Die Abzockerei geht munter weiter

  19.11.2019 Fricktal, Möhlin, Kriminalität

Zwielichtige Schlüsseldienste kassieren im Fricktal ab

Zwei neue Fälle aus Möhlin stehen exemplarisch für Schlüsselfirmen, die mit ihren Wucherpreisen das Fricktal ins Visier nehmen.

Ronny Wittenwiler

Der Experte traut seinen Augen nicht, als er die Rechnungen zu Gesicht bekommt. Einmal 1493 Franken. Einmal 1702 Franken. Zwei horrende Beträge, die ein Schlüsseldienst einstrich, um in Möhlin jeweils eine Tür notfallmässig zu öffnen. Bruno Mahrer, Fachmann für Schliesstechnik, kennt das Problem, vor über zwei Jahren gelangte er via NFZ an die Öffentlichkeit. «Das Phänomen hat massiv zugenommen», sagt er jetzt.

«Absolute Fantasiepreise»
Am Anfang steht eine Notsituation: Die Tür lässt sich wegen eines Defekts nicht öffnen. Man kommt nicht mehr in die Wohnung hinein – oder nicht mehr heraus. So geschehen auch in den beiden Fällen, die sich in Möhlin vor wenigen Tagen ereigneten.

Spätabends, nach Kontaktaufnahme mit einem Schlüsseldienst, ist dieser bald da. Nach ein paar Minuten ist die Tür geöffnet – und die Rechnung gesalzen. «Hier wurden absolute Fantasiepreise verrechnet», sagt Mahrer. «Gemessen am Arbeitsaufwand, der wirklich nötig gewesen wäre, inklusive Material und Sonntagszuschlag, wären 250, vielleicht 270 Franken, absolut in Ordnung. Aber für den Auftrag 1700 Franken zu kassieren, ist reinste Gaunerei.»

Nur zum Schein lokal
Immer wieder bekommt Mahrer mit, wie solche Schlüsseldienste das Fricktal beackern. Es sind Anbieter, die bei der Onlinesuche oft mit einer 0800-Telefon-Nummer auftauchen. Sie erscheinen selbst dann, wenn spezifisch nach einem Schlüsselservice vor Ort gesucht wird. In beiden Fällen gaben die Geschädigten «Schlüsseldienst Möhlin» ein. In beiden Fällen fuhren die Retter in der Not allerdings mit deutschen Autokennzeichen vor, und sie operierten für eine Firma, die ihren Sitz (oder besser: ihren Briefkasten) in Salenstein hat und Salenstein liegt bekanntlich nicht im Fricktal – sondern am Bodensee.

«Das ist Billigimportware»
Eine Gegenüberstellung beider Rechnungen zeigt, wie willkürlich vorgegangen wird: Beim ersten Kunden wurden 289 Franken als Grundpauschale verrechnet, acht Tage später beim anderen Kunden kostete diese 389 Franken. «Die diversen Zuschläge und Abrechnungsposten sind zum Teil nicht nachvollziehbar», sagt Mahrer. «Und der eingebaute Zylinder», Mahrer zeigt auf die erste Rechnung: «das ist Billigimportware. Ein solcher Zylinder kostet im deutschen Baumarkt vierzig, höchstens fünfzig Euro.» Auf der Rechnung schlägt er mit 280 Franken zu Buche. Kassiert wird jeweils in bar oder per Kreditkarte und indem die Geschädigten – wohl oft aufgrund der Notlage – mit einer Unterschrift ihr Einverständnis für die Arbeiten geben, wird es schwierig, die Anbieter rechtlich zu belangen. Die Polizei rät deshalb: im Zweifelsfall nichts unterschreiben. «Wir empfehlen ausschliesslich regionale Schlüsseldienste», sagte zudem Hansueli Loosli von der Regionalpolizei unteres Fricktal bereits vor zwei Jahren, als die NFZ auf die Missstände, wie sie auch im Fricktal vorgekommen waren, ein erstes Mal aufmerksam machte.

Das böse Erwachen
Im Regelfall bauen solche Firmen ein Provisorium ein. Oft werden dann im Nachgang, beispielsweise von Liegenschaftsverwaltungen, hiesige Anbieter aufgeboten. Dann erst kommt oft ans Licht, wie die Geschädigten über den Tisch gezogen wurden. Mahrer betont: Ihm gehe keinesfalls darum, seine eigene Dienstleistungen in den Vordergrund stellen zu wollen. «Es gibt in der Region überall genügend seriöse Anbieter.» Noch immer traut er seinen Augen nicht, als er die beiden Rechnungen, von den Geschädigten zur Verfügung gestellt, vor sich liegen hat. «In einem solchen Ausmass habe ich das noch nie erlebt.»


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