Wenn dem Kopf nach Denken zumute ist
28.06.2025 FrickMöglichkeiten, das Gedächtnis zu trainieren, gibt es viele
Informationen speichern, ordnen und wieder abrufen – unser Gehirn ist phänomenal. Solange wir es fordern und in Schwung halten, sagt Christoph Kobel. Als die NFZ ihn besucht, steckt er gerade mitten in einem ...
Möglichkeiten, das Gedächtnis zu trainieren, gibt es viele
Informationen speichern, ordnen und wieder abrufen – unser Gehirn ist phänomenal. Solange wir es fordern und in Schwung halten, sagt Christoph Kobel. Als die NFZ ihn besucht, steckt er gerade mitten in einem Training.
Simone Rufli
Vergessen Sie für einmal, wo und wie Sie sonst einen Zeitungsartikel lesen. Stehen Sie auf, ruhen Sie entspannt in sich. Jetzt strecken Sie die Arme seitlich von sich und führen sie langsam über dem Kopf zusammen – und im gleichen langsamen Tempo wieder zurück zur Seite. Vergessen Sie dabei nicht zu atmen und rechnen Sie, während Sie die Übung wiederholen: 333 minus 15, minus 12, minus 6, plus 4, mal 2.
Sie rechnen nicht gerne? Wie wäre es mit Einkaufen ohne Einkaufszettel? Oder Musik aus vergangenen Jahrzehnten hören und versuchen, sich Titel und Interpret in Erinnerung zu rufen. Oder das Menü von gestern Abend? Die Kleidung von vorgestern?
Einer, der sich mit solchen Gedächtnis-Trainings bestens auskennt, ist Christoph Kobel, von Beruf Fachmann für Aktivierung und Alltagsgestaltung, in dieser Funktion auch schon im Alterszentrum Klostermatte in Laufenburg tätig. An diesem heissen Montagmorgen setzt er alles daran, bei der Pro Senectute Beratungsstelle in Frick, eine Gruppe Seniorinnen und Senioren zum Nachdenken zu bringen – mit Humor; mit so viel Humor, dass man sich zwischendurch bewusst in Erinnerung rufen muss, dass es sich um ein seriöses Training handelt.
Vom Glas aus dem Flugzeug bis zur roten Krawatte
Alle sechs Trainierenden sind fit und geistig wach – genau darum seien sie da, sagen sie und lachen wie so oft an diesem Morgen. Dann beugen sie sich konzentriert über ein Blatt Papier, auf dem sie möglichst viele der 18 Gegenstände auflisten sollen, die sie gemeinsam – über mehrere Wochen verteilt – in einen Rucksack gepackt haben. Jeder einzelne Gegenstand ist verbunden mit einer Geschichte. Das Glas zum Beispiel, stammt aus einem Flugzeug von British Airways – «wie hast Du das nur aus dem Flugzeug geschmuggelt, Christoph?». Die rote Krawatte – «Christoph mag lieber Fliegen als Krawatten». Der rote Stift, «das ist doch der von der Deutschen Bahn …»
Wenig später schallt «Respect» aus dem Smartphone. «Richtig, von Aretha Franklin», sagt Kobel und zollt seinen Schülerinnen und Schülern, wie er die Gruppe spasseshalber nennt, Respekt für ihre Hirnleistung, indem er den Musiktitel noch etwas länger spielen lässt. Es folgen weitere Gassenfeger. Ein paar Takte nur jeweils, um Erinnerungen in Gang zu setzen – Erinnerungen an romantische Discoabende für die einen, «modernes englisches Zeugs», mit dem sie damals schon nichts und heute noch viel weniger anfangen können, für andere. Egal, Hauptsache, alle sind gut gelaunt und machen sich Gedanken – über die Texte, «17 Jahr blondes Haar» – würde Udo Jürgens das heute noch so texten? Würde «Volljährigkeit blondes Haar» ein Hit? Gelächter.
«Ohne Aufwand geht es nicht»
Die 18 Gegenstände aus dem Rucksack – alle sechs haben sich an beeindruckend viele Dinge erinnert. Schön ist das, Grund zur Freude. Ihr Ziel aber geht weit über einen vollgepackten Rucksack oder ein paar Liedtexte hinaus. Sie wollen mehr. Sie wollen dem natürlichen Abbau trotzen, darum sind sie da. Obwohl ihr Gehirn noch bestens funktioniert. Nein, weil ihr Hirn noch bestens funktioniert. «Denn der Abbau findet ab einem gewissen Alter statt», sagt Christoph Kobel, «das ist eine Tatsache». Wach sein im Denken, geistige Frische bewahren, «ohne Aufwand geht das nicht», sagt Kobel.
Wege, dem natürlichen Abbau zu trotzen, gibt es viele. Ein fixer Ort? Muss nicht sein. Eine Gruppe? Nicht zwingend, aber wie dieser Morgen zeigt, lustiger als allein. Was man aus Bequemlichkeit gerne vergisst: am Machen führt kein Weg vorbei. Das Gehirn, es funktioniert nach den gleichen Regeln wie ein Muskel, der kräftig bleibt, solange er gefordert wird und sich zurückbildet, wenn er nicht mehr gebraucht wird. «Use it oder lose it», benutze es oder verliere es, so formuliert es Christoph Kobel. Vorbeugen statt vergessen. Eigentlich wissen wir es doch alle.
P.S. Fast hätte ich’s vergessen – haben Sie bei der Rechnung eingangs auch 608 bekommen?