Vom Lebensanfang zum Lebensende

  24.03.2017 Frick, Porträt, Wohltätigkeit, Oberes Fricktal, Persönlich

Von Simone Rufli

«Eigentlich», beginnt Eva Schütz und lacht. «Eigentlich wollte ich diese Arbeit als Stellenleiterin hier in Frick für zwei Jahre machen. Als die Stelle anno 2001 ausgeschrieben war, wohnte ich in Frick, pendelte täglich nach Basel zur Arbeit ins Kinderspital und freute mich auch auf den kurzen Arbeitsweg. Ich dachte, ungefähr nach zwei Jahren würde diese Tätigkeit ihren Reiz für mich verlieren.» Passiert ist das Gegenteil. «Je länger ich für die Pro Senectute arbeite, umso mehr fasziniert mich meine abwechslungsreiche und herausfordernde Arbeit», erzählt die Sozialarbeiterin. «Faszinierend sind für mich die Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, die Breite des Angebots, mit dem die Pro Senectute stets bemüht ist, die vielfältigsten Bedürfnisse der dritten und vierten Generation abzudecken; mit der zunehmenden Lebensdauer haben wir heute nämlich zwei Generationen von alten Menschen und natürlich das Engagement unserer 130 Mitarbeitenden im Bezirk, die zu führen sehr spannend ist.»

Unter der dritten Generation versteht Schütz «jene Menschen, die nach der Pensionierung neue Tätigkeitsfelder erschliessen, die an Selbstbestimmung und Gestaltungsraum gewinnen». Demgegenüber sehe sich die vierte Generation, jene der Hochbetagten, mit zunehmender Abhängigkeit konfrontiert. «Der Unterstützungsbedarf wird grösser, die Einschränkungen massiver», so Schütz. Der Übergang von der einen in die andere Phase könne schnell vonstatten gehen oder kontinuierlich. Ein riesiges Problem stellten die jungen Demenzkranken dar, deren Angehörige sich meist noch im Berufsalltag befinden, was die Betreuung zusätzlich erschwert, zumal die Krankheit in jüngeren Jahren schneller fortschreitet als bei sehr alten Menschen.

Gewandelt habe sich auch das Umfeld, in dem wir älter werden. Jetzt kommen Menschen ins Pensionsalter, die in Patchwork-Situationen leben und die Kinder aus verschiedenen Ehen haben. «Das kann sehr schön sein für die einen, wo sich die Kinder auch um Stiefpartner von Eltern kümmern wollen. Für andere aber wird eine solche familiäre Situation zum Problem, weil sich niemand mehr für sie zuständig fühlt», gibt Schütz zu bedenken. Grundsätzlich nehme die soziale Isolation leicht zu. «Im Alter zeigt sich, ob man in jüngeren Jahren das soziale Netz ausreichend gepflegt hat», so Eva Schütz, die auch weiss, dass manch einer die Beziehungspflege angesichts der Hektik des Berufsalltags sträflich vernachlässigt.

 

Lässt sich vom Schicksal anderer Menschen berühren

Bevor sie sich in Frick um die Anliegen der älteren Menschen zu kümmern begann, arbeitete Schütz im Sozialdienst des Basler Kinderspitals. Dort half sie den Eltern von teils schwerkranken Kindern, ihre individuellen Stärken zu erkennen und so die schwierige Situation zu meistern. Neben der psychologischen Unterstützung ging es vorab bei behinderten Kindern um die Regelung von Sozialversicherungsansprüchen. Obwohl sie sich damals in der Arbeit mit den Kindern und ihren Eltern am Anfang des Lebenskreises befand, wurde sie auch im Kinderspital immer wieder mit dem Tod konfrontiert. «Wenn Kinder sterben müssen, bleibt neben dem Schmerz und der tiefen Trauer auch immer die Frage nach dem Warum. Sterben Menschen dagegen am natürlichen Lebensende, nach einem erfüllten Leben, dann lässt sich die Trauer viel besser verarbeiten. Schliesslich wissen wir alle, dass wir irgendwann sterben müssen.»

Im Kinderspital wie bei der Pro Senectute oder noch früher in ihrer Zeit als Arztgehilfin – Eva Schütz lässt sich vom Schicksal anderer Menschen berühren. Manchmal so sehr, dass sie Probleme, die nicht lösbar sind: Tragisches, Unglückliches, Konfliktsituationen, Streit oder auch das Wissen um Menschen, die einfach nicht zur Zufriedenheit finden können, mit nach Hause zu ihrem Partner nimmt.

Eine Belastung, die Schütz gerne von den über 65-Jährigen nehmen würde, ist das Pauschalurteil, dass die Alten heute die Gesellschaft zu viel kosten. «Wenn man das immer wieder hören muss, ist das nicht schön», gibt sie zu bedenken.

Eva Schütz kennt das Alter nicht nur von ihrer Arbeit her. «Wir sind vier Geschwister und haben uns bis vor kurzem sehr intensiv um unsere heute 94-jährige Mutter gekümmert. Erst vor eineinhalb Jahren ist sie ins Altersheim umgezogen, davor haben wir sie zu Hause in Strengelbach betreut.»

 

Belastbarkeit und Geschwindigkeit nehmen ab

Ins Fricktal kam Schütz, weil sie berufsbegleitend in Basel an der Fachhochschule studiert hat, dies nachdem sie im zürcherischen Buchs als Arztgehilfin gearbeitet hatte und mehr wissen und mehr bewirken wollte, wie sie rückblickend sagt. «Da ich kein Stadtmensch bin, zog ich es vor, ausserhalb zu wohnen und mit dem Zug nach Basel zu pendeln.» Heute pendelt sie gerne mit dem Velo zwischen Wohnort Gipf-Oberfrick und Arbeitsort Frick. «Ich bin gerne in der Natur, geniesse das Leben auf dem Land.»

Des eigenen Alterungsprozesses wird sich die bald 59-Jährige schon auch hie und da bewusst. «Belastbarkeit und Geschwindigkeit nehmen ab. Vielleicht habe ich mich auch deshalb dazu entschieden, die Sozialberatung in diesem Frühling abzugeben. Eine Zeitlang hatte ich zudem das Gefühl, durch die Arbeit Angst vor dem Altwerden zu bekommen. Die vielen positiven Erfahrungen mit Menschen, die trotz massiven Einschränkungen und Krisen einen neuen Sinn und Lebensqualität gefunden haben, haben mir dieses Gefühl aber wieder genommen», erzählt Schütz. Nach der Pensionierung möchte sie weiter für das Gemeinwohl tätig sein «und Beziehungen pflegen!».


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