«Wer etwas will, muss in Bern vertreten sein»
08.01.2025 FricktalMehr als 1800-mal hat Christoph Riner in seinem ersten Jahr als Nationalrat auf den Abstimmungsknopf gedrückt. Zeit für ein Gespräch über das Leben in der Politblase Bern, die Kunst, unabhängig zu bleiben, und sich auf drei unterschiedlichen politischen Ebenen zu ...
Mehr als 1800-mal hat Christoph Riner in seinem ersten Jahr als Nationalrat auf den Abstimmungsknopf gedrückt. Zeit für ein Gespräch über das Leben in der Politblase Bern, die Kunst, unabhängig zu bleiben, und sich auf drei unterschiedlichen politischen Ebenen zu bewegen.
Simone Rufli
Es ist der 20. Dezember, die Wintersession ist gerade zu Ende gegangen, die Parlamentarier packen ihre Unterlagen zusammen und die Putzequipen stellen die Ordnung im Bundeshaus wieder her. Nach einem Rundgang durch drei Stockwerke – ein Labyrinth aus Gängen – vorbei an Geschenken von Staatsgästen, den drei Eidgenossen und zahllosen verschlossenen Türen, das Interview mit dem Nationalrat der SVP in einem der vielen Sitzungszimmer:
NFZ: Herr Riner, hatten Sie Zeit, Bern kennenzulernen?
Christoph Riner: Jein. Ab und zu an einem Abend spät oder an einem Morgen vor der Session. Bärengraben, Kirche, die Altstadt – aber so richtig kennengelernt wäre übertrieben. Neben der Arbeit bleibt dafür kaum Zeit.
Der Bärengraben dort, die Höhle der Löwen hier.
(Lacht) Ja, manchmal hat das schon etwas …
Das Bundeshaus, ein monumentaler Bau. Politisiert man hier anders als in Aarau?
Es ist ein beeindruckendes Gebäude, wobei, der Grossratssaal hat mir schon auch sehr gut gefallen. Aber natürlich, hier sind die Dimensionen ganz anders. Möglicherweise hilft schon allein der Eindruck, den das Gebäude beim Betreten macht, dass man respektvoller im Umgang miteinander ist und mit den Aufgaben, die wir haben. Hier (er zeigt in die entsprechende Richtung) der Ständeratssaal, dort der Nationalratssaal. Das Wichtigste aber liegt dazwischen: die Kuppelhalle. Sie repräsentiert das Volk. Wir Parlamentarier sind nur die Angestellten, dessen sollten wir uns immer bewusst sein.
Was hat Sie aus politischer Sicht am meisten gefreut im ersten Jahr?
Dass ich mich von der ersten Session an aktiv einbringen und beteiligen konnte. Ich engagiere mich in der SVP-Fraktion, in der Staatspolitischen Kommission. Das ist mir persönlich wichtig, aber natürlich auch, weil ich mich meinen Wählern im ganzen Kanton Aargau gegenüber verpflichtet fühle. Schön ist sicher auch, dass wir zwar nationale Themen zu behandeln haben, wie Migration und Europapolitik, die Regionen aber trotzdem nicht vergessen gehen – wenn man sich darum kümmert. Eine strikte Trennung zwischen national, kantonal und regional gibt es nicht. Regionalpolitik ist immer auch mit der Bundespolitik verbunden. Ich denke da an meine Vorstösse zur Rheintallinie, oder die Interpellation zu den Poststellen-Schliessungen, das sind Themen, die national beschäftigen, uns aber im Fricktal direkt betreffen.
Ich bringe in der Fraktion und in der Kommission immer die Sicht unserer Region ein, den Blickwinkel des Aargaus und des Fricktals. Vieles davon gelangt nicht in die Medien – aber ich werde gehört.
Überrascht Sie das?
Nein, ich habe es mir erhofft. Mir wurde von verschiedenen Seiten bestätigt, wenn eine Region etwas will, dann muss sie in Bern vertreten sein. Einfach so, ohne Anlass, geht aus Bundesbern niemand raus in die Regionen und fragt: Was habt ihr für Sorgen? Man muss vor Ort sein und aktiv auf die Probleme aufmerksam machen und darauf, was nationale Regelungen in den Regionen für Auswirkungen haben, dann wird man aber auch gehört. Ein besonders schönes Kompliment ist für mich, wenn Parlamentarier auf mich zu kommen und sagen: «Jetzt weiss ich, wo das Fricktal liegt.»
«Der Riner bleibt der Riner!»
Anstand und Respekt seien wichtig, sein Werdegang ein Vorteil und verbiegen lasse er sich nicht, sagt Christoph Riner.
Simone Rufli
NFZ: Herr Riner, haben wir in den Regionen das richtige Bild von «denen in Bern»?
Christoph Riner: Ich glaube, nicht ganz. Ich werde zum Beispiel oft gefragt: Seid ihr eigentlich immer auf Kriegsfuss miteinander? Natürlich wird hier manchmal heftig diskutiert und mehr mit den Ellbogen gearbeitet als im Kantonsparlament. Auch ich sage meine Meinung geradeheraus. Und ja, es kommt vor, dass die Debatte etwas ausartet – das gibt dann die grossen Schlagzeilen. Aber in der Regel wird mit Respekt und Anstand diskutiert und der Umgang ist sehr kollegial.
Das bekommt man zu spüren, wenn man mit Ihnen durchs Bundeshaus spaziert.
Ich habe gleich viel Respekt vor einem Parlamentarier, wie vor jemandem vom Reinigungspersonal. Aber Anstand haben, bedeutet nicht, politisch gleicher Meinung sein zu müssen. Ich verbiege mich nicht. Ich unterscheide zwischen politischer Meinung und Person.
Wie schwierig ist es, sich als «Neuer» Gehör zu verschaffen?
Mir hat sicher geholfen, dass ich 20 Jahre in der Finanzkommission meiner Gemeinde Zeihen und 14,5 Jahre im Grossen Rat war. Ich kenne die Abläufe in Fraktionen und Kommissionen, weiss wie es ist, wenn man ans Mikrofon geht, wie man Kontakte knüpfen kann, auch überparteilich. Mir hat sich bestätigt, dass mein Weg durch die verschiedenen politischen Ebenen richtig war. Es gibt auch Quereinsteiger, das kann frischen Wind bringen, aber ich denke, man hat ein anderes Gesamtbild, wenn man vorher auf Gemeindeund Kantonsebene tätig war.
Eine Laufbahn, die Ihnen den Weg in die Staatspolitische Kommission geebnet hat.
Ich habe Freude, dass die Partei mich dieser Kommission zugeteilt hat. Dass man als Neuer gleich seinen Wunsch erfüllt bekommt, ist nicht selbstverständlich. Ich konnte meinen Wunsch aber auch gut begründen. Gemeinden, Kanton, Bürgerrechtsfragen, Migration, Asyl, Religion – diese Geschäfte sind mir schon aus dem Grossen Rat heraus politisch nahe und vertraut.
Kommissionen sind gemischt. Wie ist der Kontakt über die Kantongrenzen hinaus?
Es herrscht eine grosse Offenheit über die Kantons- und Sprachgrenzen hinaus. Im Gespräch mit einem Innerschweizer oder einem Walliser stelle ich je nach Thema plötzlich Gemeinsamkeiten mit Sorgen des Aargaus oder des Fricktals fest. Im Nationalratssaal sitzt links von mir ein St. Galler, rechts ein Bündner, hinter mir ein Jurassier – ich fühle mich wohl in ihrer Mitte und schätze es sehr, dass nicht alle Aargauer auf einem Haufen sitzen.
Was gibt Ihnen zu denken?
Die Meinungen gehen schon sehr weit auseinander. Ich frage mich immer, kann ich das Optimum herausholen für die Leute, die mich gewählt haben? Das Zweikammer-System führt dazu, dass es viele Kompromisse gibt. Umgekehrt haben wir gerade dadurch den Vorteil der Beständigkeit. Wir sind im politischen Ablauf nicht die schnellsten. Ich habe Geduld, aber auch ich habe schon gesagt, es würde mich freuen, es ginge in dieser oder jener Sache etwas schneller.
Das Schönste an unserem System ist, dass wir Politiker nicht abschliessend entscheiden können. Es besteht immer die Möglichkeit, dass das Volk als oberste Instanz in einer Abstimmung anders entscheidet oder mit Initiativen eingreift. Dieses Wissen im Hinterkopf führt zu besseren Lösungen, davon bin ich überzeugt.
Sind Sie mit dem politisch Erreichten im 2024 zufrieden?
Es gibt Geschäfte, wo ich zu den Gewinnern gehört habe und andere, wo ich bei den Verlierern war oder nur teilweise erreicht wurde, wofür ich gekämpft habe. Aber das gehört dazu. Bei einem Politiker, der sagt, in den allermeisten Fällen gehöre er zu den Gewinnern, frage ich mich, ob er nicht zu viel Slalom macht.
Hat sich Christoph Riner in Bern verändert?
Ich hoffe es wirklich nicht! Bei Leuten, die mir nahestehen, frage ich regelmässig nach und die sagen: Der Riner ist der Riner.
Die Gefahr besteht aber, dass man sich verändert …
Bei den einen oder anderen könnte es sein. Für mich ist es das A und O zu bleiben, wie ich bin. Würde ich vom engsten Umfeld zu hören bekommen, Du bist nicht mehr der von früher, wäre der Moment gekommen, die Sache zu überdenken.
Ist man Nationalrat, wollen alle etwas von einem.
Das ist so. Hier in Bern und auch daheim im Fricktal, aber ich finde das gut. Ich bekomme enorm viel Post. Sehr viele E-Mails. Viel Positives, aber auch negative Kritik. Auch die ist hilfreich und ich nehme sie sehr ernst. Ich bekomme aber auch Briefe, wie ich sie in meiner bisherigen politischen Tätigkeit noch nie bekommen habe; Briefe, die jeden Anstand vermissen lassen. Daran musste ich mich zuerst gewöhnen.
Sicher werden Sie auch von Interessenvertretern, den Lobbyisten, kontaktiert.
Das ist so. Jeder Parlamentarier hat zwei Badges, die er für vier Jahre an jemanden vergeben darf. Die werden sehr oft an Lobbyisten vergeben, an Firmen und Verbände. Die können dann vier Jahre lang im Bundeshaus ein- und ausgehen und versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen.
Ich habe meine beiden Badges bewusst nicht vergeben. Ich will niemandem etwas unterstellen und auch andere nicht beurteilen, aber für mich stimmt es so am besten. Ich will vollkommen unabhängig sein.
Damit gehören Sie zu den Ausnahmen.
Das ist richtig. Ich werde auch oft darauf angesprochen. Gerade kürzlich hat mir jemand geschrieben, sie hätten auf der Liste gesehen, dass ich meine Badges noch nicht vergeben habe, sie hätten Interesse.
Wohlverstanden, ich habe nichts gegen privaten Besuch und organisiere dann gerne etwas. Aber ich fühle mich unabhängiger, wenn ich die Badges nicht vergebe. Wie gesagt: der Riner bleibt der Riner.
Nicht Sie haben sich verändert, aber Ihr Leben.
(Lacht). Das kann ich nicht abstreiten! In bin pro Jahr 80 bis 90 Tage hier in Bern; auf 220 Arbeitstage gerechnet ist das so viel, dass ich beruflich bei den Werken in Thalheim reduzieren musste. Dazu nehme ich sehr viele Anlässe im Kanton wahr. Ich schätze es sehr, wenn ich Einladungen aus allen Teilen des Aargaus bekomme. Aus solchen Anlässen nehme ich mehr mit, als wenn ich hier im stillen Kämmerlein mit drei anderen Politikern zusammensitze. Ich weiss dann, was die Leute beschäftigt und kann das Thema in einer Fraktionssitzung einbringen. Ich sage immer: Die Politblase Bern ist gut, aber das wahre Leben, die wahren Probleme, die muss ich draussen bei den Leuten abholen.
Wie steht es mit Freizeit?
(Lacht). Ich habe schnell festgestellt, dass ich mir kein neues Hobby suchen darf. Ich bin aktiver und begeisterter Schütze, das behalte ich selbstverständlich bei. Auch private Kontakte und Freundschaften dürfen nicht leiden, aber ich muss viel besser planen als früher. Ich bin froh, dass mich meine Freundin und mein ganzes privates Umfeld unterstützen. Ich schaue auch während der Session, dass ich immer wieder ins Fricktal komme, wenn es der Zeitplan zulässt. Bern gefällt mir, aber daheim bin ich hier nicht.
Wie frei sind Sie bei den Abstimmungen?
Es gibt keinen Fraktionszwang, auch wenn das immer mal wieder anders verbreitet wird. Wenn ich das Gefühl habe, für meine Wähler oder für meine Region ist die Meinung der Mehrheit der Fraktion nicht gut, dann habe ich kein Problem damit, anders abzustimmen. Ich muss hinter meinem Entscheid stehen können. Kommt etwas Gutes aus einer anderen Partei, kann ich dem zustimmen. Wenn es der Sache dient, ist es sinnvoll, Schritte aufeinander zuzumachen. Diese Gespräche führt man am besten in der Wandelhalle oder bei einem Kaffee ausserhalb des Bundeshauses.
Es ist auch ein Vorteil, wenn man französisch spricht. Ich habe sehr guten Kontakt zu welschen Kollegen. Da entstehen sogar Freundschaften.
Eine letzte Frage: Wird es im 2025 einen parlamentarischen Schützenverein geben?
(Lacht). Es hat tatsächlich überparteilich Schützenkollegen hier – mehr als ich gedacht habe. Wir haben uns relativ schnell gefunden. Ob wir einen Schützenverein gründen werden, weiss ich nicht, aber wir haben schon darüber geredet, dass wir mal gemeinsam an ein Schützenfest gehen wollen.