Aus Bootsflüchtlingen wurden Ladenbesitzer

  15.12.2019 Persönlich, Rheinfelden

Wie sich das Ehepaar Huynh in Rheinfelden eine Existenz aufbaute

Sie sind bescheiden, freundlich und arbeitsam – die Inhaber des Asien-Ladens «Yong Faa» gleich vor dem Rheinfelder Obertorturm. Seit bald vierzig Jahren leben sie nun hier. In die Schweiz gekommen sind sie als Bootsflüchtlinge, nachdem Nordvietnam den Süden erobert und dessen Bewohner einem brutalen Schreckregime unterworfen hatte.

Edi Strub

Zu Hunderttausenden waren sie unterwegs im südchinesischen Meer vor der Küste Vietnams. In zerbrechlichen, überladenen Booten, zum Teil mit Segeln, zum Teil hilflos im Meer treibend mit defekten Motoren und ohne Benzin. Die «Boat-People», wie man sie nannte, waren auf der Flucht vor den Kommunisten aus Nordvietnam, die nach dem Krieg die Kontrolle über den Süden übernommen hatten. Etwa vierhunderttausend Südvietnamesen wurden hingerichtet oder starben in Umerziehungs- und Arbeitslagern.

Zwei dieser «Boat-People» waren Binh Tan Huynh und Tu Linh Huynh, heute Inhaber des Ladens für asiatische Lebensmittel am Zollrain in Rheinfelden. Die beiden kannten sich damals noch nicht, sie kamen aus verschiedenen Gegenden und mit verschiedenen Booten. Tu Linh, die sich heute auch Linda nennt, damit sich die Leute in der Schweiz ihren Namen besser merken können, landete vorerst in einem Lager in Malaysia. Die Flucht sei schrecklich und gefahrenvoll gewesen, sagt sie. Sie möge darüber gar nicht erzählen. Doch auch im Lager sei es schwierig gewesen. Über zehntausend Flüchtlinge hätten sich dort angesammelt. Und alle wollten einfach nur weiter, nach Amerika, nach Australien, Frankreich, England. In die Länder also, die Südvietnam im Kampf gegen den kommunistischen Norden unterstützt hatten. Doch das sei schwierig gewesen, weil es so viele waren. Und so habe sie ein Aufnahmegesuch für die Schweiz gestellt, obschon sie dieses Land gar nicht kannte. Die Schweiz hat zuerst über das UNO-Flüchtlings-Hochkommissariat ein paar hundert Vietnamesen aufgenommen, am Ende dann insgesamt zehntausend.

1979 kam Linda in die Schweiz, zuerst nach Stansstad und am Ende nach Rheinfelden. Ähnlich erging es Binh Tan Huynh, der alleine, ohne seine Familie, in die Schweiz kam. Linda war bei der Ankunft 14 Jahre alt, sie war ein cleveres Mädchen, lernte schnell Deutsch und schaffte es in die Sekundarschule. Später durfte sie eine Banklehre machen bei der damaligen Bankgesellschaft. «Wir kommen beide aus Händlerfamilien. Wir haben dieses Geschäft im Blut», sagt Linda. Binh Tan, der sich jetzt auch Alex nennt, arbeitete zuerst als Magaziner bei Ciba-Geigy, dann in einem Restaurant als Koch. Und so entstand die Idee, gemeinsam einen Laden mit einem Take-Away aufzumachen.

«Wir wollten auf eigenen Füssen stehen. Der Anfang war aber hart. In den ersten sieben Jahren haben wir nicht ein einziges Mal Ferien machen können. Jeden Tag haben wir gearbeitet, meist auch am Sonntag, wenn der Laden nicht offen war.» Zuerst war ihr Laden in der Rosenau, nun seit einem Monat am Zollrain am Eingang zur Altstadt. «Das ist ein sehr schöner Laden, den wir von der Stadt mieten können, hell und mit grossen Fenstern. Aber leider gibt es hier keine Küche. Den Take-Away mussten wir daher aufgeben, was schade ist.»

Der Alltag von Alex und Linda Huynh ist noch immer hart. «Noch immer stehen wir täglich zehn oder elf Stunden im Laden, für ein paar Stunden oft auch am Sonntag. Die Konkurrenz im Detailhandel ist gross, aber unsere Kunden kommen gerne zu uns, weil sie das persönliche Gespräch mit uns schätzen.» Bei Linda und Alex gibt es auch immer wieder Tipps, wie man die exotischen Dinge in ihrem Laden am besten zubereitet.

Alex und Linda mögen nicht klagen. Sie sind froh, dass sie sich in Rheinfelden eine Existenz aufbauen konnten. «Wir haben drei Kinder, auf die wir sehr stolz sind. Alle drei haben sich an Hochschulen ausbilden lassen, arbeiten und stehen auf eigenen Füssen. Die Kinder müssten immer etwas besser sein und mehr erreichen als ihre Eltern, so denken wir Vietnamesen», lacht Linda. Der Laden von Linda und Alex heisst denn auch «Yong Faa», was sie mit «Bleibe stabil und gehe vorwärts» übersetzen. Die Familie hält zusammen und ist in der Schweizer Gesellschaft angekommen. «Mit unserem Enkelkind sprechen wir in drei Sprachen, unsere Tochter spricht mit ihm Schweizerdeutsch, wir Vietnamesisch und Chinesisch.» Denn sowohl Alex’ wie Lindas Familie kommen ursprünglich aus China.

Die Kinder von Linda und Alex sind alle in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Entsprechend ist die Schweiz ihre Heimat. Vietnam hätten sie nur zweimal besucht, sie seien betroffen gewesen von der Armut dort. Auch Linda und Alex denken nicht an Rückkehr. «Wir bleiben hier in der Schweiz», sagen sie. Dazu brauchen sie ein Bild geprägt von ihrer Kultur: «Die Schweiz ist für uns wie eine Blume, der man täglich Wasser gibt und sie umsorgt. Wir zahlen hier Steuern und leisten so unseren Anteil an die Finanzierung der Schulen, der Universität, des Gesundheits- und Sozialwesens. Es war oft hart, aber wir hatten Glück, dass wir in dieses wunderbare Land kommen durften.»


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