Junger Fischadler stürzt ins «Schlaraffenland» ab

  27.08.2020 Natur, Sulz

Eine aussergewöhnliche Tierrettung in Rheinsulz

Seit 100 Jahren gilt der Fischadler in der Schweiz als ausgestorben. In Rheinsulz landete nun einer im Fischergut. Und hätte da nicht ein Angestellter die Hilfeschreie des jungen Vogels gehört, wäre dieser im «See» ertrunken.

Bernadette Zaniolo

Das Fischergut im Laufenburger Ortsteil Rheinsulz hat am Dienstag jeweils Ruhetag. An diesem Morgen wird die Ruhe an diesem idyllischen Ort jedoch von Schreien durchbrochen. Mitarbeiter Peter Kepa, der eigentlich frei hat, jedoch routinemässig einen Kontrollgang macht, merkt gleich, dass diese «Pi-Pi»-Rufe, wie er diese bezeichnet, aussergewöhnlich sind. Es sind nicht die gewohnten Rufe von über dem Gewässer kreisenden Milanen oder Fischreihern. Schnell geht er den Schreien nach und entdeckt, da mitten im Weiher vor dem Gartenrestaurant, einen Vogel. «Nur noch das Köpfchen schaute heraus», erzählt Peter Kepa der Redaktorin. Die Flügel des Tieres waren bereits mit Wasser vollgetränkt. Der 32-Jährige handelt blitzschnell. «Ich zog die Schuhe aus und legte das Handy weg», sagt der Familienvater. Er springt ins Wasser, zieht den Vogel heraus und bringt ihn in das zum Fischergut gehörende Schlachthaus.

Eine Überraschung
Doch das Leben des jungen Vogels endet nicht hier. Als Kepas Chef Michael Huber und dessen Frau Yvonne Rieben wach sind, erzählt Kepa voller Freude: «Ich habe eine Überraschung für euch.» Behutsam wird der Vogel in eine grosse Kiste mit Heu gesetzt und die Polizei verständigt. Dann geht es Schlag auf Schlag. Die Vogelwarte Sempach informierte die Greifvogelstation Berg am Irchel. Diese lässt das erschöpfte Tier durch den «Tier-RettungsDienst» der gleichnamigen Stiftung abholen und in die Greifvogelstation der Stiftung PanEco in Berg am Irchel bringen.

Der Vogel «war ein bisschen dünn», hält Peter Kepa im Gespräch mit der NFZ fest; ebenso, dass sich das Tier ruhig verhielt und nicht etwa zu beissen versuchte. «Wir haben der Tierrettung fünf Fische mitgegeben», so Yvonne Rieben, die sich ebenfalls sehr über die Rettung freut.

Dies gleich in doppeltem Sinn: Denn erst ein paar Stunden nach der Rettungsaktion, aus dem rund zwei Meter tiefen Gewässer, war klar: es ist ein Fischadler. Dieser gilt in der Schweiz seit 100 Jahren als ausgestorben. «Dem Fischadler aus Rheinsulz geht es sehr gut. Er ist glücklicherweise nicht verletzt», so Andi Lischke, Leiter der Greifvogelstation am Irchel auf Anfrage. Aufgrund der Beringung konnte festgestellt werden, dass es sich beim in Rheinsulz gestrandeten Fischadler um einen Jungvogel handelt, der in diesem Frühling im Raum Brandenburg (Nord-Deutschland) geboren und von einem Beringer der Vogelwarte Hiddensee beringt wurde. Das Tier befand sich auf dem Flug nach Afrika. Fischadler verbringen dort ihre Jugendjahre und können während ihres Zugs im Erwachsenenalter in der Schweiz beobachtet werden.

Lange Zeit wurden die Fischadler hier, gemäss Aussage der Greifvogelstation, als Konkurrent der Fischer verfolgt und schlussendlich ausgerottet. Ihre letzte schweizerische Brut wurde ganz in der Nähe der Greifvogelstation, in Ellikon am Rhein, vor über 100 Jahren beobachtet. Im Mai dieses Jahres konnte im Auenschutzgebiet der Thurauen bereits über einige Tage ein Fischadler beobachtet werden. «Jedoch gibt es heute keine Beobachtung von einer Fischadler-Brut in der Schweiz», so Andi Lischke.

Zweiter Fischadler-Pflegling in der Greifvogelstation
In der Greifvogelstation war bisher erst ein Fischadler zur Pflege. Beim Pflegling im 2017 handelte es sich um ein mindestens drei Jahre altes Weibchen. Es wurde auf einer Strasse im Kanton Zug gefunden. Das im Kanton Zug gerettete Tier kollidierte vermutlich mit einem Auto. Es erholte sich schnell und konnte bereits nach kurzer Zeit wieder in die Freiheit entlassen werden.

«Vielleicht schon diese Woche», sagt Andi Lischke angesprochen auf die Frage, wann der in Rheinsulz gerettete Fischadler wieder ausgewildert wird. Und wer weiss: Vielleicht erinnert sich das Jungtier noch an dieses «Schlaraffenland» in Rheinsulz (Fricktal) und brütet dort sogar. Laut Andi Lischke werden Fischadler zirka 25 Jahre alt. Im dritten oder vierten Lebensjahr sind sie geschlechtsreif, haben zwei bis drei Eier pro Jahr, es werden aber meist maximal zwei Jungtiere flügge.

Beim Fischadler in Rheinsulz handelt es sich vermutlich um ein Weibchen. Sein Retter Peter Kepa sowie Michael Huber und Yvonne Rieben haben dieses vorgestern Dienstag in der Greifvogelstation besucht. «Wir nehmen nochmals fünf Forellen als Geschenk mit», so Yvonne Rieben kurz vor der Abfahrt nach Berg am Irchel.

Diese Rettungsaktion von «klein Petra» und die damit verbundenen Kontakte und Gespräche werden Peter Kepa noch lange in Erinnerung bleiben. Und voller Stolz und ausführlich wird er das seiner Familie bei seinem nächsten Besuch erzählen und die Bilder zeigen. Kepa arbeitet seit zehn Jahren als Gastarbeiter in der Schweiz und seit vier Jahren im Fischergut in Rheinsulz.

Auch bei Ian Dietrich, Mitarbeiter des TierRettungsDienst, der den Vogel in Rheinsulz abholte, bleiben tiefe und schöne Erinnerungen. «Der Alltag als Tierrettungsfahrer ist spannend und abwechslungsreich, denn man weiss nie, was passiert und welche Notfälle einen erwarten. So zum Beispiel die Rettung des Fischadlers. Ich bin Tierrettungsfahrer geworden, weil ich mit meiner Arbeit Tieren eine zweite Chance geben kann.»


Wiederansiedlungs-Projekt

Seit einigen Jahren setzt sich die Organisation «Nos Oiseaux» mit grossem Engagement im freiburgischen Bellechasse für die Fischadler ein. Einige Jungtiere wurden dadurch bereits zwischen Murten-, Neuenburger- und Bielersee wiederangesiedelt und dort ausgesetzt. «Bis diese ausgesetzten Tiere jedoch in der Schweiz brüten, brauchen Artenschützerinnen und Artenschützer einen langen Atem. Denn nur wenn viele Faktoren zusammenpassen, kehrt eine Art zurück in ein Gebiet», heisst es in einer Medienmitteilung der Stiftung PanEco. (bz)

www.greifvogelstation.ch www.naturzentrum-thurauen.ch www.tierrettungsdienst.ch


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