Rassen aufgenommen wie beispielsweise 1965 der in Holland ab 1952 durch Kreuzungen gezüchtete Zwergwidder mit seinen typisch seitlich hängenden Ohren, der zurzeit in 13 Farbschlägen im Standard aufgeführt ist. (pro)


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