Hobbys und Sozialkontakte wirken schützend

  11.11.2019 Aargau, Fricktal, Wirtschaft

Professor Wolfram Kawohl plädiert dafür, dass Angestellte, die einen intensiven Personenkontakt haben, nicht immer nur am Front-Desk arbeiten müssen. Im Gespräch mit der NFZ verrät der Chefarzt und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) den Unterschied zwischen Burnout und einer Depression und wie wertvoll Arbeit ist.

Bernadette Zaniolo

NFZ:HerrKawohl,Sie sind Herausgeber und Mitautor des Buches «Arbeit und Psyche». Im Buch werfen Sie eine zentrale Frage auf: «Wann macht Arbeit krank, wann trägt sie zur Gesundheit bei?
Wolfram Kawohl:
Grundsätzlich trägt passende Arbeit zur Gesundheit bei. Arbeit und Person müssen aber eben gut zusammen passen. Das fängt schon bei der Berufswahl an. Doch zu dem Zeitpunkt weiss man vielleicht auch gar nicht, wo die persönlichen Stärken liegen und in welchen Bereichen andererseits Anfälligkeiten für bestimmte psychische und körperliche Störungen. Zum Beispiel ob man Atemwegs- oder Gelenkprobleme bekommen könnte. Der eine Mensch kommt mit einer bestimmten Arbeit sehr gut zurecht. Einen Anderen kann genau diese Arbeit überfordern und krank machen. Als Beispiel: Ein Referat halten zu müssen kann den einen fordern, den anderen überfordern. Es gibt aber auch Arbeitsbereiche, wo die Anfälligkeit für eine Krankheit schon generell gegeben ist und mehr oder weniger jeden betrifft, etwa bei Arbeiten mit Asbest.

Wo liegen die Herausforderungen?
Nicht nur die Arbeitsaufgabe muss stimmen, sondern auch das Team und die gestellten zeitlichen Anforderungen. Die Herausforderung liegt unter anderem in der Kommunikation.

Burnout, das ausgebrannt/erschöpft sein, hat in den letzten Jahren –so scheint es – zugenommen. «Weicheier», «nicht belastbar», «wir haben früher auch viel Arbeiten müssen», «selber schuld»; Aussagen, teils auch unterschwellig, die Betroffene seitens Arbeitskollegen oder aus ihrem persönlichen Umfeld zu hören bekommen. Ist es wirklich das «nicht belastbar sein»?
In Fachkreisen wird schon seit vielen Jahren von Burnout gesprochen. Es wird gerne gesagt, dass Burnout zunehmend sei. Wahrscheinlich wird es aber einfach häufiger diagnostiziert. Deshalb sollte man nicht nur die Diagnosehäufigkeit anschauen, sondern Bevölkerungsstudien. Diesen Epidemiologischen Studien zufolge gibt es keine Erkenntnisse dafür, dass psychische Krankheiten zunehmen. Sie werden heute einfach öfter erkannt. Oft sind schon junge Menschen betroffen, zunehmende Arbeitserfahrung bietet Schutz vor Burnout. Psychisch erkrankte Menschen werden leider oft mit dem Vorwurf der mangelnden Belastbarkeit konfrontiert. Depression ist aber nicht durch Willensschwäche verursacht, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung.

Haben Sie ein «Rezept», das den Arbeitnehmer vor Burnout «schützt»?
Einerseits, wie bereits oben erwähnt, bietet zunehmende Arbeitserfahrung Schutz vor Burnout. Dann sind eine der Person angemessene Arbeit und soziale Unterstützung wichtig. Rückmeldungen des Arbeitgebers und Vorgesetzten, sowohl positiv wie negativ, sind sehr wichtig. Angestellte, die einen intensiven Kundenkontakt haben, sollten auch Rückzugsmöglichkeiten bekommen. Tätigkeiten jenseits der Arbeit, wie etwa ein Hobby und Sozialkontakte, wirken schützend. Wichtig ist auch, wieviel Verantwortung dem Arbeitnehmer übertragen wird. Ein gewisses Mass ist gut. Es gibt aber auch Leute mit übertriebenem Perfektionsstreben, die man vor sich selber schützen muss.
Arbeitgeber und Vorgesetze haben eine Führungs- und damit auch eine Vorbildfunktion. Wenn der Chef beispielsweise abends und am Wochenende seinen Mitarbeitern Mails schickt, impliziert er damit, dass er eine umgehende Rückmeldung und Einsatz rund um die Uhr erwartet. Falls ein Mitarbeiter von sich auch keine erkennbare Grenze zwischen Arbeit und Freizeit mehr hat, ist dies ebenso problematisch. Der Arbeitgeber sollte dann genau hinschauen, ob der Mitarbeiter die anfallende Arbeit auch wirklich in der dafür vorgesehenen Zeit zu leisten vermag, ob gegebenenfalls Arbeit umverteilt werden muss oder ob sie mit dem bestehenden Personalbestand insgesamt noch zu leisten ist. Wichtig ist, dass man frühzeitig das Gespräch sucht. So auch, wenn Mitarbeiter dazu neigen, zu viel zu machen oder glauben, dies so zu müssen.

Alles muss immer schneller erledigt werden. Die Arbeitswelt, aber auch die Schule, untersteht einem rasanten Wandel. Immer mehr Menschen macht das krank. Das führt dazu, dass die Krankheitskosten steigen. Wie kann man dieser gefährlichen Spirale entgegen wirken?
In der Tat, die Krankheitskosten steigen. Und auch muss es immer schneller gehen. Es wird erwartet, dass die E-Mails unmittelbar gelesen werden. Jemand in einer Kaderposition kann sich vielleicht eher erlauben, zu entscheiden, wann er seine E-Mails sichtet. Wer nicht in einer Kaderfunktion ist, steht da häufig mehr unter Druck. Ich möchte jedoch davor warnen, die Vergangenheit zu glorifizieren. Es war früher bestimmt nicht alles besser. Die Menschen wurden auch krank, teilweise auch weil sie hart arbeiten mussten. Die Suizide in der Schweiz, zum Beispiel, sind in den letzten 30 Jahren rückläufig, also eine äusserst positive Entwicklung. Bezüglich der Digitalisierung müssen wir alle aber unser Verhalten neu definieren und sollten uns «Spielregeln» geben.

Was können Arbeitgeber tun, damit Mitarbeitende nicht in ein Burnout laufen?
Burnout kann man protektiv entgegenwirken, indem man den Mitarbeitern bestimmte Freiheiten lässt. Es gilt zu schauen, wo die Bedürfnisse des Einzelnen liegen und bei grosser Belastung, Entlastung zu schaffen. Hilfreich kann in diesem Zusammenhang auch ein Jobcoach sein. Arbeitgeber können sich diesbezüglich auch Rat bei der Hotline der SVA (Schweizerische Sozialversicherungsanstalt) holen. Es geht darum, früh zu intervenieren, damit jemand seinen Job weiterhin gut ausführen und idealerweise behalten kann.

Wie können Arbeitgeber, Vorgesetzte und Arbeitskollegen «helfen», beziehungsweise unterstützend wirken, damit von Burnout Betroffene wieder ins gewohnte Arbeitsumfeld integriert werden können?
Einerseits ist es wichtig, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht zu lange dauert. Sinnvoll ist eine gestufte Rückkehr, also zunächst mit einem Pensum von vielleicht 50 Prozent, das dann gesteigert werden kann. Arbeitgeber werden oft im Dunkeln gelassen, wann der Mitarbeiter wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren könnte. Deshalb sollten Patient, Arbeitgeber, Arzt und eventuell Jobcoach frühzeitig besprechen, wie die Rückkehr gut vorbereitet werden kann und so möglichst erfolgreich ist. Dabei muss der Arzt keine medizinischen Details preisgeben, der Patient muss selbstverständlich einverstanden sein. Ich erlebe, dass Arbeitgeber sehr flexibel und auch gegenüber einem Abteilungswechsel offen sind.

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Burnout keine Krankheit. Sie anerkannte Burnout jedoch als krankmachenden Faktor und nahm es als solchen in den Katalog der 55 000 Krankheiten, Symptome und Verletzungsursachen auf. Wo liegt der Unterschied für Betroffene, ob es sich um eine Krankheit handelt oder um einen krankmachenden Faktor?
Den Betroffenen ist nicht so wichtig, was die WHO dazu sagt. Menschen, die psychisch belastet sind, egal ob sie ein Burnout oder schon eine Depression haben, wollen eine vernünftige Hilfe. Der Unterschied liegt praktisch bei der Abrechenbarkeit. Da Burnout ein Risikozustand und keine Krankheit ist, muss die Krankenkasse die Kosten für eine stationäre Behandlung nicht erstatten. Wenn eine Depression vorliegt, muss sie hingegen die Kosten übernehmen. Einige erhoffen sich, dass die WHO Burnout als Krankheit anerkennt. Es wird jedoch auch in der nächsten Version des Klassifika-tionssystems bei der bisherigen Einstufung bleiben.

Etwa 30 Prozent der Berufstätigen hierzulande fühlen sich bei der Arbeit erschöpft. Dennoch, eine parlamentarische Initiative, welche das Ziel hatte, dass Burnout als Berufskrankheit anerkannt wird und somit von der Unfallversicherung abgedeckt würde, wurde vom Nationalrat abgelehnt. Dies weil es schwierig sei, den Zusammenhang zwischen Arbeit und Burnout nachzuweisen.
Die Begründung, dass es keine Berufskrankheit sei, ist für mich nachvollziehbar. Der spezifische Einfluss fehlt wie zum Beispiel bei Krankheiten durch Asbestexposition. Arbeit kann auch vor psychischer Krankheit schützen und der Verlust der Arbeit kann krank machen. So fallen nicht wenige Menschen nach der Pensionierung in ein tiefes Loch. Das Sinngebende fehlt, auch Strukturen und Wertschätzung. Das Sozialgefüge kommt aus dem Lot. Wir stellen fest, dass sogar viele schwer psychisch kranke Menschen, die zu uns in die Klinik oder die Ambulatorien kommen, wieder arbeiten oder weiterarbeiten wollen.

Gibt es Berufsfelder, in welchen Burnout häufiger vorkommt?
Es sind vorallem Berufsgruppen mit intensivem Personenkontakt. Das sind etwa Call-Center-Mitarbeiter, Sozialarbeitende und Pflege-Fachpersonen.


Der «Burnout»-Fachmann

Professor Dr. med. Wolfram Kawohl ist Chefarzt und Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG). Er ist auch für das Angebot in Rheinfelden zuständig (Ambulatorium und Tageszentrum). Der 48-Jährige beschäftigt sich seit Jahren klinisch und wissenschaftlich mit den Zusammenhängen zwischen Arbeit, psychischer Gesundheit und Krankheit. Vor einem Jahr hat er beispielsweise ein Buch unter dem Titel «Arbeit und Psyche» herausgegeben. (bz)


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