«So viel Dankbarkeit für so wenig»

  02.09.2020 Persönlich, Wegenstetten

Ein Wegenstetter Engel ohne Flügel: Sonja Wunderlin

Sie wollte den älteren Menschen im Dorf das Leben während des Lockdowns ein bisschen leichter machen. Sonja Wunderlin hat niemals mit einer so grossen Dankbarkeit und Resonanz gerechnet. Sogar die Nomination für Wegenstetten zum «Schweizer Dorf des Jahres» hat sich aus der Aktion ergeben.

Janine Tschopp

Sonja Wunderlin war während des Lockdowns im Volg und hörte, wie die Verkäuferin zu einem älteren Herrn sagte. «Zu Ihrem eigenen Schutz sollten Sie nicht selber einkaufen gehen. Bleiben Sie lieber zu Hause.» Dann sah Sonja Wunderlin, wie dem Mann Tränen in die Augen schossen. Die Wegenstetterin hinterliess ihre Handy-Nummer im Volg und stellte sich zur Verfügung, die Einkäufe für die älteren Menschen im Dorf zu übernehmen. Ihr Angebot wurde rege genutzt. Sie merkte bald, dass sie das allein nicht schafft und holte Unterstützung bei ihren Kolleginnen und Kollegen des Samaritervereins. Schliesslich waren es sieben Personen, welche viermal pro Woche im Einsatz waren, um die Einkäufe für die älteren Menschen im Dorf zu besorgen.

Das Übernehmen der Einkäufe war noch nicht alles. Immer wieder kam Sonja Wunderlin dieser ältere traurige Mann im Volg in den Sinn. Sie beschloss, ihm und allen anderen älteren Menschen im Dorf das Leben während des Lockdowns zu erleichtern und sie mit kleinen Aufmerksamkeiten aufzumuntern. Auf der Gemeinde organisierte sie die Adressen aller Wegenstetter Einwohner, die 65 Jahre alt oder älter sind. Diese Menschen fanden dann zweimal pro Woche eine Überraschung im Brief- oder im Milchkasten. Eine selbstgestaltete Karte, ein Zitat als Lebenshilfe, einen Wettbewerb, einen Schokoladekuss. Einfach eine Aufmerksamkeit, ein Seelenwärmer, der einem das gute Gefühl gibt, nicht allein zu sein. Auch wenn die Welt gerade Kopf steht, und man sich in den eigenen vier Wänden isolieren muss. Sonja Wunderlin wurde auch bei dieser Aktion durch Dorfbewohner, ihren Mann, den Samariterverein Wegenstetten und die Gemeinde unterstützt.

Eine grosse Dankbarkeit
«So viel Dankbarkeit für so wenig. Das hätte ich nie gedacht», sagt Sonja Wunderlin. Auf dem Tisch steht ein Korb voller Dankesbriefe, welche sie in den letzten Wochen erhalten hat. Es kommen ihr die Tränen, während sie einen der Briefe vorliest. Es ist eine Dorfbewohnerin, die sich beim «Engel ohne Flügel» für die grosse Herzlichkeit bedankt.

Sonja Wunderlin freut sich über die grosse Resonanz und die Dankbarkeit. Sie spürt auch eine Gemeinschaft im Dorf, die gestärkt wurde. Als letzte Aktion, bevor der Lockdown zu Ende war, legten sie und ihre Engelshelfer einen Schmetterling in die Briefkästen. Dazu schrieb sie: «Der Schmetterling als Zeichen des Neuanfangs darf ausfliegen und seine farbenfrohe Welt entdecken. Gerne dürft Ihr Euren Schmetterling sichtbar an die Fensterscheibe kleben. So werden in Wegenstetten rund 160 ‹Sommervögel› aus den Wohnungen leuchten und für uns alle als Zeichen der Verbundenheit und Gemeinschaft da sein.»

Im Finale des Wettbewerbs «Schweizer Dorf des Jahres»
Die Schweizer Illustrierte, L’illustré und il Caffè küren jedes Jahr das «schönste Dorf der Schweiz». Heuer wurden aufgrund der Corona-Krise nicht die «schönsten» Gemeinden gesucht, sondern diejenigen, welche der Ausnahmesituation mit besonders viel Solidarität und Kreativität begegnet sind.

So kam es, dass eine Person aus Wegenstetten die Aktionen von Sonja Wunderlin und dem Samariterverein bei der Jury gemeldet hatte und das Fricktaler Dorf nun mit elf anderen Gemeinden im Finale steht. Bis heute, 1. September, konnte abgestimmt werden. «Ich weiss gar nicht genau, was man gewinnen kann», gesteht Sonja Wunderlin. «Für mich war es sowieso eine wunderbare Zeit. Und ich würde es wieder tun. Für ältere Leute da zu sein, ist Seelenbalsam für mich.»

Seit 27 Jahren im Samariterverein
Die 49-Jährige ist seit 27 Jahren Mitglied beim Samariterverein, seit fünf Jahren ist sie Präsidentin. «Ich ging damals zum Verein, weil dort ein Mann war, der mich faszinierte.» Heute ist dieser Mann ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder (Micha, 21 und Lisa, 18).

Als Präsidentin des Vereins freut sie sich, dass sie an der vergangenen Generalversammlung fünf neue Mitglieder aufnehmen durfte. «Wir haben derzeit 21 Mitglieder.»

Sonja Wunderlins früherer Beruf war Familienhelferin bei der Spitex. Aufgrund von zwei Auffahrunfällen mit Schleudertrauma und den damit verbundenen Schmerzen kann sie diese Tätigkeit heute nicht mehr ausüben. Sie absolvierte die Ausbildung zur Katechetin und war in Hornussen, bis zur Geburt ihrer Kinder, während zehn Jahren angestellt. Vor zehn Jahren liessen sich sie und ihr Mann, er ist Physiotherapeut, zum geistigen Heilen ausbilden. Zweimal pro Woche praktizieren sie und helfen Menschen, ihre Beschwerden zu lindern. «Das ist eine sehr erfüllende Tätigkeit», sagt sie.

In ihrer Freizeit widmet sich die aktive Wegenstetterin gerne dem Backen und ihrem grossen Garten. «Der Garten gibt viel zu tun, aber es ist auch ein sehr schöner Ort, wo man sich erden kann.» Generell liebt sie die Natur und geht gerne mit ihrem jungen Hund «Milo» spazieren.

Wie viele Wegenstetter beschäftigt sie im Moment auch das Dorffest, welches in einem Jahr geplant ist. In der Scheune ihres Wohnhauses werden der Samariterverein und der Kirchenchor eine Beiz führen. Sie hofft sehr, dass das Fest aufgrund der Corona-Situation überhaupt durchgeführt werden kann. Die Verunsicherung und die Distanz, welche die Menschen derzeit untereinander halten sollten, belastet Sonja Wunderlin. «Eine Umarmung tut allen gut. Ich hoffe sehr, dass man sich bald wieder einmal unbeschwert näherkommen darf.»


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