«Niemand hat es so schön wie ich»
24.09.2025 PersönlichTrudi Zumsteg lebt seit eineinhalb Jahren im Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach in Möhlin. Seit ihrer Erblindung ist die Musik für sie noch wichtiger geworden.
Janine Tschopp
«Einmal hatten wir die Türe offen, als wir im Zimmer gespielt haben. ...
Trudi Zumsteg lebt seit eineinhalb Jahren im Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach in Möhlin. Seit ihrer Erblindung ist die Musik für sie noch wichtiger geworden.
Janine Tschopp
«Einmal hatten wir die Türe offen, als wir im Zimmer gespielt haben. Plötzlich kamen alle ins Zimmer. Bewohnende, Pf legende, Lernende, Putzpersonal.» Trudi Zumsteg hatte schon Angst, dass sie aus dem Altersheim «rausgeworfen» würde, weil sie den Betrieb aufgehalten hatte.
Seit April 2024 wohnt die 91-Jährige im Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach. Etwa gleichzeitig ist Trudi Zumsteg auch erblindet. «Die Augen waren schon immer meine Schwachstelle, ich habe sie schon elf Mal operiert. Seit einem Jahr sehe ich fast nichts mehr.» Die Probleme mit ihren Augen waren aber nicht das, worüber sie sprechen wollte. Auch Jammern passt nicht zu Trudi Zumsteg. Im Gegenteil, sie meint: «Niemand hat es so schön wie ich.» Was zu ihrem Glück beiträgt, ist die Musik. Schon ein Leben lang. Seit sie ihr Augenlicht verloren hat, wurde die Bedeutung der Musik für sie noch grösser. Dass sie mit dem Eintritt ins Altersheim ihre grosse Leidenschaft weiterhin intensiv pf legen kann, macht sie sehr glücklich.
Musizieren mit Franziskus Jakober
Im Juli 2024 trat Franziskus Jakober als «Spiritual Care» ins Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach ein. «Ich versuche, für das Seelenwohl der Bewohnenden, Angehörigen und auch des Teams zu sorgen», erklärt er. Ganz wichtig sei ihm dabei, Heimat zu schaffen. «Denn wenn jemand ins Altersheim geht, muss die Person so viel verlassen. Mitmenschen, Familie, Gewohnheiten, die eigenen Möbel, die Gerüche von Zuhause … Die Menschen werden entwurzelt und kommen in eine total neue Gemeinschaft. Was so eine Entwurzelung bedeutet, ist vielen nicht bewusst. Oft ist das Herz nämlich noch zu Hause», erklärt Franziskus Jakober.
«Es het vo Afang a giget», erzählt Trudi Zumsteg von der ersten Begegnung mit dem Seelsorger. Die beiden begannen, gemeinsam zu musizieren
– er auf der Handorgel, sie auf dem Schwyzerörgeli – und die Welt war mehr als in Ordnung. Bald kam das erste «Abendsingen», das seither regelmässig stattfindet und jeweils musikalisch durch Trudi Zumsteg und Franziskus Jakober begleitet wird. Das nächste musikalische Projekt des Stadelbachs ist die Gründung eines Chors, bei welchem alle Interessierten – auch von ausserhalb des Altersheims – mitmachen können. «Oft haben wir schon draussen auf dem Bänkli Musik gemacht, seither sind wir die ‹Bänkli-Musig›.» Wenn die beiden im Foyer musizieren, dauert es nicht lange und das Foyer ist voll von Leuten, die zuhören, mitsingen und mitmachen.
Musik ist wichtig seit der Kindheit
Trudi Zumsteg ist in Möhlin aufgewachsen. Sie erzählt von ihrer Kindheit, die auch schon von Musik geprägt war. Sie war noch ganz klein, als sich ihr Vater wünschte, dass eines der Kinder Schwyzerörgeli spielte. Da ihre Geschwister kein grosses Interesse daran zeigten, sagte sie sich: «No muess ich halt.» Wenn man weiss, wie ihr das Instrument später ans Herz gewachsen ist, hatte es vermutlich nicht viel mit «Müssen» zu tun. «Mutti hat viel gesungen», erzählt Trudi Zumsteg weiter. Auch am Radio wurde zu Hause viel Musik gehört. Die Leidenschaft für die Musik durfte Trudi Zumsteg später auch mit ihrem Mann, der im Februar 2024 verstorben ist, teilen. So war beispielsweise auch Opernmusik für beide ein grosser Genuss.
1992 kaufte sich ihr Mann ein Hackbrett, und während vieler Jahre musizierten die beiden dann, auch gemeinsam mit anderen Ehepaaren. Sie hatten gerne Gesellschaft und organisierten musikalische Treffen. «Durch die Musik sind viele Freundschaften entstanden», sagt Trudi Zumsteg. Während 100 Monaten – «immer am ersten Montag im Monat» – spielten Trudi und Ruedi Zumsteg, beim Treffen mit Örgeli-Freunden, entweder im «Schiff» oder im «Adler» in Möhlin.
Trudi Zumsteg erzählt von einem speziellen Erlebnis, als sie für zehn Tage gratis nach São Paulo reisen durften. «Gran Montana wollte dort die Schweiz bekannt machen und wir wurden eingeladen.» Schwyzerörgeli, Jodler und weitere Musikanten waren dort, um in Brasilien einen Teil der Schweizer Folklore zu präsentieren.
Nicolas Senn kaufte das Hackbrett ihres Mannes
Seit Trudi Zumsteg nicht mehr lesen, schreiben, fernsehen oder die schöne Natur bestaunen kann, findet sie ihre Erfüllung in der Musik. Sie hört gerne Folklore, klassische Musik oder auch Dixieland. Schon bald darf sie ein Konzert des bekannten Schweizer Hackbrettspielers, Nicolas Senn, besuchen. «Als mein Mann verstorben war, haben wir sein Hackbrett zum Verkauf ausgeschrieben. So meldete sich Nicolas Senn bei uns, dass er es gerne kaufen möchte. Das Hackbrett wurde 1989 gebaut, zufällig im gleichen Jahr, als Nicolas Senn geboren wurde», lacht Trudi Zumsteg.
Nach dem Gespräch mit der NFZ wünscht sich die Journalistin – falls Zeit bleibt – dass Trudi Zumsteg und Franziskus Jakober noch ein bisschen musizieren. «Wenn wir spielen, dann denken wir am liebsten überhaupt nicht an die Zeit», erklären die beiden. Und genauso wirkte es auch. Tief eingetaucht in ihrer Welt spielten sie wunderbare Melodien. Trudi Zumsteg hat Hunderte von Liedern im Kopf und alle, die sie im Gehör hat, kann sie auf ihrem Schwyzerörgeli spielen. Ganz zum Schluss der kleinen «Privatstubete» in Trudi Zumstegs Zimmer spielen sie eines ihrer Lieblingslieder: «Am Himmel stoht es Sternli».
Dichten ist auch eine grosse Leidenschaft von Trudi Zumsteg. So hat sie ein Gedicht über ihr geliebtes Schwyzerörgeli geschrieben (siehe Bild).
Im Stadelbach gibt es ab November 2025 einen Chor. Geprobt wird jeweils am Dienstagabend, von 19 bis 20.30 Uhr. Willkommen sind alle interessierten Singfreudigen, auch von ausserhalb des Stadelbachs. Informationen unter: www.lebenswerkstatt.ch