Der Worst-Case, der eintrat

  28.04.2020 Brennpunkt, Fricktal

Gefährdungsanalyse des Kantons Aargau

Im Jahr 2007 hat der Kanton Aargau eine Gefährdungsanalyse erstellen lassen, in der eine «menschliche Epidemie» ein Thema war. Vieles ist in den vergangenen Wochen so eingetreten wie damals erwartet. Im Szenario wird vor einer zweiten Welle gewarnt.

Valentin Zumsteg

Es kommt einem sehr vertraut vor, was in der Gefährdungsanalyse des Kantons Aargau zum Thema «menschliche Epidemie» zu lesen ist. «Das HxNy-Virus, das bis dahin nur in Asien und der Türkei nachgewiesen werden konnte, bereitet sich weltweit aus. Die WHO gibt den Ausbruch einer Pandemie bekannt. In Europa können die Erreger nach ersten Krankheitsfällen in Frankreich, Deutschland und Grossbritannien auch in der Schweiz nachgewiesen werden. Im Vergleich zu früheren Verdachtsfällen ist das Virus deutlich gefährlicher geworden, da durch eine Mutation nun – vornehmlich über Tröpfcheninfektion – auch eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist.»

Zu wenig Verbrauchsmaterial
2007 hat der Kanton die Firma Ernst Basler + Partner mit der Erstellung dieser Analyse, welche der NFZ vorliegt, beauftragt. «Die thematisierte HxNy-Pandemie stellt im Grunde genommen den Worst-Case dar», heisst es zur Erklärung. In den vergangenen Wochen ist vieles davon eingetreten, auch wenn einige Details anders sind. «Binnen weniger Wochen bereitet sich die Vogelgrippe in der ganzen Schweiz aus, wobei Grossstädte und die Regionen um die internationalen Flughäfen am stärksten betroffen sind (Zürich, Basel, Genf).» Der Kanton hat damals mit Unruhen, aber nicht mit einem schweizweiten Lockdown gerechnet: «Die Isolation von Erkrankten, Besuchsverbote in Spitälern und das Schliessen öffentlicher Einrichtungen führen zu einer breiten Verunsicherung der Bevölkerung. Es kommt in Einzelfällen zu Ausschreitungen vor medizinischen Einrichtungen (Spitäler und Arztpraxen), den rund 100 Apotheken und den Standorten der Kantonsverwaltung. Die Armee wird um Hilfe gebeten und unterstützt beim Schutz der Einrichtungen die überlastete Kantonspolizei.»

Probleme sah man bei der Gesundheitsversorgung: «Trotz umgehend eingeleiteter Behandlung des medizinischen Personals kommt es auch hier zu ersten Erkrankungen und damit einer zunehmenden Unterversorgung. Der Bedarf an Verbrauchsmaterial ist in den Spitälern gross, in wenigen Wochen sind die Bestände ausgeschöpft. Durch den Anstieg von Erkrankungsfällen sowie das Fernbleiben gesunder Bürger vom Arbeitsplatz aus Sorge vor einer Ansteckung kommt es schliesslich im Kanton Aargau zu Engpässen bei der Aufrechterhaltung von Produktion und Verteilung lebenswichtiger Güter.»

Zweite Welle nach drei Monaten
Interessant ist die Prognose zur weiteren Entwicklung; diese setzt etwa dort ein, wo wir heute stehen: «Nach sechs Wochen sinkt die Zahl der Neuerkrankten. Bei der Bevölkerung entsteht Zuversicht, dass die Seuche vorüber ist. Doch die Experten des BAG warnen vor einer zweiten Welle, wie sie schon 1918 bis 1920 bei der Spanischen Grippe aufgetreten war.»

Tatsächlich kommt es im Szenario zu einer zweiten Welle, drei Monate nachdem die erste abgeebbt ist. «Einen Monat nach Beginn der zweiten Welle meldet der Kantonsarzt seit Beginn der Pandemie über 100 000 infizierte Personen. Bestattungsunternehmen und Friedhofspersonal müssen starke Ausfälle beklagen, sodass es in den Leichenhallen zu Lagerungsproblemen kommt.»

Kampf um Impfstoff
Sechs Wochen nach dem Ausbruch der zweiten Welle entwickelt ein Labor den notwendigen Impfstoff. «Die im Rahmen internationaler Abmachungen unter Leitung der WHO getroffenen Regelungen der Verteilung des Impfstoffs werden jedoch unterlaufen, es kommt zudem zu Überfällen auf die Impfstoff-Transporte. In der Schweiz kommt es aus Sorge vor weiteren Erkrankungen und Todesfällen zu Unruhen, die vor allem durch die Medien angeheizt werden. Der Bundesrat gerät wegen seines Krisenmanagements in die Kritik. Es dauert eine längere Zeit, bis der Impfstoff in ausreichender Menge auch der Schweizer Bevölkerung zur Verfügung steht.»

Der Kanton ging damals davon aus, dass rund 25 Prozent der Bevölkerung erkranken, das wären heute im Aargau zirka 170 000 Menschen. Ein Prozent davon müsste zur Behandlung ins Spital. Es wurde mit einer Sterblichkeitsrate von 0,4 Prozent gerechnet, das ergäbe rund 680 Tote im Aargau und rund 8600 in der ganzen Schweiz. Hoffentlich bewahrheiten sich diese Zahlen nicht.


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