Sollen Natur und Landschaft stärker geschützt werden?
01.09.2024 FricktalAm 22. September wird über die «Biodiversitätsinitiative» entschieden
Pro
Schützen, was wir brauchen
Eine vielfältige Natur sorgt für sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Bestäubung und gesunde Nahrung. Ohne sie können wir nicht überleben. Doch der Biodiversität in der Schweiz geht es schlecht. Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Hälfte der Lebensräume ist bedroht. Diese Zahlen sind dramatisch.
Mensch, Tiere, Pflanzen und Lebensräume sind aufeinander angewiesen und voneinander abhängig. Bienen und andere Insekten bestäuben die Pflanzen, sind Nahrungsgrundlage von Vögeln und Fischen. Milliarden kleinster Lebewesen zersetzen Pflanzenreste zu Humus. Fruchtbare Böden ernähren uns und säubern das Grundwasser, bevor wir es trinken.
Zahlreiche Wirtschaftszweige sind direkt auf eine vielfältige Natur angewiesen – von der Nahrungsmittelproduktion über die Pharmaindustrie und die Holzwirtschaft bis hin zum Tourismus. Die Biodiversität mildert auch Folgen des Klimawandels: Bäume und Moore kühlen in der heissen Jahreszeit und speichern viel CO2. Auen und naturnahe Gewässer schützen Siedlungen und Nutzflächen vor Trockenheit und Überschwemmung.
Schöne Landschaften und charakteristische Ortsbilder machen unsere Heimat aus
Die Schweiz ist reich an wertvollen, abwechslungsreichen Landschaften. Diese sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen und wichtig für die Erholung der Bevölkerung. Unsere Landschaften tragen wesentlich zur hohen Attraktivität der Schweiz als Wohn- und Wirtschaftsstandort bei. Für den Tourismus sind sie gar das wichtigste Kapital. Ein Blick auf die Werbeplakate mit Produkten der Schweizer Bauern, von Schweiz Tourismus oder auch von Schweizer Naturpärken zeigt, wie wichtig landschaftliche Schönheit und Biodiversität als Wirtschaftsfaktor sind.
Schöne Dörfer, unverwechselbare Stadtteile und einzigartige Baudenkmäler: Die Schweiz hat ein reiches baukulturelles Erbe, das unser Land prägt. Der Erhalt dieser Werte schafft Räume zum Wohlfühlen und auch er stärkt den Tourismus. Wir müssen unserer Heimat mehr Sorge tragen.
Der Handlungsbedarf ist gross
• Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist gefährdet oder bereits ausgestorben.
• Die Hälfte der natürlichen Lebensräume ist heute bedroht.
• Wertvolle Landschaften und Ortsbilder werden laufend zerstört.
Hauptursachen für den Verlust an Biodiversität und somit unserer Lebensgrundlagen sind die intensive Landnutzung und der Verlust der Lebensräume. Seit 1900 gingen 7594 km2 an artenreichen Lebensräumen wie Trockenwiesen, Auen und Mooren verloren. Das entspricht fast einem Fünftel unserer Landesfläche. Zudem ist die Qualität der bestehenden Flächen u. a. aufgrund von ungenügender Vernetzung, Auswirkungen der Klimaerwärmung oder auch fehlender Finanzen für den Unterhalt rückläufig. In der Landwirtschaft, im Siedlungsraum oder im Wald wird schon einiges für die Biodiversität getan. Das reicht aber noch bei weitem nicht, sonst wären unsere Lebensgrundlagen nicht so stark gefährdet.
Die Biodiversitätsinitiative will den Schutz unserer Lebensgrundlagen besser in der Verfassung verankern:
• Flächen: Damit die Natur ihre für uns wichtigen Leistungen erbringen kann, braucht es Flächen. Nach Annahme der Initiative werden der Bund und die Kantone die erforderlichen Flächen ermitteln. Im Initiativtext ist diesbezüglich keine fixe Zahl angegeben.
• Qualität: Entscheidend ist auch die Qualität der Flächen für die Biodiversität. Bund und Kantone sollen dafür sorgen, dass die bestehenden Schutzgebiete besser unterhalten werden. Und dass die Natur auch ausserhalb der Schutzgebiete geschont wird.
• Mittel: Bund und Kantone sollen die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen, um die dringend nötigen Massnahmen zur Sicherung der Biodiversität umzusetzen und die Leistungen im Kulturland, Wald und Siedlungsraum zugunsten der Biodiversität zu finanzieren.
Contra
Biodiversitätsinitiative exportiert unsere Probleme ins Ausland
Die Biodiversitätsinitiative lehne ich ab. Sie würde die (nachhaltige) Energie- und Lebensmittelproduktion stark einschränken, die Nutzung des Waldes sowie touristische Infrastrukturen im ländlichen Raum nahezu verhindern und das Bauen verteuern. Die einheimische Versorgung würde geschwächt und die Importe würden massiv steigen, somit unsere Umweltwirkungen ins Ausland verlagert.
Wir Landwirte sind uns schon lange der Wichtigkeit der Biodiversität bewusst und arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie. Jeder Bauer, der Direktzahlungen erhält, muss 7 Prozent von seiner Betriebsfläche für die Biodiversität bereitstellen. Die Initianten wollen jedoch, dass 30 Prozent der Landesfläche für die Biodiversität zur Verfügung steht. Sie verlangen somit, dass eine Fläche in der Grösse der Kantone Bern, Freiburg, Neuenburg und Solothurn zusätzlich aus der Lebensmittelproduktion genommen wird, um sie in das Ausland zu verlegen. Oft ist das Brasilien, dort wird Urwald abgeholzt, um unser Essen unter fragwürdigen Methoden zu produzieren, was uns offenbar nicht interessiert. «Aus den Augen, aus dem Sinn». Die Umweltverbände unterstellen uns Landwirten, die Natur zu zerstören, doch das Gegenteil ist der Fall. Aktuell dienen bereits 19 Prozent der Landwirtschaftsflächen explizit zur Förderung der Biodiversität. Das entspricht 195 000 Hektaren Land oder der Grösse der Kantone Zürich und Zug zusammen. Zusätzlich hat es 220 000 Hektaren artenreiches Grünland im Sömmerungsgebiet. Ausserdem gibt es bereits ausreichend Instrumente und gesetzliche Bestimmungen zur Biodiversitätsförderung. Der Grossteil der jetzigen Biodiversitätsflächen werden in Zusammenarbeit mit Umweltbüros und Landwirten, mit dem Programm LABIOLA, vernetzt, dabei in der Biodiversität aufgewertet. Es wird dort Biodiversität gemacht, wo sie auch Sinn macht. Dass in den Städten und Agglomerationen mit dem enormen Bevölkerungswachstum, auch auf Grund der massiven Zuwanderung, alles zubetoniert wird, blenden die Initianten aus.
Verschwiegen wird, dass die Anforderungen an das Bauen erhöht werden. Das führt zu zusätzlichen Auflagen, längeren Bewilligungsverfahren und höheren Kosten. Bauen in Altstädten wird fast gänzlich verunmöglicht. Viele Baubewilligungsverfahren werden von Aarau nach Bern verlagert. Nur, was interessiert Bern, was wir im Fricktal wollen.
Projekte im Zusammenhang mit Tourismusinfrastruktur, inklusiv Wanderwege, besonders im Berggebiet, werden mit der Initiative fast verunmöglicht. Da viele Sport- und Freizeitaktivitäten in der Natur stattfinden, gäbe es auch hier neue grosse Einschränkungen durch weitläufig geschützte Gebiete. Besonders betroffen von der Initiative wäre auch die erneuerbare Energieproduktion. Die Umsetzung der Schweizer Energiestrategie wäre bei einer Annahme erschwert. Das schadet der Versorgungssicherheit und dem Eigenversorgungsgrad mit Energie und bewirkt höhere Strompreise. Die Waldwirtschaft wäre bei der Annahme der Initiative mit neuen Einschränkungen und Vorgaben durch den Ausbau der Waldreservate konfrontiert. Da der Bedarf an Holz im Zusammenhang mit nachhaltigem Bauen oder Heizen zunimmt, würden die Importe von Bau- und Energieholz stark steigen.
Ich lehne die Initiative klar ab. Sie ist zu extrem und kostet sehr viele Steuermillionen. Sie schränkt die Lebensmittelproduktion, die Energiegewinnung, den Tourismus und das Bauen zusätzlich stark ein. Die Initiative ist zu extrem, sie verlagert unsere Probleme einfach ins Ausland. «Aus den Augen, aus dem Sinn.»
Natur und Landschaft
Am 22. September entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über die eidgenössische Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative)». Diese will Bund und Kantone dazu verpflichten, die Biodiversität, die Landschaft und Ortsbilder umfassend zu schützen. Die Biodiversität, also die Vielfalt aller Lebewesen und Lebensräume, ist in der Schweiz zurückgegangen. Auch Landschaften und Ortsbilder sind unter Druck. Daher schützen Bund und Kantone Biotope, bedrohte Arten sowie wertvolle Landschaften und Ortsbilder. Sie pflegen Schutzgebiete und fördern die Biodiversität, auch in der Landwirtschaft. Der Bund investiert jährlich rund 600 Millionen Franken in die Erhaltung der Artenvielfalt. Zudem setzen Bund und Kantone einen Aktionsplan zur Förderung der Biodiversität um.
Den Initiantinnen und Initianten gehen diese Massnahmen zu wenig weit. Sie wollen die Natur, die Landschaft und das baukulturelle Erbe zusätzlich schützen. Die Initiative verlangt für die Biodiversität mehr Geld und mehr Schutzflächen. Und sie will insbesondere die Kantone stärker in die Pflicht nehmen, damit sie Landschaften und Ortsbilder bewahren. Zudem sollen die prägenden Elemente schützenswerter Biotope, Landschaften und Ortsbilder ungeschmälert erhalten werden. Schliesslich will die Initiative Natur, Landschaft und baukulturelles Erbe auch ausserhalb der Schutzgebiete schonen. (nfz)