«Nicht nur über den Gartenzaun schauen, sondern auch hinein»
05.08.2025 MöhlinWegen einer fehlgeleiteten Rakete, die im letzten Jahr ins Essenszelt abging, waren dieses Jahr keine privaten Feuerwerke auf der Allmend in Möhlin gestattet. Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Zahlreiche Leute haben sich am 1. August zur Bundesfeier versammelt.
Yasmin Malard
...Wegen einer fehlgeleiteten Rakete, die im letzten Jahr ins Essenszelt abging, waren dieses Jahr keine privaten Feuerwerke auf der Allmend in Möhlin gestattet. Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Zahlreiche Leute haben sich am 1. August zur Bundesfeier versammelt.
Yasmin Malard
Die Besucherinnen und Besucher haben die Feier aus unterschiedlichen Gründen aufgesucht. «Wegen dem Bruder, der hier Musik macht», «hauptsächlich, weil man es schon immer so gemacht hat» oder «meine Freundin hat mich mitgezogen», tönt es aus den jüngeren Reihen der Möhlinerinnen mit Layla, Aline und Vanessa. Tom Metzger, ein «Urmöhliner», wie er sich selbst nennt, ausgestattet mit CH-Mütze und Edelweiss-Hemd, kommt an die Feier, wenn er gerade frei hat, sonst eben nicht.
Stolz oder Dankbarkeit
Ob der 1. August heutzutage mehr eine Tradition ist à la «guter Grund zum Feiern», oder ob es noch darum geht, die Schweiz als Land zu würdigen und wie viel Patriotismus überhaupt gesund ist, sind Fragen, die keine klare Antwort finden. Marco Riccardi denkt, es sei problematisch, stolz darauf zu sein, dass man aus der Schweiz kommt. «Weil man nichts dafür kann, es ist Glück oder Zufall, wo du geboren wirst. Das soll aber nicht heissen, dass man nicht dankbar sein kann. Es ist schliesslich ein Privileg.» Ein Privileg, in der Schweiz zu wohnen, dem stimmt Marc Stocker zu. Würde er sich als Schweizer identifizieren? «Ich habe schon ein paar Bünzli-Angewohnheiten», gibt er grinsend zu. «Die machen sich vor allem im Ausland bemerkbar.»
Meinungsfreiheit und Verantwortung
«Was wäre eine Geburtstagsparty ohne Gäste?», sagt Markus Fäs, Gemeindeammann von Möhlin, fröhlich und bedankt sich beim zahlreich erschienenen Publikum. Er möchte das ganze Volk ansprechen, wobei der Begriff «Volk» nicht ganz unproblematisch erscheine – sei dieser doch von Diktatoren geprägt worden. «Diktatoren möchten einen anonymen und uniformen Block von Menschen erzwingen und alle, die auffallen, lassen sie verschwinden.» Das ist nichts für Fäs, vor allem in Zeiten von Krieg und schwindender Demokratie. «Diversität und Mannigfaltigkeit sind keine Feinde der Demokratie», plädiert er und betont, dass es mehr als eine richtige Überzeugung gibt. «Mit unserer Meinungsfreiheit geht auch Verantwortung einher. Andere Meinungen anhören und zulassen.»
Vom Anfang und vom Ende
Die zwei diesjährigen Festreden beginnen am Anfang eines jeden Lebens und am Ende dessen. Susan Wiekert übernimmt als Hebamme, die schon bei 500 Geburten eine helfende Hand gewesen ist, den Anfang. «Ich bin als erste dabei, wenn unsere Gesellschaft neue Mitglieder bekommt.» Und jedes Mitglied, jedes Neugeborene sei ein neues Kapitel in einer Familie, bereit, neue Geschichten zu schreiben. «Die Zukunft ist ein leeres Blatt, aber die Farben stehen bereit.»
Genau so wichtig wie die Jüngsten sind aber auch die Ältesten unserer Gesellschaft. Yasin Alemdar vertritt diese als Co-Leiter des Wohn- und Pflegeheims Stadelbach und sagt bestimmt, Alter habe nichts mit Langeweile zu tun. 8000 Jahre Lebenserfahrung haben seine Bewohnerinnen und Bewohner zusammen, «mehr als Wikipedia je haben wird». Im Altersheim entstehe ein Raum für Gespräche über heute und früher. «Wie bei einem guten Raclette: Jeder nimmt etwas Eigenes mit und am Schluss schmeckt es köstlich», sagt er. Nur bei positiven Worten bleibt er nicht. «Die Bevölkerung wächst leider nicht langsam und reif wie ein Schweizer Käse, sondern eher wie Milch in der Sonne.» Der Fachkräftemangel werde grösser und grösser. «Wir werden neben dem Altersheim auch eine Gemeinschaft brauchen, die nicht nur über den Gartenzaun schaut, sondern auch hinein. Ein Ort, wo Alter kein Makel ist, sondern ein wertvolles Lebensalter.» Als die Schweizer Hymne erklingt, erheben sich alle mit vollem Elan. Gesungen wird mehr oder weniger, aber für das musikalische Engagement gibt es ja die Musikgesellschaft Möhlin.