«Wir unterstützen die Bevölkerung in allen Lebenslagen»
22.11.2025 PersönlichMichael Widmer ist seit 27 Jahren Gemeindeschreiber im Fricktal. Auch ehrenamtlich engagiert er sich seit vielen Jahren für die öffentliche Verwaltung. Im Interview erzählt er über seine Motivation und die Veränderungen in der Branche.
Karin Freiermuth
...Michael Widmer ist seit 27 Jahren Gemeindeschreiber im Fricktal. Auch ehrenamtlich engagiert er sich seit vielen Jahren für die öffentliche Verwaltung. Im Interview erzählt er über seine Motivation und die Veränderungen in der Branche.
Karin Freiermuth
NFZ: Michael Widmer, Sie sind seit 1998 als Gemeindeschreiber tätig; zunächst in Oeschgen, anschliessend in Magden und seit 2016 in Frick. Wo sehen Sie – neben den vielen technischen Neuerungen – die grössten Veränderungen in der Arbeit auf einer Gemeindeverwaltung? Michael Widmer: Generell wird die Regulierungsdichte immer höher. Dies führt zu komplexeren und längeren Verfahren, zum Beispiel im Bereich der Baubewilligungen. Zugleich sind die formellen Anforderungen gestiegen. Nebst inhaltlich richtigen Entscheiden müssen auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Gerade wenn die Parteien sich anwaltlich vertreten lassen, ist dies besonders wichtig.
Inwiefern haben sich die Anliegen der Bevölkerung verändert?
Früher hatte die Bevölkerung wohl ein noch stärkeres Grundvertrauen, dass der Gemeinderat und die Verwaltung korrekt arbeiten. Heute wird unsere Tätigkeit eher hinterfragt. Zugleich besteht eine hohe Anspruchshaltung an rasche Durchlaufzeiten und qualitativ hochstehende Arbeit. Das ist legitim und zugleich sehr anspruchsvoll.
Welches sind die grössten Herausforderungen, mit denen Gemeinde- und Stadtverwaltungen konfrontiert sind?
Nebst dem Fachkräftemangel ist auch die Digitalisierung ein grosses Thema. Diese verändert Arbeitsabläufe und Anforderungsprofile des Personals. Beispiele sind das Betreibungswesen, wo bereits über 80 Prozent der Begehren digital eingehen oder der E-Umzug, mit dem Umziehende sich per Mausklick bei der alten Gemeinde ab- und bei der neuen anmelden können. Die künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant, wobei noch offen ist, wie diese die Arbeit der Verwaltungen verändern wird. Viele Gemeinden stehen zudem unter finanziellem Druck, nachdem in den letzten Jahren etliche nicht beeinflussbare Ausgaben, wie zum Beispiel die Pflegekosten, stark angestiegen sind.
Welche Massnahmen gibt es, um dem Fachkräftemangel in der Branche entgegenzuwirken?
Die Gemeindeammänner-Vereinigung und die Personalfachverbände haben für die Bewältigung des Fachkräftemangels eine gemeinsame Task-Force gebildet. Diese setzt auf mehreren Ebenen an. So ist es wichtig, dass die Gemeinden ihren Berufsnachwuchs weiterhin selbst aus- und weiterbilden. Wir haben dazu in eine eigene Plattform unter dem Namen https://public-pro.ch/investiert,umJugendliche als potenzielle Lernende noch besser erreichen zu können. Schliesslich gilt es, das eigene Fachpersonal halten zu können. Dazu sind attraktive Anstellungsbedingungen wichtig.
Unser Berufsverband hat zudem ein Götti-System, das neu im Beruf stehendes Personal im ersten Jahr mit Rat und Tat sowie praktischen Mustervorlagen unterstützt.
Sie selbst stehen Nachwuchskräften auch unterstützend zur Seite. Sie engagieren sich ehrenamtlich als Mentor im Mentoring-Programm für die öffentliche Verwaltung der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW und begleiten eine angehende Gemeindeschreiberin. Was ist Ihre Motivation dafür?
Das Mentoring-Programm ist eine niederschwellige Möglichkeit, einen Beitrag zur Nachwuchsförderung zu leisten. Auch die Stellen der Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber sind vom Fachkräftemangel betroffen. Mit meinem Einsatz als Mentor möchte ich dazu beitragen, interessierte geeignete Quereinsteigende zu unterstützen, in einer Stelle der öffentlichen Verwaltung Fuss zu fassen.
Zusätzlich sind Sie Dozent in Weiterbildungslehrgängen für Gemeindepersonal an der FHNW und Präsident des Verbands Aargauer Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber. Warum ist Ihnen die Arbeit für die öffentliche Verwaltung so wichtig?
Wenn ich in den Weiterbildungslehrgängen doziere, kann ich mein theoretisches Wissen, wie auch meine praktische Erfahrung dem Berufsnachwuchs weitergeben. Zugleich stelle ich so sicher, dass mein eigenes Know-how auf dem neuesten Stand bleibt. Der Vorstand des Verbands Aargauer Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber setzt sich für die Interessen der Gemeinden und unseres Berufsstands ein. Wir arbeiten in den verschiedensten Arbeitsgruppen des Kantons mit und bringen uns in Anhörungen zu neuen gesetzlichen Regelungen mit Gemeindebezug ein. Dabei engagieren wir uns dafür, dass die Gemeinden weiterhin eine hohe Autonomie behalten und Gesetze bürgernah und einfach umgesetzt werden können. Wie man weiss, ist gerade der jungen Generation die Sinnstiftung im Beruf sehr wichtig. Dies ist in den Berufsbildern der Gemeinden immer gegeben. Wir unterstützen die Bevölkerung in allen Lebenslagen, von der Wiege bis zur Bahre. Kurz gesagt: Mir ist die Arbeit für die öffentliche Verwaltung so wichtig, weil gute Arbeit der Verwaltung für die Bevölkerung einen direkten Nutzen bringt und sinnvoll ist.

