Stefan Mosimann und die klingende Holzkiste
04.03.2024 OberhofSein Herz schlägt für Schweizer Volksmusik und Volkstanz
Seit mehr als dreissig Jahren lebt der Baselbieter Stefan Mosimann in Oberhof. Was er als 10-jähriger Bub für sich entdeckt hat, pflegt er noch heute beinahe täglich: das Musizieren auf dem ...
Sein Herz schlägt für Schweizer Volksmusik und Volkstanz
Seit mehr als dreissig Jahren lebt der Baselbieter Stefan Mosimann in Oberhof. Was er als 10-jähriger Bub für sich entdeckt hat, pflegt er noch heute beinahe täglich: das Musizieren auf dem Schwyzerörgeli. Wegen seiner regen Tätigkeit als Mitglied der Oberbaselbieter Ländlerkapelle (OLK) gilt er schweizweit als Spezialist für das Begleiten von Volkstanzgruppen.
Birgit Schlegel
Eine Augenweide sind sie, die aufgereihten Schwyzerörgeli in Stefan Mosimanns Stube. Das Gehäuse kunstvoll mit Schnitzereien und Blumenranken verziert, der Balg mit hochwertigem Leder eingefasst und mit filigran gemustertem Papier veredelt. Und wie sie erst klingen! Pure Lebensfreude auf der Melodieseite, schnarrende Bässe in den Begleitrhythmen. Kaum nachvollziehbar, wie leicht die Finger des Musikanten über die Knopfreihen fliegen. Wer selbst einmal ein Örgeli in der Hand hatte, weiss, wie kompliziert und scheinbar unlogisch die Anordnung der einzelnen Töne ist.
Stefan Mosimann widmet sich seit seiner Kindheit dieser «klingenden Holzkiste», wie er sie lachend nennt. An den ersten Musikunterricht im Kindergarten kann sich der 52-jährige Baselbieter, den es nach der Lehre als Landmaschinenmechaniker bald einmal nach Oberhof verschlagen hat, noch gut erinnern. An die verschiedenen Taktarten, die die Kinderschar mit kleinen und grossen Bewegungen gelaufen ist. Da habe er noch nichts begriffen und erst viel später erkannt, dass das wohl schon erste Tanzschritte gewesen waren.
Ländlermusik war im Hause Mosimann in Itingen (BL) allgegenwärtig. Radio Beromünster oder DRS1 gehörten zum Programm. Wie auch die volkstümlichen Sendungen, welche damals noch abendfüllend im Fernseher anzuschauen waren. Ein Schlüsselmoment! «Da habe ich eine Schwyzerörgeliformation gesehen und sofort gewusst: das will ich lernen!»
Tradition und Moderne
Mit der Sissacherin Vreni Mangold bekam der 10-Jährige eine junge und pädagogisch versierte Lehrerin, welche ihm die Grundlagen des Örgelens und das Wesen der Volksmusik näherbrachte. Das Spielen in der Grossformation im Restaurant Ochsen in Gelterkinden bleibt in bester Erinnerung. Bis zu dreissig Musikantinnen und Musikanten trafen sich damals regelmässig unter fachkundiger Leitung vom Rünenberger Allrounder Urs Mangold. Dies mit der Absicht, dass sich daraus kleinere Formationen bilden und die Ländlermusik auf diesem Weg auch in der Nordwestschweiz ansässig würde. Denn der «Hudigääggeler», der im 19. Jahrhundert ursprünglich von den Berglern als Tanzmusik in das Unterland gebracht worden ist und je nach Region stilprägend war, hat den Weg nie bis in den nördlichsten Teil des Landes gefunden.
«Ich habe immer noch das Gefühl, dass die Ländlermusik bei uns im Vergleich zu anderen Regionen belächelt und abgewertet wird. Und ich befürchte, dass die Selbstverständlichkeit für unsere Volksmusik verloren geht. Für die heutigen Kinder und Jugendlichen ist sie eine grosse Unbekannte», so der Musikant. Im Fricktal gäbe es momentan zwar viele junge Interessierte, welche das Örgelen sogar an den Musikschulen lernen. Doch wie weiter? «Die Jungen müssen Gelegenheiten bekommen, zusammen in Formationen zu spielen und aufzutreten. Dies fehlt jedoch bei uns eindeutig!» Dabei gibt es auch im Aargau hochstehende Ländlerformationen. Auch die Tradition der Stubete – dem spontanen Zusammenspielen in der Beiz – wird vereinzelt gelebt. Dies findet jedoch alles im Verborgenen statt und hat eher ein Schattendasein. Werbung wird häufig nur über den Verband Schweizer Volksmusik gemacht und nicht verbreitet. Auch ist vielleicht für Jugendliche das Auftreten in der Ländlerkluft – einem Buure- oder Edelweisshemd, für die Damen sogar eine Tracht – eher abschreckend. Stefan Mosimann weiss, wovon er spricht.
An zahlreichen Auftritten ist er mit seinem Örgeli in der ganzen Schweiz unterwegs und kennt die Szene deshalb bestens. Dabei sind die Zeiten, in welchen die Schweizer Volksmusik zur geistigen Landesverteidigung gehört hat, längst vorbei und das Image von verstaubter und rückständiger Tradition ist abgelegt. Vor allem in der Innerschweiz haben sich in den letzten Jahren zahlreiche neue Formationen gebildet, haben mit neuen Klängen experimentiert, den alten Weisen mit hoher Virtuosität und raffinierten Harmoniewendungen neuen Glanz verschafft. Die Musikhochschule Luzern hat zudem als erste Hochschule den Studiengang Volksmusik entwickelt. Kommt da nicht die Sorge auf, dass sich dieses Kulturgut, welches bisher einzig und alleine den Amateuren vorbehalten war, durch die Verakademisierung noch mehr abwenden wird? «Nein! Ich bin überzeugt, die Schweizer Volksmusik wird darunter nicht leiden! Denn diese Musikanten haben alle das Fundament durchgearbeitet und kennen dieses bestens», so Stefan Mosimann. Um einen Kasi Geisser, Rees Gwerder oder Josias Jenny komme ein angefressener Örgeler sowieso nicht herum! «Und doch staune ich immer wieder, wie viele klassisch ausgebildete Musiker oder Jazzer zur Volksmusik finden und sich dieser widmen.»
Auch Stefan Mosimann ist gegenüber moderner Ländlermusik aufgeschlossen. Sein grosses Vorbild ist Markus Flückiger. «Was der aus seinen Orgeln herauszaubert, ist einfach göttlich!» Er selbst sieht sich jedoch als Musikant traditioneller Örgelimusik. Die Tänze von Anfang 20. Jahrhundert vom Klarinettisten Kasi Geisser sind seine grosse Leidenschaft. Schon in jungen Jahren habe er die Geisser-Notenbüchlein gekauft und sich durch die anspruchsvollen typischen Tonleitern und Arpeggien geknorzt.
Mit der Oberbaselbieter Ländlerkapelle unterwegs
Stefan Mosimann kommt viel herum. Nicht zuletzt auch, weil er als Mitglied der aus TV und Radio bestens bekannten Oberbaselbieter Ländlerkapelle landesweit zu einem der führenden Musikanten gehört, was den Volkstanz betrifft. Die OLK wird mit Anfragen von Tanzgruppen überhäuft. Zahlreiche Maitänze im Frühling, Heimatabende der Trachtengruppen, kantonale und eidgenössische Volkstanztreffen.
Ob Mazurka, Schottisch, Polka oder Marsch: hunderte Tänze hat die renommierte Formation im Repertoire. Stefan Mosimann kennt sie alle auswendig, hat die Tempi genau im Kopf, kann die Abläufe und Tanzfiguren sofort abrufen. Ein grosser Vorteil, dass er selbst lange als Tänzer einer Trachtengruppe aktiv war. Er weiss genau, wo er mit seinem Örgeli den nötigen Akzent für eine schwungvolle Drehung setzen kann, bringt mit seiner lebendigen und häufig improvisierten Begleitung den nötigen Drive für die Tanzenden. Um dieses Niveau zu halten ist tägliches Üben ein Muss. Wie lässt sich dies mit seinem 100-Prozent-Job vereinbaren? «Nach einem strengen Wochenende brauche ich auch mal Ruhe, die Erholungszeit wird länger», bekennt der Musikant. Auch hat sein Körper schon vor Erschöpfung rebelliert. Da habe er gewusst, dass er sein Hobby reduzieren muss. Der bescheidene Örgelispezialist ist sich jedoch bewusst: «Es ist ein grosses Privileg, Teil einer so tollen Formation sein zu dürfen und auf diesem hohen Niveau musizieren zu können!»
Und falls Stefan Mosimann in weiter Zukunft das Schwyzerörgeli beiseitelegen muss? Kein Problem! Der Kontrabass steht im Arbeitszimmer bereits griffbereit parat.