Ein Leben lang Weichen stellen

  30.05.2020 Gipf-Oberfrick, Persönlich

Der Gartenbahn-Enthusiast

Pius Ackle aus Gipf-Oberfrick hat vier Jobs. Er ist unter anderem Bestatter und Chauffeur. In der Freizeit steckt er viel Herzblut in seine Gartenbahn-Anlage.

Matthias Reimann

«Ich rede gerne und viel» entschuldigt sich Pius Ackle zu Beginn der Unterhaltung und spielt damit der NFZ einen prima Steilpass zu.

Das Bauernhaus an der Landstrasse steht auf einem derart grossen Grundstück, dass sich der gelernte Elektromechaniker 2006 eine Gartenbahn-Anlage zur Personenbeförderung baute, die in einem Rundkurs ums Gebäude führt. Die Anlage entstand mit der Planung des Gartens, der mit Wegen, Kräutergarten, Wiesenfläche, Sträuchern und Weiher wie das Bühnenbild der Bahnlinie wirkt.

Ein Schienenstrang führt in die Scheune. Dort stehen ein Zugfahrzeug und Waggons. Vier Autobatterien liefern genügend Energie, um mit der Komposition einen ganzen Tag fahren zu können. Die nächste Ausfahrt hätte im Juni am «Dampf & Grill»-Tag erfolgen sollen. Aber auch dieser Anlass ist Opfer der gegenwärtigen Krise geworden. «Dann eben im nächsten Jahr» meint der Herr der Schienen. Bis dahin wird Ackle in seiner Werkstatt weitergrübeln und konstruieren. Ideen gehen dem Tausendsassa offenbar nie aus.

Nach seiner Lehre kreuzte er einige Jahre als Chauffeur über die Landstrassen. So fuhr Ackle des Öfteren mit 26 Tonnen Whisky im Tankzug aus Schottland in die Schweiz. Da die Spirituose für den Transport einen sehr hohen Alkoholgehalt aufweist, gilt sie als Gefahrengut. «78 Volumenprozent hätten eine ziemliche Feuerkraft gehabt» lacht er.

Vollzeit-Vater und Bahn-Tüftler
Später arbeitete er 20 Jahre in leitender Funktion bei der ABB. Als sich seine Frau 2006 mit einer privaten Spitex selbständig machte, beschloss das Paar, dass der Vater seine Position an den Nagel hängen sollte. Er schmiss fortan den Haushalt und kümmerte sich um ihre drei Söhne. «Diese Zeit war für uns alle wertvoll», erinnert sich Ackle. «Für die Jungs war es gut, dass jemand zu Hause war, wenn sie von der Schule kamen. Ich hielt meiner Frau den Rücken frei, damit sie Vollgas geben konnte.» Nebenbei fertigte er im Auftrag Metall-Geländer und -Treppen nach Mass an, baute das eigene Haus um und trieb seine Bahnprojekte weiter voran.

Vor drei Jahren machte er sich selbständig: «Für meine Familie und meine weitere berufliche Ausrichtung war es der richtige Entscheid zum richtigen Zeitpunkt.» Seine vier momentanen Jobs könnten unterschiedlicher nicht sein. Als Freelancer montiert und unterhält Ackle klimatechnische Geräte und Industrie-Entstaubungen. Für die Firma seiner Frau erledigt er die monatlichen Abrechnungen, Lohnwesen und Buchhaltung. Dass er in jungen Jahren mit Lastwagen quer durch Europa getingelt ist, nützt ihm auch heute noch: Zwischendurch fährt er fette Brummis. «Es kann sein, dass ich erst einen Sattelzug mit Salz fahre und danach auf einer Baustelle Fertigelemente abliefere.»

Der Bestatter
Für Job Nummer vier sei seine Lebenserfahrung die verlässlichste Ausbildung gewesen, meint das Universaltalent: «Ich bin auch Bestatter» überrascht Ackle den Schreibenden schmunzelnd. «Im Zusammenhang hört sich das vielleicht paradox an, aber ich bin gerne unter Leuten. Als Einsatzleiter hat man mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun.» Eigentlich wäre sein Mandat für einen Tag pro Woche gewesen, aber die aktuelle Situation brachte auch diesen Plan durcheinander. So wird er noch für eine Weile einige Tage die Woche als Bestatter tätig sein.

Für seine wirklich grosse Leidenschaft das Planen, Bauen und Installieren von Gartenbahn-Anlagen nimmt er sich allerdings immer Zeit. Der 56-Jährige konzentriert sich vorwiegend auf massgefertigte Anlagen. Es gibt Standardteile mit einheitlichen Grössen auf dem Markt. Diese seien aber wenig flexibel und zudem oft billig gemacht, meint der Experte der kleinen Bahnen. «Ich will meinen Kunden Qualität und Individualität liefern. Sowas funktioniert nicht, wenn man Teile ab Stange verbaut.» Schienenprofile kauft er am Laufmeter, biegt sie auf die vom Kunden gewünschten Radien und montiert sie zu Schienenelementen zusammen. Bahnenthusiasten können bei Ackle wählen, welchen Ausgangsradius eine Weiche haben oder welche Art von Schwellen sie haben möchten. Kunststoff, Metall, Holz oder Beton: der Entscheid liegt beim Kunden. Er fertigt aber nicht nur Schienenmodule und Weichen. Langfristig möchte er alles anbieten, was eine Gartenbahn-Anlage einmalig macht: Brücken, Tunnelportale, Drehscheiben und Geleise mit verschiedenen Spurweiten sind Ideen, die er umsetzen will.

Bekannt bis nach Japan
Neben dem kleinen Schweizer Markt verzeichnet er vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum Interesse an seinen Kreationen. Aber auch für Japan hat er schon eine Anlage offeriert. «Firmen mit grossem Gelände, Gastro- oder Freizeitbetriebe, die ihren Gästen etwas Neues bieten möchten, und Privatpersonen fragen mich nach Ideen und auch konkreten Angeboten» sagt der Tüftler. «In Zukunft will ich vermehrt auf das Standbein meiner Bahnanlagen setzen und den Kunden den kompletten Service bieten.» Nicht nur Geleiseteile und Trassen will er verkaufen, sondern für seine Kunden ganze Anlagen entwerfen, planen, bauen und auch installieren.

Und bereits stellt er neue Weichen: So hofft er, im Juni kommenden Jahres im Rahmen seines beliebten «Dampf & Grill»-Anlasses mit Beizenbetrieb wieder Jung und Alt begeistern zu können. Bis dahin wird er neue Ideen entwickeln und ausbrüten.


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