Regierungsrat beantragt Kantonsreferendum gegen Individualbesteuerung
15.08.2025 AargauDer Regierungsrat hat die Botschaft zum Kantonsreferendum gegen das Bundesgesetz über die Individualbesteuerung verabschiedet und beantragt dem Grossen Rat die Ergreifung des Kantonsreferendums.
In einer Mitteilung heisst es: Der Regierungsrat begrüsse zwar die Beseitigung der Heiratsstrafe auch auf Bundesebene, lehne aber die unnötige administrative Verkomplizierung für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die neuen Ungleichbehandlungen sowie den Eingriff in die Steuerhoheit der Kantone durch den Bund ab.
Nachfolgend die ausführliche Mitteilung des Regierungsrats: «Mit der Individualbesteuerung will der Bund die steuerliche Benachteiligung von verheirateten Paaren im Vergleich zu unverheirateten Paaren, die sogenannte Heiratsstrafe, beseitigen. Am 20. Juni 2025 haben die eidgenössischen Räte dem Bundesgesetz über die Individualbesteuerung zugestimmt. Die Einkünfte und Vermögenswerte der Ehepartnerinnen und Ehepartner wie auch der unverheirateten Partnerinnen und Partner sollen künftig nach den zivilrechtlichen Verhältnissen oder anderen gesetzlichen Anspruchsberechtigungen zugewiesen und separat besteuert werden. Zusätzlich soll der Kinderabzug von heute 6700 Franken auf 12'000 Franken erhöht werden. Für den Bund entstehen dadurch Mindereinnahmen von rund 600 Millionen Franken pro Jahr.
Reform bringt neue Ungleichheiten und höheren Aufwand
«Die vom Bund beschlossene Einführung der Individualbesteuerung zielt darauf ab, die Heiratsstrafe abzuschaffen und die Chancengleichheit für Verheiratete und Unverheiratete zu stärken. Der Regierungsrat des Kantons Aargau teilt dieses Ziel zwar grundsätzlich, beurteilt das gewählte Verfahren jedoch als falsch. Besonders Einverdienerehepaare und Familien mit tiefem Zweiteinkommen würden durch die Individualbesteuerung stärker belastet als heute. Gleichzeitig entsteht ein hoher administrativer Mehraufwand für die Steuerpflichtigen. Die wirtschaftlich korrekte Aufteilung der einzelnen Steuerfaktoren (Einkommen, Vermögen, steuerliche Abzüge und so weiter) auf die Ehegatten wäre jeweils im Einzelfall zu klären und aufeinander abzustimmen (beispielsweise Kinderabzug, Drittbetreuungskosten, gemeinsames Wohneigentum, Liegenschaftsunterhaltskosten, Abzug Hypothekarzinsen, gemeinsame Bankkonti). Regierungsrat Dr. Markus Dieth: ‹Wir wollen die Benachteiligung von verheirateten Paaren aufheben, aber nicht um den Preis von neuen Ungleichheiten und einer unnötigen Verkomplizierung für die Steuerzahlenden. Gerade Familien, in denen ein Elternteil wenig oder gar nicht erwerbstätig ist, geraten mit der Individualbesteuerung finanziell stärker unter Druck. Das ist aus unserer Sicht nicht gerecht und setzt das falsche Signal.›»
Mindereinnahmen für den Kanton Aargau
Wird die Individualbesteuerung eingeführt, entgehen dem Kanton Aargau durch seinen Anteil an der direkten Bundessteuer rund 7 Millionen Franken pro Jahr. Darüber hinaus müsste das gesamte Steuersystem grundlegend umgestellt werden mit der Konsequenz, dass in allen Kantonen die Tarife und Sozialabzüge neugestaltet werden müssten. Damit durch diese Umstellung keine Personengruppe gegenüber dem heutigen Stand zusätzlich belastet wird, wären für den Kanton Aargau und seine Gemeinden massive Mindereinnahmen im dreistelligen Millionenbereich die Folge.
Einfachere Lösungen wären möglich gewesen
Die Heiratsstrafe auf Bundesebene hätte durch einfachere Lösungsansätze wie beispielsweise ein Splittingverfahren – wie es eine Mehrheit der Kantone und auch der Kanton Aargau bereits heute kennt – oder durch Tarifkorrekturen schneller beseitigt werden können. Die Ziele einer Abschaffung der Heiratsstrafe, der Schaffung von Erwerbsanreizen und der Förderung der Chancengleichheit hätten somit auch mit anderen Mitteln erreicht werden können. Es ist nicht nachvollziehbar, dass nun alle Kantone aufgrund der Versäumnisse auf Bundesebene und der nun vorgeschlagenen Einführung der Individualbesteuerung all ihre einzelnen Steuersysteme komplett umstellen müssen mit unverhältnismässigen Auswirkungen auf die Steuerpflichtigen und die kantonalen Steuerbehörden. (mgt)
Das Kantonsreferendum
Acht Kantone können gemäss Bundesverfassung innerhalb von 100 Tagen nach der amtlichen Veröffentlichung eines Bundesgesetzes ein sogenanntes Kantonsreferendum ergreifen und damit eine Volksabstimmung verlangen. Die näheren Regelungen dazu sind im Bundesgesetz über die politischen Rechte festgehalten: Sofern das kantonale Recht nichts anderes bestimmt, beschliesst das jeweilige Kantonsparlament, im Aargau der Grosse Rat, innert Frist über das Referendumsbegehren. (mgt)