«Die Stallarbeiten sind für mich so etwas wie Meditation»

  13.10.2019 Persönlich, Sulz

Richterin Brigitte Rüede aus Sulz ist gerne unter Menschen und liebt Tiere

Zwischen Stall und Gerichtsgebäude: Brigitte Rüede ist bescheiden und macht um ihre zahlreichen Tätigkeiten kein Aufheben. Ihren Mitmenschen begegnet sie stets freundlich und mit einem herzlichen Lachen.

Dieter Deiss

Vor rund dreissig Jahren wurde Brigitte Rüede angefragt, ob sie sich für eine Kandidatur als Grossrätin oder als Ersatzrichterin beim Bezirksgericht zur Verfügung stelle. Ein politisches Mandat sei für sie nicht in Frage gekommen, hingegen habe sie das Amt am Gericht interessiert. Dies dürfte kaum zufällig gewesen sein, war doch ihr Vater Franz Oberle viele Jahre Gerichtskassier in Zurzach. Dieser nahm seine Tochter Brigitte hie und da mit in das Gerichtsgebäude. Irgendwie sei sie dadurch für die Gerichtsarbeit sensibilisiert worden, meint Brigitte Rüede. Nach Sulz geführt habe sie übrigens die Liebe, erklärte die Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Den Schritt ins Fricktal habe sie nie bereut. Das Leben hier gefalle ihr sehr gut.

Von der Ersatzrichterin zur Vizepräsidentin
Bei ihrem Einstieg in die Justiz fing Brigitte Rüede als Ersatzrichterin an. Nach einer Vakanz im Richtergremium wurde sie zur ordentlichen Richterin für Straf-, Zivil- und Jugendgericht ernannt. Später amtete sie einige Jahre als Vizepräsidentin. «In dieser Eigenschaft konnte ich auch Einzelrichterverhandlungen führen», erzählt sie. Mit der Schaffung der Familiengerichte gab es eine zusätzliche Gerichtspräsidentin für das Familiengericht, diese übernahm die Funktion des bisherigen Vizes.

Für die Verhandlungen werden abwechslungsweise vier der sechs Laienrichter aufgeboten. Eine Ausstandspflicht gebe es dann, wenn Verwandte vor Gericht stehen, erzählt die Sulzer Richterin. Sie trete aber auch freiwillig in den Ausstand, wenn sie die Beteiligten persönlich gut kenne. Vor dem Gerichtstermin müsse man sich intensiv mit den zum Fall gehörenden Akten auseinandersetzen. Dies können manchmal nur wenige Schriftstücke sein, manchmal auch mehrere Ordner voller Unterlagen. «Es gibt spannende Akten, die sich beinahe wie ein Krimi lesen, es gibt aber auch todlangweilige Unterlagen, die man trotzdem seriös bearbeiten muss», führt Rüede aus. Und noch etwas schiebt sie nach: «Die Gerichtsverhandlungen sind alles andere als reine Formsache. Es kommt immer wieder vor, dass man aufgrund der Verhandlung zu einer völlig anderen Ansicht des Falles kommt.»

Im Anschluss an die Verhandlungen ziehe sich das Gericht zur Beratung zurück. Hier werde der Fall nochmals eingehend diskutiert, wobei der Gerichtspräsident und der Gerichtsschreiber so etwas wie das juristische Gewissen seien, da bei der Bemessung des Strafmasses der gesetzliche Rahmen eingehalten werden muss. «Die Arbeit am Gericht gefällt mir ausserordentlich gut», betont Brigitte Rüede, macht aber gleichzeitig keinen Hehl daraus, dass die Tätigkeit auch sehr belastend sein kann, insbesondere bei Tötungsdelikten. Hier sei es wichtig, dass man solche Ereignisse nicht zu nahe an sich herankommen lasse, betont sie.

Prägende Erlebnisse auf dem Bauernhof
Genau wie auch das Amt als Richterin in irgendeiner Form mit Jugenderlebnissen verknüpft ist, gilt dies noch viel mehr für ihre ausserordentlich grosse Tierliebe. Als Kind habe sie oft Ferien auf einem Bauernhof in Homberg oberhalb Thun verbracht. Ihre Tante sei dort aufgewachsen. Dort erlebte sie noch, wie alle Arbeiten mit dem Pferd ausgeführt wurden, einen Traktor gab es auf dem Hof nicht. So durfte denn das Mädchen das Pferd oftmals führen, beim Pflügen gar zusammen mit einem Pferd des Nachbars. «Ich war selig», beschreibt Brigitte Rüede ihre damaligen Erlebnisse. Aber auch bei den Kälbern und Kühen sei sie glücklich gewesen, berichtet sie aus ihrer Jugendzeit, kurz, das Bauern gefiel ihr. Eigentlich wollte sie nach der Schulzeit Tierpflegerin in einem Zoo werden. «Mein ganzes Umfeld riet mir jedoch dringend davon ab», so habe sie dann auf der Gemeindeverwaltung Zurzach eine Verwaltungslehre absolviert und arbeitete danach als Sachbearbeiterin bei einer Krankenkasse und später im Sekretariat im Ambulatorium Königsfelden. Dort schrieb sie unter anderem psychiatrische Gutachten für die Gerichte.

Ihre Liebe zu den Tieren übertrug sich dann später auch auf ihre Tochter. Gemeinsam nahmen Mutter und Tochter Reitstunden. Da um das Haus in Sulz genügend Platz vorhanden war, kaufte die Familie zwei Ponys. Ein Stall wurde so gross gebaut, dass darin auch Pferde Unterschlupf fanden, so dass man heute im Büntacher in Sulz nebst den zwei Ponys auch zwei Pferde betreut. Daneben hat Brigitte Rüede noch zwei Ziegen, mehrere Kaninchen, Katzen und hütet zeitweise den Hund ihrer Tochter.

«Die Stallarbeit empfinde ich überhaupt nicht lästig», antwortet sie auf eine entsprechende Frage. «Das Misten ist für mich wie meditieren und das beim Fressen entstehende Geräusch der Pferde und Ponys wirkt auf mich sehr beruhigend und beflügelt meine Gedanken», erzählt sie.

Liebe zu Mensch und Tier
Allerdings ist Brigitte Rüede nicht einseitig auf ihre Tiere fixiert. Sie ist nämlich auch sehr gerne unter Menschen, sie liebt die Geselligkeit. So singt sie begeistert im Kirchenchor Sulz mit, wo sie zudem noch Vereinsaktuarin ist. Vor allem das Mitwirken bei grossen Werken habe bleibende Eindrücke hinterlassen. Ihre Liebe zur Natur bezeugt sie in der aktiven Mitarbeit im Naturschutzverein Sulz-Laufenburg. Hier gehört sie als einzige Frau dem Vorstand an, verwaltet die Kasse und ist bei Veranstaltungen für das leibliche Wohl der Teilnehmenden besorgt.

Die Mitarbeit in den Vereinen habe ihr schon viele Freundschaften gebracht, was ihr sehr viel bedeute. Überhaupt ist ihr die Geselligkeit wichtig, weshalb man sie zusammen mit ihrem Mann Edwin immer wieder an verschiedenen Veranstaltungen in Sulz und Laufenburg antreffe. Um alte Freundschaften besser pflegen zu können, frischt sie zudem momentan ihre Französischkenntnisse auf.

Damit nicht genug: zwei- bis dreimal wöchentlich fährt sie nach Leibstadt zu ihrem betagten Vater, der noch alleine in seinem Hause lebt. Hier erledigt sie zur Unterstützung der Spitex die Einkäufe, Wäsche, Autofahrten und die administrativen Angelegenheiten und ermöglicht damit ihrem Vater das selbständige Leben zu Hause. Auch Büroarbeiten mache sie übrigens gerne, führt sie dazu aus. Da bleibt eigentlich nur noch die Frage, was die soeben ins AHV-Alter eingetretene Brigitte Rüede nicht gerne macht, denn das Wort Stress kennt sie offensichtlich nicht. Alles, was sie anpackt, erledigt sie mit grosser Ruhe. Sie hat und nimmt sich Zeit für ihre Mitmenschen genauso wie für ihre Tiere. Für viele Menschen in einer gehetzten, von Äusserlichkeiten geprägten Welt, müsste sie eigentlich Vorbild sein.


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