Vorgeworfene Entführung eines Urteilsunfähigen
07.11.2025 Rheinfelden
Auch beim dritten Anlauf noch kein Urteil
Drei Schweizer sollten sich am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Rheinfelden verantworten wegen Verbringung eines dementen Betagten ins Tessin. Nur einer erschien zur Verhandlung.
Judith Natterer Gartmann
Abenteuerliches soll ...
Auch beim dritten Anlauf noch kein Urteil
Drei Schweizer sollten sich am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Rheinfelden verantworten wegen Verbringung eines dementen Betagten ins Tessin. Nur einer erschien zur Verhandlung.
Judith Natterer Gartmann
Abenteuerliches soll sich im Sommer 2016 zugetragen haben. Die Protagonisten? Ein damals 85-jähriger, in Finanzsachen verbeiständeter Reha-Klinik-Patient. Sodann dessen damals 53-jähriger Göttibub, der es, so wurde gesagt, auf Göttis Vermögen abgesehen hätte. Des Weiteren zwei Bekannte des Göttibuben. Diese damals 56- und 59-jährig, einer davon mit Haus im Tessin. Und schliesslich die für den Götti zuständige KESB Olten-Gösgen. Die Schauplätze? Das Tessiner Haus oberhalb Minusio einschliesslich Umgebung bis hinüber nach Italien und der Weg von Basel dorthin.
Ab ins Tessiner Versteck
Das Tatgeschehen präsentierte sich gemäss Anklage wie folgt: Von der Meldung über den behaupteterweise geldgetriebenen Göttibub alarmiert, verfügte die KESB am 27. Juni 2016 eine nunmehr umfassende Verbeiständung ihres Klienten sowie eine künftige fürsorgerische Unterbringung in einer Institution in Wangen bei Olten. Anders wollte es der Göttibub: Der alte Herr sollte nach Beendigung seines Rheinfelder Reha-Aufenthalts nicht nach Wangen, sondern in ein Altersheim an der Basler Murtengasse. Und dorthin brachte er ihn am 29. Juni 2016 denn auch, direkt von der Pforte der Reha-Klinik.
Die Einsicht kam jedoch, dass sich die KESB durchsetzen würde mit der verfügten Unterbringung im Solothurnischen. Und mit dieser Einsicht entstand gemäss Staatsanwaltschaft der Tatplan, den alten Herrn von Basel ins Tessin zu bringen, um ihn dort sozusagen vor der KESB zu verstecken. Für diesen Teil übernahm der Beschuldigte Nr. 2 Verantwortung: Ohne Wissen der KESB und des Beistands fuhr er mit dem Senior ins Tessin und verbrachte mit diesem dort über zwei Monate im Haus des Beschuldigten Nr. 3, inklusive Ausflug nach Italien. Dies, bis die Tessiner Polizei den betagten Herrn am 12. September 2016 auffand.
12 Monate Freiheitsstrafe bedingt gefordert
Die Staatsanwaltschaft qualifizierte das Geschehen in der Anklageschrift von November 2019 als Entführung eines Urteilsunfähigen und forderte für alle Beschuldigten 14-monatige Freiheitsstrafen, bedingt, sowie je 3000 Franken Busse. Später reduzierte sie die geforderte Strafe um zwei Monate wegen der langen Verfahrensdauer. (Der Götti ist übrigens unterdessen verstorben.)
Nachdem schon 2021 und 2023 Verhandlungstermine geplatzt waren, sollte es diesen Mittwoch nun wieder nicht sein mit der Urteilsfällung. Warum nicht? Von den drei Beschuldigten war nur einer erschienen, nämlich der beschuldigte Göttibub, begleitet von seiner Verteidigerin. Diese eröffnete ihren Vortrag so: Es sei ein schwarzer Tag für die Verteidigungsrechte des Beschuldigten, ja allgemein für die Strafverteidigung in der Schweiz. Das Gericht habe prozessuale Fehler gemacht, und der Gerichtspräsident sei befangen, weil er schon im Vorfeld der Verhandlung Anträge abgelehnt habe. Die Verteidigungsrechte seien verletzt, eine Verteidigung unmöglich. Ihr Mandant könne und werde darum nicht aussagen, und sie könne und werde nicht plädieren. Darum sei die Verhandlung abzubrechen. «Das haben sie, Herr Gerichtspräsident, zu verantworten!»
Der Anwalt der abwesenden Beschuldigten pochte auf die Verlässlichkeit und Gewichtigkeit der Zeugnisse, die er kurz vorab eingereicht hatte. Nicht irgendwelche unbekannten Hausärzte hätten seinen Mandanten darin gefälligkeitshalber Arbeits-, Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit attestiert, sondern anerkannte Spezialisten. Aber selbst wenn die Zeugnisse nicht als Dispensationsgrundlage anerkannt würden, würde das Gericht nicht darum herumkommen, die Verhandlung zu stoppen. Denn zwei von drei Beschuldigten seien nicht da. Wirksame Verteidigung setze hier aber voraus, dass alle drei präsent seien. Darum: Abbrechen und Verschieben.
Abbruch und Neuansetzung
Und so kam es dann auch: Nach nur etwas über einer Stunde brach Gerichtspräsident Matthias Meier die Verhandlung ab und stellte eine Neuansetzung in Aussicht: Über die drei Anklagen solle gemeinsam verhandelt werden, und für Abwesenheitsurteile gegen die beiden nicht Erschienenen wären die Voraussetzungen zudem nicht erfüllt. Ob es im vierten Anlauf gelingen wird? Bis zur Rechtskraft allfälliger strafrechtlicher Verurteilungen gilt die Unschuldsvermutung.
