Ein Gemeindeammann geht. Der Mensch bleibt.
31.12.2025 MöhlinOhne Fassade
Und bald schon alt Gemeindeammann von Möhlin
Vier Jahre lang war Markus Fäs Gemeindeammann, heute Mittwoch räumt er sein Büro. Was bleibt?
Ronny Wittenwiler
Noch hat er den Schlüssel. Damit wird am ...
Ohne Fassade
Und bald schon alt Gemeindeammann von Möhlin
Vier Jahre lang war Markus Fäs Gemeindeammann, heute Mittwoch räumt er sein Büro. Was bleibt?
Ronny Wittenwiler
Noch hat er den Schlüssel. Damit wird am heutigen Mittwoch ein letztes Mal sein Büro öffnen, es räumen. Er wird es kaum mit dem Zweihänder tun, sondern so, wie man ihn die letzten vier Jahre als Gemeindeammann kannte: ruhig und unaufgeregt.
Schonungslos ehrlich
Markus Fäs war keiner der lauten Töne. Er war in höchstem Masse konziliant. Ausgestattet mit einem feinen Humor, beraubte er als Gemeindeammann auch ernste Themen zwar nie ihrer Bedeutung, doch nahm er ihnen so oft das explosive Potenzial. Ein Alleskönner, der Berge versetzt? Mitnichten. Im Gespräch mit der NFZ, kurz vor Weihnachten, sagt er: «Ich möchte meine Energie jetzt nochmal einsetzen für Dinge, von denen ich das Gefühl habe, dass ich sie zum Fliegen kriege.» Denn auch das ist Markus Fäs: schonungslos ehrlich, gerade auch zu sich selbst. Ohne jede Fassade spricht er davon, wie man selbst als Gemeindeammann an Grenzen stösst und merkt, mit welch bürokratischer Trägheit manchmal Mühlen mahlen. Nicht zu schade ist er sich, dann sogleich zu gestehen: «Als Lehrer war ich in dieser Hinsicht verwöhnt.»
Das grosse Interview mit dem abtretenden Gemeindeammann gibt noch einmal Einblicke in sein Wirken, er spricht über unerreichte Ziele, den anstrengendsten Wochentag, nicht getragene Krawatten und über das «schöne Gefühl», wenn Bürgerinnen und Bürger erzählen, sie hätten sich bei ihm aufgehoben und verstanden gefühlt. Und ja, sagt er zufrieden: Selbst als Gemeindeammann habe er sich stets selbst treu bleiben können. «Ich musste zwar auch Dinge vertreten, die nicht meiner Überzeugung entsprachen. Aber es half, dass Leute, die Anteil an der Politik nahmen, stets wussten, wie meine Haltung ist. Es wird dann sogar geschätzt, dass man Positionen nach dem Kollegialitätsprinzip vertritt und nicht die persönliche.»
Zwölf Jahre war Markus Fäs Mitglied im Gemeinderat, die letzten vier davon als Gemeindeammann. Diese Zeit endet nun, es bleibt Markus Fäs als Privatperson, und da stellt sich doch die Frage: Was war und ist ihm am wichtigsten im Leben?
«Dass ich mit dem, was ich tue, im Reinen bin. Müsste ich etwas tun, zu dem ich nicht stehen kann, würde mir das schlaf lose Nächte bereiten.» Allein deswegen, sagt er, wäre er weder als Regierungsrat noch als Bundesrat geeignet, «weil ich glaube, dass man dann genau in solche Situationen gerät». Was also bleibt? Mit Sicherheit die Erkenntnis, dass da ein Gemeindeammann zu Werke gegangen ist, dem der direkte und ehrliche Kontakt zu den Leuten in diesem Dorf wichtig war, stets auf Augenhöhe, ganz ohne Fassade. Der Gemeindeammann Markus Fäs geht. Der Mensch bleibt.
«Ein Sozi als Gemeindeammann?»
Und siehe da: so kam es. Ein Interview zum Abschluss.
Für Markus Fäs, 65, endet morgen um Mitternacht die Zeit als Möhliner Gemeindeammann. Ein Gespräch zum Abschluss.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Markus Fäs, nur noch einen Tag sind Sie Gemeindeammann. Hüpft das Herz oder schmerzt es?
Markus Fäs: Ich freue mich über eine leere Agenda, eine leere Mailbox. Loszulassen, fühlt sich aber seltsam an.
Gewisse Dinge werden Ihnen fehlen?
Franco Mazzi (abtretender Rheinfelder Gemeindeammann, die Redaktion) nutzte das Bild vom Säen und Ernten. Es beschreibt sehr schön auch meine Situation: Von meinem Vorgänger Fredy Böni durfte ich Dinge ernten, die er gesät hatte. Nun können andere ernten, was ich gesät habe. Einiges wird mir fehlen. Verkehrssicherheit, die mögliche Weiterentwicklung der Elektromobilität. Solche Themen hätte ich gerne weiterbegleitet.
Apropos säen: Waren Sie ein guter Gemeindeammann?
Mein Vorgänger Fredy Böni war sehr aktiv. Nach dieser Phase hatten die Leute das Bedürfnis nach ruhigerem Fahrwasser. Damit sich Sand absetzt, um zu sehen, wo man steht, wie es weitergehen könnte. Ich denke, in dieser Hinsicht war ich der richtige. Ich erhalte viele positive Feedbacks, darf aber schon sagen: Es gibt auch jene Leute, die finden, nun müsste langsam wieder ein bisschen etwas gehen, und sie haben damit auch nicht Unrecht.
Gibt es etwas, worauf Sie stolz sind?
(Überlegt) Etwas, worauf ich richtig stolz bin? Nein. Aber wenn mir Leute mitteilen, dass sie sich aufgehoben und verstanden fühlten, sogar selbst, wenn ein Anliegen mal nicht erfüllt werden konnte, ist das ein schönes Gefühl.
Unerfüllte Anliegen – gibt es denn Ziele, von denen Sie sagen: nicht erreicht?
Ja, leider. Gewisse Verkehrssituationen. Konkret in der Steinligasse: Als Abkürzung in die Industrie missbraucht, inklusive Lastwagen, die sich dort durchquetschen, kamen wir bisher auf keine gute Lösung. Und was mich persönlich sehr ärgert: Es war ein Wahlversprechen, den Platz beim Gemeindehaus mit Strom- und Wasseranschlüssen und weiterer Infrastruktur zu versehen, um ihn niederschwellig nutzbar zu machen. Der Platz ist klinisch tot, jede Veranstaltung bedingt einen riesigen Aufwand für den Werkhof. Das sind Dinge, die das Dorf nicht ins Unglück stürzen – aber es sind Ziele, die ich nicht erreicht habe.
Sie haben immer gesagt: vier oder acht Jahre als Gemeindeammann. Warum sind es vier geworden?
Als Lehrer war ich verwöhnt: Da konnte ich Projekte anreissen und umsetzen. Auf Gemeinde-Ebene ist das alles viel zäher, mit dem Geld, den Ressourcen, der Akzeptanz. Dass sehr viele Leute mitreden dürfen, macht den gesamten Apparat etwas schwerfällig. Ich will nicht von einem Kampf gegen Windmühlen sprechen, aber bei Dingen, die nicht vorwärts gehen, verfüge ich nicht mehr über dasselbe Stehvermögen.
Hat dieses Gefühl mit Verdruss zu tun oder damit, dass Sie schlicht keine 40 mehr sind?
Verdruss ist es wirklich nicht. Meine Kräfte sind schlicht nicht mehr dieselben und ich merke, dass auch meine Zeit nicht endlos ist. Ich bin gesund, doch brauche ich mehr Schlaf, mehr Erholungszeit. Das ist schon noch «verrückt»: Ich hätte nie gedacht, dass ich mal an einen Punkt gelange, an dem ich das sagen muss. Aber es ist so.
Sie waren Möhlins erster sozialdemokratischer Gemeindeammann. Halten Sie das für relevant?
Ich wurde nicht gewählt, weil ich Sozialdemokrat bin – eher, obwohl ich Sozialdemokrat bin (lacht). Ich war immer froh, kannten die Leute meine Grundpositionen. Vor vier Jahren sagte ich zu einem Grossrat, ich wisse wirklich nicht, ob es für die Wahl zum Gemeindeammann reicht, zumal bestimmt viele Leute in Möhlin meinen: Gemeinderat, ja. Aber ein Sozi als Gemeindeammann? Also bitte, nein. Sein Bonmot darauf: «Hab keine Angst – dafür bist du dann doch zu wenig links.» Möglicherweise hatte er recht.
Ich verwende oft das Bild von der Wasserleitung, die verlegt werden muss: Ihr ist es egal, ob das Geschäft ein SVP-Gemeinderat oder SP-Gemeinderat verantwortet.
Absolut.
Und doch rückt mit Ihrem Ausscheiden der Gemeinderat noch stärker nach rechts. Haben Sie schlaflose Nächte?
Nein. Ich möchte noch etwas zur Wasserleitung sagen.
Gerne.
Das mit der Wasserleitung stimmt. Doch gibt es noch andere Dinge, eher linke Themen wie Sozialhilfe. Soll die Gemeinde mehr Geld ausgeben für das Familienzentrum? Für die Jugendarbeit? Da spürt man schon ein bisschen, dass parteipolitische Herkunft eine Rolle spielt.
Dann müssten Sie eben doch schlaflose Nächte haben!
Müsste ich, ja.
Und doch haben Sie es nicht?
Weil ich glaube, dass der Gemeinderat insgesamt so aufgestellt ist, dass er sich den Aufgaben und Problemen im Dorf stellen kann und stellen will. Natürlich ist die neue Gemeinderätin Eva Staubli keine Linke, sondern eine prominent Bürgerliche. Aber ich nehme sie wahr als jemanden, der zuhört, sich mit der Materie auseinandersetzt. Deshalb: keine schlaflosen Nächte.
Welche Tage waren am schwierigsten?
Der Montag, Gemeinderatssitzung. Wir hatten es stets gut miteinander, das zu betonen, darauf lege ich wert. Doch ging es oft um Dinge, bei denen man sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. Es galt, vorbereitet zu sein und es auszutragen. Das empfand ich als anstrengend. Nicht in einer Weise, dass ich von Sonntag auf Montag nicht hätte schlafen können. Aber wenn Sie so fragen: Montag war der anstrengendste Tag.
Auch der aufregendste?
Das kann ich so nicht sagen.
Sie sind grosser Fan des EHC Basel. Der spielt derzeit nicht so aufregend.
Der EHC ist wieder etwas am Kommen, zuletzt mit einer kleineren Siegesserie. Ich bin zufrieden. Nicht glücklich, aber zufrieden.
Warum Eishockey und warum ausgerechnet Basel?
Ich war vor etwa vierzig Jahren am Spengler Cup. Das hat mich gepackt. Die Stimmung, die Schnelligkeit, diese Intensität. In den Neunzigern gefiel mir Kloten, auch Fribourg-Gottéron. Ich war Sympathisant, nie Hardcore-Fan. Beim EHC Basel ist es schlicht die Nähe. Ich will keine Saisonkarte von einem Club, für dessen Spiele ich eine oder zwei Stunden anreisen muss. Seit Basel in den Nullerjahren aus den Niederungen wieder aufgetaucht ist, besuche ich die Spiele, und es hat sich eine Verbundenheit entwickelt.
Was ist wahrscheinlicher: Der EHC Basel wird Schweizermeister oder Markus Fäs bindet sich eine Krawatte um den Hals?
Schweizermeister in der NLA oder NLB? (lacht)
Das überlasse ich Ihnen.
Ich hoffe, dass zumindest der Meistertitel in der NLB wahrscheinlich ist. Als Gemeindeammann trug ich allerdings tatsächlich ein paar Mal Krawatte – an Veranstaltungen mit nationalem oder internationalem Charakter wie dem Trinationalen Eurodistrict Basel. Den Knoten kann ich übrigens auch.
Die Krawatte war Ihnen nie am wichtigsten.
Die Krawatte ist mir sogar höllisch unwichtig. Sie ist mir eines der unverständlichsten Kleidungsstücke, ein Symbol, das mir fremd ist. Schon mein Vater, obschon treuer SVP-Wähler, trug nie Krawatte. Ich bin nicht mit Krawatte sozialisiert worden. Ich bin aber nicht derjenige, der Aufsehen erregen will dadurch, dass er eben keine Krawatte trägt.
Uns bleiben noch zwei Fragen. Erstens, was machen Sie um Mitternacht?
Ich gehe mit einer Magnumflasche Champagner und dem Gemeindehausschlüssel zu meinem Nachfolger Loris Gerometta, übergebe beides, und dann stosse ich mit ihm an auf einen Abschied und einen Neuanfang.
Zweitens, welche Frage hätten Sie gerne einmal beantwortet, nur ist Sie Ihnen nie gestellt worden?
Eine schöne Frage. Es kommt mir aber keine in den Sinn. Es gab oft Fragen, die zu beantworten ich grosse Lust verspürte, weil es Fragen waren, die mich bewegten.
Statt mit einer Frage schliessen wir deshalb mit der Einladung, als Gemeindeammann ein letztes Wort an die Bürgerinnen und Bürger zu richten.
Es war eine tolle Zeit. Ich habe viel Wertschätzung erfahren und gute Auseinandersetzungen erleben dürfen. Mit «gut» meine ich: Bei jedem Problem, und selbst wenn es nicht gänzlich gelöst werden konnte, kamen wir auf einen Nenner, der für beide Seiten ein gutes oder zumindest akzeptables Gefühl hinterliess. Jene Leute, mit denen ich nie wirklich gut konnte – da reicht eine Hand, wirklich eine einzige, um sie daran abzuzählen. Pflegen wir diese Kultur weiter. Setzen wir uns weiter auf diese Art auseinander. Was soll ich sagen? Ich bin glücklich.


