«Die Spitex ist für mich eine Lebensschule»

  07.09.2019 Kaisten, Persönlich, Wallbach/Mumpf

Seit 30 Jahren, 15 davon bei der Spitex-Kaisten als Zentrumsleiterin arbeitet Eveline Stocker bei der Spitex. Eine Aufgabe, die sie fordert, aber noch viel mehr mit grosser Hingabe erfüllt.

Susanne Hörth

Nein, lacht Eveline Stocker, einen Pflegeberuf habe sie eigentlich nie erlernen wollen. Man ahnt es: Sie wurde Pflegefachfrau. Den Ärmel für diesen Beruf habe es ihr nach einem dreimonatigen Spitexpraktikum «reingezogen». «Ich brauchte halt einen kleinen Stups in die richtige Richtung.» Die Ausbildung hat sie, die in Zunzgen Baselland aufgewachsen ist und heute in Mumpf lebt, im Spital Liestal absolviert. Sie blieb dort nach der Lehre noch für weitere zwei Jahre. Immer mehr beschäftigte sie dabei: «Die Leute, vor allem die älteren, sind im Spital oft ‹ausgeliefert›. Als Pflegefachfrau sich für ältere Menschen genügend Zeit nehmen zu können, ist fast unmöglich. Zumindest war es damals so. Ich habe deshalb das Spital verlassen. Das ist nun 30 Jahre her.» Ihren Beruf als diplomierte Pflegefachfrau wollte sie aber unbedingt weiter ausüben. Gleichzeitig war es ihr aber auch wichtig, mehr für die Patienten da sein zu können, die Menschen und ihre Geschichten kennenlernen zu können.

So begann vor 30 Jahren ihre bis heute andauernde Zeit bei der Spitex. Zuerst 15 Jahre bei der Spitex Regio Liestal und seit ebenso vielen Jahren nun bereits bei der Spitex Kaisten. Zur Faszination an diesem Beruf(ung) meint sie: «Wir gehen zu den Leuten. Es ist unglaublich, wie schnell wir in die Familien integriert werden. Vertrauen erhalten.» Nachdenklich, nicht selten auch etwas traurig stimmt es sie, dass die Spitex-Mitarbeitenden teilweise die einzigen sind, die regelmässig zu den Klienten kommen. Dabei gelte es oft, die schwierige Gradwanderung zwischen Pflegeauftrag und persönlicher Zuwendung zu meistern. Die Türe nach erfolgter Pflege oder Haushaltshilfe hinter sich zuzuziehen, dadurch die Frauen und Männer wieder ihrer Einsamkeit zu überlassen, sorgt nicht selten für emotionale Momente.

Faktor Zeit
«Die Spitex ist für mich eine Lebensschule», betont daher Eveline Stocker. Sie verhehlt nicht, dass der Faktor Zeit im Berufsalltag eine wichtige Rolle spielt: mit den Krankenkassen wird im Minutentakt abgerechnet. «Ich sage meinem Team immer, dass man etwa die sechs Minuten, welche wir für die Medikamenten-Verabreichung haben, gut nutzen kann. Statt nur das Glas Wasser mit den Tabletten vor den Patienten hinstellen, setzen wir uns drei Minuten zu ihm oder ihr an den Tisch, leisten ihnen Gesellschaft.»

Die immer komplexer werdenden, zunehmend anspruchsvolleren Aufgaben haben in den vergangenen Jahren zu Veränderungen bei den Spitex-Organisationen geführt. Zu den Veränderungen zählt Eveline Stocker als Beispiel die immer früheren Spitalaustritte auf. «Wir haben dadurch auch vermehrt jüngere Patienten.» Auf der anderen Seite sorgt die demografische Entwicklung für Zunahme der Krankheitsbilder. So etwa die Demenz. Gefordert ist die Spitex auch in der palliativen Pflege. Um all dem gerecht zu werden, müssen die Mitarbeitenden in der spitalexternen Pflege entsprechende Ausbildungen vorweisen. Stete Weiterbildungen sind selbstredend.

Weil viele kleinere und mittelgrosse Dorforganisationen den prall gefüllten Spitex-Rucksack nicht mehr alleine trage konnten, schliessen oder schlossen sie sich zu grösseren Einheiten zusammen. So etwa die Spitex Fricktal AG. Kaisten hat sich für die Eigenständigkeit entschieden. Zentrumsleiterin Eveline Stocker schätzt diese Überschaubarkeit. Da wir ein kleines Team sind, empfinden die Patienten den Wechsel der Mitarbeiterinnen nicht so stark. Gleichwohl weiss sie auch, dass die Spitex Kaisten nicht immer alleine das umfassende Angebot der spitalexternen Hilfe bieten kann. Deshalb hat die Spitex Kaisten Leistungsvereinbarungen und einen Zusammenarbeitsvertrag für Personalaustausch bei Engpässen, mit den umliegenden Spitexorganisationen abgeschlossen. Als die Mutter von drei, heute erwachsenen Kindern vor 15 Jahren in Kaisten ihre Stelle als Spitexleiterin antrat, waren sie gerade einmal zu dritt im Pflegeteam. «Wir betreuten damals 18 Patienten in der Haushaltshilfe und 28 Patienten in der Pflege. Letztes Jahr waren es 86 in der Krankenpflege und in der Haushaltshilfe 60 Personen.» Auch wenn ihre Arbeit als Leiterin eines Teams von zehn Mitarbeitenden in der Krankenpflege, sechs in der Haushaltspflege und neu auch eine administrative Mitarbeiterin sie sehr ausfüllt, so lässt sie es sich nicht nehmen, einen Tag in der Woche in der Pflege zu arbeiten. Auch die Erstgespräche bei den Patienten zuhause übernimmt sie in der Regel selber. Sie schätzt diese persönlichen Kontakte.

«Bin ich im Dorf unterwegs, ruft es oft von verschiedenen Seiten her: ‹Grüezi Frau Stocker, wie geht es Ihnen›. Ich spüre immer wieder, wie sehr unsere Arbeit allgemein geschätzt wird. Das motiviert uns alle immer wieder.» Das braucht es auch. Eveline Stocker weiss aus eigener Erfahrung, was es heisst, wenn man sich in dieser fordernden und teils auch sehr persönlichen Arbeit zu viel zumutet. Irgendwann rebelliert der Körper. Bei ihr war es vor ein paar wenigen Jahren ein Gehörsturz. «Ich wusste zuerst nicht, ob ich weiter bei der Spitex arbeiten kann.» Umso dankbarer ist sie, dass es heute wieder geht.

Ausgleich zur Arbeit findet sie in der Natur. Sie macht gerne lange Spaziergänge, schwimmt gerne, liest aber auch gerne und hört ebenso gerne Musik. Vor zweieinhalb Jahren hat sie das Spitex-Kaffee ins Leben gerufen Das Spitex-Kaffee liegt ihr sehr am Herzen. Die Leute schätzen dieses Angebot im Dorf sehr. Es ermöglicht ein Zusammensitzen, ohne dabei auf der Uhr ständig den Minutenzeiger im Auge zu behalten. Es ist das, was Eveline Stocker so sehr schätzt: den direkten und vertrauensvollen Austausch mit den Menschen.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote