Tanz als Lebensrhythmus
07.09.2025 PersönlichElina Bollinger (14) und ihre grosse Leidenschaft
Von der kleinen Bühne auf dem hauseigenen Balkon bis zur Weltmeisterschaft in Birmingham. Elina Bollinger hat sich mit der Jazz-Showgruppe «Under Construction» an die Spitze getanzt und überzeugt auch als ...
Elina Bollinger (14) und ihre grosse Leidenschaft
Von der kleinen Bühne auf dem hauseigenen Balkon bis zur Weltmeisterschaft in Birmingham. Elina Bollinger hat sich mit der Jazz-Showgruppe «Under Construction» an die Spitze getanzt und überzeugt auch als Solo-Tänzerin.
Yasmin Malard
Ein Blick in die Stube reicht, um zu erkennen: hier wird getanzt! Auf dem gewöhnlichen Hausboden ist ein rund zwei auf zwei Meter grosser «Tanzboden» aus Spezial-Material angesetzt. Ungeniert zeigt Elina Bollinger ihre Lieblingsdrehungen, die Fouettés, wie sie auch in «Schwanensee» getanzt werden. Auf ebendiesem Tanzboden trainiert sie stundenlang, selbst nach einem langen Abend im Studio.
Wie alles begann
Mit neun Jahren besuchte Elina in Rheinfelden ein Tanz-Camp und wurde vom Tanzfieber ergriffen. «Sie war schon immer ein Bewegungsmensch», erklärt ihre Mutter Katharina Bollinger. Zeitzeuge dafür ist das aus der Stube sichtbare Trampolin, das heute aber oft stillsteht. «Ich habe eigentlich keine Zeit mehr für das Trampolin», erklärt Elina Bollinger schulterzuckend. Denn die Zeit wird effizient genutzt: «Schule, essen, trainieren, schlafen. Viel mehr liegt nicht drin», sagt Elinas Mutter. Zum gewöhnlichen Stundenplan gehört ein tägliches Training, vor den Wettkämpfen auch zusätzlich vierstündige Einheiten an beiden Wochenendtagen. «Andere haben neben der Schule noch viel Freizeit für sonstige Sachen oder machen ab. Für mich ist das Tanzen meine Freizeit.» Das sei schon anstrengend, vor allem wenn viele Tests anstehen. Trotzdem – oder vielleicht gerade durch das viele Bewegen – fällt ihr das Lernen leicht. «Wörtli lernen geht dann schon ziemlich schnell», sagt Elina. Wenn sie Choreographien auswendig lernen muss, wird nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Gedächtnis trainiert.
Tanzen auf englischem Terrain
Der Höhepunkt bisher: die Weltmeisterschaft in Birmingham. Schon im Flugzeug hatte das Abenteuer begonnen. Die Tänzerinnen von «Under Construction» in der Luft, aufgeregt und gespannt, was noch kommen wird. Und dann war es so weit. Vor dem Auftritt war sie noch nervös, aber sobald sie auf der Bühne stand, schien alles vergessen. «Ich freue mich dann zu zeigen, was ich kann. Eine Tanzlehrerin hat mal gesagt, man soll sich auf der Bühne wie ein Star fühlen. Man weiss, dass man es kann, sonst wäre man nicht hier. Und das ist ein mega schönes Gefühl.» Nach dem Auftritt war die Tanzgruppe zufrieden, des Sieges sicher aber keineswegs. Auf Bildschirmen konnten sie die anderen Tanzgruppen beobachten. «Da dachten wir: wow, die sind richtig gut.» Mit viel Präzision, Synchronität und Energie haben sie dann trotzdem in der Kategorie «Intermediate Large Ensemble Jazzdance» den ersten Platz geholt. Viel Freude wurde ausgetauscht unter den Freundinnen, aber lange feiern konnte Elina nicht, denn die Performance war noch nicht vorüber. Beim mehrtägigen Event stand sie mit insgesamt acht verschiedenen Choreographien auf der Bühne, teils in verschiedenen Gruppen, teils allein.
Vor der Weltmeisterschaft hatte sie an der Schweizermeisterschaft brilliert und im Solo den zweiten Platz ergattert, ein Ticket für die Europameisterschaft in Polen. Dort war die Konkurrenz sehr stark gewesen. «Tanz im Solo hat in England oder Polen wahrscheinlich noch einen anderen Stellenwert als hier», sagt Katharina Bollinger. Elina schaffte es trotzdem ins Halbfinal.
Und wer schleift die talentierten Sportlerinnen zur Perfektion? Die Tanzschule «Move in Arts», die Standorte in Ziefen, Liestal und Rheinfelden hat und 900 Tänzerinnen und Tänzer auf ihren Böden träumen lässt, war schon 19-mal Schweizermeister.
Bühne Fricktal
Als die Tochter zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Kaiseraugst. Dort hat Elina schon bald den Balkon als Bühne genutzt. Heute trainiert sie in Liestal und geht in Rheinfelden in die Bezirksschule. Oft machen die Eltern Taxi-Dienst, damit so wenig Zeit wie möglich verloren geht. «Wir merken, wie gut ihr das tut, dann nimmt man das in Kauf. Sie ist gesund und es motiviert sie, dann motiviert uns das auch», erklärt Katharina Bollinger.
Wenn sie an die Zukunft denkt, bleibt Elina realistisch. «Ich würde später gerne so weitermachen, aber eher hobbymässig. Ich möchte Sport studieren und vielleicht Sportlehrerin werden, etwas mit Bewegung.» Der nächste Schritt, in einem Jahr, soll das Sportgymnasium sein. Die Plätze sind aber begrenzt. «Wenn du nicht in einer olympischen Disziplin bist, dann hast du es schwer», sagt Elina. Leistungsdruck könne da ein Thema werden, vor allem in der Gruppe. Die meiste Zeit für einen Auftritt werde gebraucht, um alle Tanzelemente synchron aussehen zu lassen. «Wenn jemand einen Fehler macht, ist man nicht gerade schuld, aber ja, schon ein bisschen. Es fällt halt direkt auf.» Missen möchte sie diesen Lebensstil dennoch nicht. Wie sie sagt, freue sie sich noch immer jeden einzelnen Tag auf das Training.
Neben dem Tanzen hat seit einiger Zeit auch das Singen einen höheren Stellenwert bekommen. Ihre neue Leidenschaft konnte sie dieses Jahr im Musical-Theater in Basel unter Beweis stellen. Ein paar jüngere Tänzerinnen hätten sie nach ihrem Musical-Auftritt begeistert gefragt, ob sie das in der Hauptrolle gewesen sei, und viele wollten das Lied singen, das sie im Solo gesungen hatte. Als die Frage aufkommt, was ihre Motivation gewesen sei, beim «Persönlich» mitmachen zu wollen, muss sie plötzlich lachen. «Als ich klein war, wollte ich immer berühmt werden. Man sagt, es sei nicht so toll, würde aber schon gerne wissen, wie das so ist. Dann führt man ja auch Interviews.»
Das hat ja schon mal geklappt.